Berlins Kultursenator zieht Bilanz: „Da kann nicht mehr viel kommen“

Nach sechseinhalb Jahren endet die Amtszeit von Klaus Lederer. Er gehe ohne Groll, sagt er, und warnt seinen Nachfolger vor Kürzungen im Kulturbereich.

Klaus Lederer schaut in die Kamera

„Man muss die Frage stellen: Wem gehört diese Stadt?“ Klaus Lederer, seit 2016 Kultursenator Foto: Doro Zinn

taz: Herr Lederer, Sie waren sechseinhalb Jahre Senator: War das eine privilegierte Position?

Klaus Lederer: Politik gestalten zu können ist immer ein Privileg, das aber auch mit einer Verantwortung einhergeht. Insofern ist das für mich eine Zeit, die mir keiner nehmen und die ich als absolut tolle Erfahrung verbuchen kann. Viel kann jetzt nicht mehr kommen.

Vor allem die Coronajahre waren wahnsinnig hart, viele Po­li­ti­ke­r*in­nen sind an und über die Grenzen gegangen …

Der Job fordert einen – wenn man ihn ernst nimmt – 60 bis 80 Stunden die Woche, man wird ihn auch nachts und im Urlaub nicht los, er zehrt immer an der Substanz. Insofern war für mich stets klar, dass es eine Phase mit zeitlichem Limit ist. Aber die dreieinhalb Jahre bis zur nächsten Wahl hätte ich schon noch gern gemacht.

Konnten Sie bei der Arbeit nicht auch Routinen etablieren?

Ich verfüge jetzt über sechseinhalb Jahre akkumulierte Erfahrung, was dazu führt, dass ich Dinge anders mache, als ich sie zu Beginn meiner Amtszeit gemacht hätte. Als ich hier angekommen bin, tat sich zum Beispiel ein Thema auf, das ich in dieser Tragweite nicht erwartet hatte: der Komplex Machtmissbrauch in Kultureinrichtungen. Das hat mir sogar einen Untersuchungsausschuss beschert.

Sie meinen den Fall des Leiters der Stasi-Opfer-Gedenkstätte, Hubertus Knabe, der 2018 infolge von MeToo-Vorwürfen entlassen wurde?

Genau. Fälle wie dieser haben gnadenlos offengelegt, dass es hier keine strukturelle Basis gab, mit solchen Vorgängen umzugehen. Jetzt haben wir Abläufe und Routinen, die uns als Verwaltung einen standardisierten Umgang mit neuen Fällen ermöglichen.

Warum gab es diese Struktur nicht? War die Problematik nicht vielen bekannt, die Einblicke in die Kulturbetriebe hatten?

49, ist seit Dezember 2016 Kultursenator Berlins und als Bürgermeister einer der beiden Stell­ver­tre­te­r*in­nen von Regierungschefin Franziska Giffey. Am Donnerstag wählt das Abgeordnetenhaus voraussichtlich Kai Wegner zu deren Nachfolger – damit endet auch Lederers Amtszeit. Lederers Nachfolger wird Joe Chialo (CDU): Der 52-Jährige war unter anderem Musikmanager für den Konzern Universal Music.

In dieser Tragweite und Tiefe? Das würde ich bestreiten. Natürlich gab es Hierarchien und Machtstrukturen und damit die Anfälligkeit für Machtmissbrauch. Auf der anderen Seite gab es auch gesetzliche Regelungen. Ich bin bei meinem Amtsantritt davon ausgegangen, dass es in den Einrichtungen überall Vertrauensstellen gibt. Dann wurde uns schnell klar, dass wir das erst noch sicherstellen müssen.

Reichen da Vertrauensstellen aus? Müsste man nicht viel tiefer an die Strukturen ran?

Klar. Deswegen sind ja neue Leitungsmodelle, Fair Stage und das Diversitätsbüro überhaupt erst etabliert worden. Das alles gab es 2016 nicht.

Allerdings gibt es auch in der Kultur noch lange nicht so viele Frauen wie Männer in Führungspositionen.

Wir haben einiges dafür getan, dass sich das ändert. Joana Mallwitz wird in diesem Jahr Chefdirigentin im Konzerthaus-Orchester. Neben Iris Laufenberg am Deutschen Theater habe ich Elisabeth Sobotka als neue Intendantin der Staatsoper Unter den Linden gewonnen. Im Sommer 2022 übernahmen Susanne Moser und Philip Bröking die Intendanz der Komischen Oper. Und andere bereits erfolgte Personalentscheidungen werden sich in den nächsten Jahren zeigen.

Der Kulturetat hat sich in Ihrer Amtszeit stattlich erhöht, von 492 auf 803 Millionen Euro jährlich. Aber ist in einer schnell sich verändernden Stadt wie Berlin Geld wirklich alles?

„An die neue Koalition kann ich nur appellieren: Seid nicht so wahnsinnig und streicht jetzt die Mittel wieder zusammen“

Geld ist natürlich nicht alles, aber ohne Geld geht vieles nicht. Man darf es nicht mit der Gießkanne verteilen, sondern muss es nutzen, um kulturpolitische Strategien umzusetzen.

Was heißt das konkret?

Eine grundlegende Strategie von uns war, Kulturpolitik als Infrastrukturpolitik zu begreifen. Wir wollten, beispielsweise, Räume dauerhaft erschließen und sichern. Das kostet Geld, aber wir konnten so den Raumbestand für die Kultur erheblich erhöhen. An die neue Koalition kann ich nur appellieren: Seid bloß nicht so wahnsinnig und streicht jetzt an dieser Stelle die Mittel wieder zusammen. Bei einer anderen, extrem wichtigen Stelle konnten wir allerdings nicht genug tun: Investitionen.

Sie meinen die Sanierung von Bühnen und anderen Kulturhäusern?

Genau. Und jetzt sind einige Vorhaben, die wir in der jüngsten Investitionsplanung festschreiben konnten, im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU wieder zur Disposition gestellt worden. Das finde ich verheerend, weil ohne Räume keine Kultur stattfinden kann.

Welche Häuser haben Sie konkret im Blick?

Die Berlinische Galerie braucht dringend eine Sanierung. Das Bröhan-Museum und das Brücke-Museum werden sich nicht weiterentwickeln können, wenn nicht alsbald Sanierungen stattfinden, und auch Projekte für die Freie Szene, etwa der Umbau des einstigen Tramdepots in der Belziger Straße, liegen bestenfalls auf Eis.

Was fordern Sie noch von der neuen Regierung?

Dass Tariferhöhungen und Sozialstandards weiter abgesichert werden, im freien Kulturbereich genauso wie in den Kulturinstitutionen. Wir haben in den sechseinhalb Jahren sichergestellt, dass die Institutionen mit dem eigentlichen kulturellen Etat auch in unsicheren Zeiten planen konnten, Tarifsteigerungen separat ausgeglichen werden.

Kommen wir noch mal zu Ihrem Kulturetat. Ist der Spirit dieser Stadt mit Geld zu retten?

„Berlin kann sich glücklich schätzen, eine der phantastischsten Kulturszenen Europas zu haben, und zwar über die ganze Stadt verteilt“

Der Spirit dieser Stadt ist nur zu retten, wenn man Impulse aufnimmt, wie sie beispielsweise von der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen aufgeworfen wurden. Man muss die Frage stellen: Wem gehört diese Stadt? Welche Steuerungsmöglichkeiten bietet der demokratische Rechtsstaat, um einzugreifen in die Profitmaximierung bei Immobilien in privatrechtlich geschützte Eigentumspositionen?

Übersetzt heißt das was?

Die über 2.000 Arbeitsräume, die wir gesichert haben, retten unser Kulturleben nicht. Die andere Seite der Medaille ist, dass sich die Stadtentwicklungs- und Bauverwaltung immer wieder immun erwiesen hat für die fachspezifischen Bedürfnisse einzelner Ressorts. Ich hätte mir gewünscht, dass wir mit Wohnungsbaugesellschaften zu einer Übereinkunft kommen, dass bei Neubauten auch Atelierwohnungen, Räume für Kultur, entstehen.

Also nicht nur Kitas, sondern auch Einrichtungen für die Kunst?

Künstlerinnen und Künstler sind Berlinerinnen und Berliner, und die Wohnungsbaugesellschaften haben Wohnraum bereitzustellen für breite Bevölkerungsschichten, also auch für die Künstlerinnen und Künstler. Wenn man ohnehin neue Stadtquartiere plant und in bestehenden Kiezen behutsam nachverdichtet: Da hätte man doch Atelierwohnungen mitdenken müssen! Das haben wir so nicht geschafft, das muss ich ganz klar sagen.

Global betrachtet haben alle Städte in den letzten Jahrzehnten einen Verdrängungsprozess durchgemacht. Manchmal hat man den Eindruck, dass einige von ihnen mehr von ihrer Individualität bewahrt haben als Berlin.

Das sehe ich ganz anders. In den großen europäischen Metropolen hat dieser Prozess viel früher begonnen und fegt mit viel mehr Rasanz durch die Innenstädte, als es in Berlin der Fall ist. Berlin kann sich glücklich schätzen, eine der fantastischsten Kulturszenen Europas zu haben, und zwar über die ganze Stadt verteilt – da stellen wir unser Licht nicht unter den Scheffel. Aber das muss wirklich weiterhin ernsthaft gehegt und gepflegt werden.

Es war immer Ihr Anspruch, Kultur niedrigschwelliger erreichbar zu machen.

Wir haben als erstes Bundesland ein Institut für kulturelle Teilhabeforschung gegründet. Dessen Daten zeigen, dass das Publikum diverser und jünger wird; dass sich Menschen an Kultur rantrauen, die das ohne unsere Maßnahmen nicht gemacht hätten. Und ich freue mich, dass zumindest der eintrittsfreie Museumssonntag auch unter Schwarz-Rot verstetigt werden soll. Ich hoffe, das gilt auch für den Kultursommer, der 2022 ein großartiger Erfolg war. Wir haben damit Menschen erreicht, die sonst nie in ein Konzert gehen oder in eine Lesung. Manche haben sogar erstmals wahrgenommen, was Berlin an Kultur alles anzubieten hat.

Für junge Menschen zwischen 18 und 23 gab es im Frühjahr die Jugend-Kulturkarte, die 50 Euro Guthaben für kulturelle Veranstaltungen enthielt. Wie wurde die genutzt?

Ein Drittel aller Jugendlichen hat auf das Angebot zurückgegriffen. Das ist bemerkenswert. In ein paar Tagen – das Angebot läuft ja noch bis Ende April – werden wir dann wissen, wie sie die Karte genutzt haben.

Kommen wir zurück zu Ihnen. Was machen Sie nach dem 27. April, wenn – wie derzeit geplant – die neue Regierung steht?

Ich brauche erst mal ein bisschen Abstand und Zeit, die Erfahrungen zu verarbeiten – in den sechseinhalb Jahren als Senator bin ich bestimmt zehn Jahre älter geworden, weil die Coronajahre ja doppelt zählen. Da muss man ein paar Sachen sortieren in seinem Leben – und auch ganz praktisch in der eigenen Wohnung.

Aufräumarbeiten?

Ja. Aber ich bleibe Mitglied im Abgeordnetenhaus und werde meine Fraktion fragen, ob sie mich gerne als queerpolitischen Sprecher hätte.

Klaus Lederer mit Bettina Jarasch und Franziska Giffey

Bild aus glücklicheren Tagen: Lederer während der Sondierungen mit Giffey und Jarasch Foto: dpa

Keine Kultur mehr?

Es ist nicht üblich, dass ein ehemaliger Senator das gleiche Themengebiet wieder übernimmt. Ich würde das auch nur ungern tun. Ich kann jetzt auch einfach mal so ins Theater gehen.

Wird man anders beäugt, wenn man als Senator in einer Vorstellung auftaucht?

Du stehst permanent unter Beobachtung. Die Verantwortlichen dort haben Erwartungen an dich. Und natürlich gehst du selbst anders ins Theater. Jetzt kann ich bei der Auswahl ausschließlich meinen ganz persönlichen Präferenzen folgen.

Und auch mal nicht klatschen?

„Natürlich wäre es frustrierend, wenn ich erleben müsste, das im Kulturbereich ein massiver Rückbau passiert“

Ich gehöre zu den Menschen, die immer klatschen, aus Respekt für die Künstlerinnen und Künstler. Und wenn ich frenetisch klatsche, dann heißt das auch was.

Die Berliner Linkspartei will im Mai ihre Führung mit einer Doppelspitze neu besetzen und sucht noch Kandidat*innen. Interesse?

Ich habe elf Jahre die große Freude gehabt, Landesvorsitzender der Linkspartei zu sein. Die Partei hat sich seitdem nochmal rasant verändert: Sie ist jetzt ein Vielfaches jünger. Andere Generationen gehen mit einem anderen Grundverständnis von politischen Methoden, von politischen Strategien da ran. Und ich, der ich bald 50 werde, wäre nicht unbedingt das Signal des Aufbruchs, das die Partei braucht, und das auch ich wünsche. Da müssen jetzt andere, Jüngere ran.

Aber ein Abschied aus der Politik kommt für Sie nicht in Frage?

Nein, erst mal nicht. Ich werde als Abgeordneter in der letzten Reihe links außen sitzen. Und vielleicht ergibt sich das eine oder andere Projekt. Ansonsten habe ich immer gesagt, ich will nicht mein ganzes Leben Berufspolitik machen.

In diesen dreieinhalb Jahren bis zur nächsten Wahl wird sich zeigen, wie es mit der Linkspartei im Bund weitergeht – und damit auch mit der „Berliner“ Linken, wie sich Ihre Partei im Wahlkampf explizit genannt hat.

Wir werden nicht erst in dreieinhalb Jahren wissen, ob die Linke im Bund noch eine Chance hat. Im Augenblick sehe ich leider nicht viel, was mich hoffnungsvoll stimmt. Das aktuelle business as usual – sprich folgenlose Appelle von zeitloser Schönheit, die nicht klar benennen, wo das eigentliche Problem liegt – ist nur Ausdruck des Zerfalls.

Wäre es nicht an der Zeit, sich als erfahrener Links­po­li­ti­ke­r*in­nen noch mal in der Bundespartei zu engagieren?

Ich weiß sicher, dass es für mich schon seit einigen Jahren nicht mal mehr im Ansatz die Chance gibt, bei einer Bewerbung für eine solche Position eine ausreichende Mehrheit zu bekommen.

Wie hat sich der Politiker Klaus Lederer in den letzten sechseinhalb Jahren verändert?

Er ist älter geworden, und es ist ein ganz großer Schatz an Erfahrungen dazugekommen. Deshalb kann ich auch sagen, dass ich ohne jeden Groll gehe; ein bisschen Schwermut gehört dazu. Natürlich wäre es frustrierend, wenn ich erleben müsste, dass im Kulturbereich ein massiver Rückbau passiert. Trotzdem würde auch das meine sechseinhalb Jahre im Amt nicht entwerten.

Wie meinen Sie das?

Es sind in dieser Zeit viele Möglichkeiten aufgezeigt worden, wie es gehen könnte – und wenn es jetzt nicht so weitergeht, könnte es nach der nächsten Wahl 2026 so weitergehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.