Umweltrechtler über das Klimagesetz: „Komfortabel – für den Autobahnbau“

Verfassungsrechtlich muss die Biodiversitätskrise so bekämpft werden wie die Klimakrise, sagt Martin Gellermann. Doch die Ampel baue Naturschutz ab.

Blick auf die Autobahn A 6

144 Straßenbauprojekte sollen nun mit Hochdruck vorangehen Foto: Bernd Weißbrod/dpa

taz: Herr Gellermann, FDP-Chef Christian Lindner spricht von einem “Paradigmenwechsel“, weil die Ampelkoalition den Naturschutz neu regeln will. Schwächt oder stärkt sie ihn damit?

Martin Gellermann: Seitdem die Ampelkoalition regiert, wurde das Instrumentarium des Naturschutzes abgebaut. Landschaftsschutzgebiete wurden für Zwecke der Windkraftnutzung freigegeben, Standards des Artenschutzrechtes geschliffen, die Zulassung von Windenergieanlagen selbst in Natura 2000-Gebieten mindestens erleichtert. Nun will die Ampelkoalition bei der Eingriffsregelung eine moderne Form des Ablasshandels zulassen.

Ablasshandel?

Bisher mussten Träger von Infrastrukturvorhaben, die Schäden an Natur und Landschaft anrichten, hierfür eine Ausgleichs- oder Ersatzleistung durch konkrete Naturschutzmassnahmen erbringen, künftig soll eine Geldzahlung reichen.

61, ist Rechtsanwalt und außerordentlicher Professor am Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück. Das Naturschutzrecht gehört zu seinen Schwerpunkten.

Die Koalition verspricht in dem 16-seitigen Modernisierungspaket, das sie in ihren 30-stündigen Verhandlungen jüngst geschnürt hat, doch eine „Beschleunigung und Effektivierung des Naturschutzes“?

Beschleunigt wird lediglich der Bau von Infrastrukturvorhaben. Wer eine Autobahn baut, Hochspannungsfreileitungen errichtet oder Schienenwege erweitert und dabei Lebensräume wild lebender Tiere oder Pflanzen schädigt, ist bisher in erster Linie zur Erbringung einer Kompensationsleistung in natura verpflichtet. Er muss neuen Lebensraum für Amphibien oder Vögel schaffen, wenn deren bisherige Laichgewässer oder Brutplätze unter dem Asphalt verschwinden. Künftig sollen sich die Träger von Infrastrukturvorhaben durch Geldzahlungen freikaufen können. Das ist für sie höchst komfortabel.

Das gibt es heute auch schon.

Das ist bisher aber nicht der Regelfall. Die Ampelkoalition stellt damit die seit 1976 im Bundesnaturschutzgesetz verankerte Eingriffsregelung in Frage, die die Funktion hat, den Status quo der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts zu wahren.

Richtig gut geklappt hat das aber auch nicht. Ausgleichsflächen liegen in dicht besiedelten Regionen, sind klein, werden nicht gut gepflegt. Selbst Naturschutzverbände haben erst vor kurzem vorgeschlagen, parallel zu Vorranggebieten für die Windenergie auch Vorranggebiete für die grüne Infrastruktur zu schaffen.

Es stimmt, dass die Eingriffsregelung die Erwartungen nicht erfüllt hat. Das liegt aber weniger an der gesetzlichen Regelung, sondern daran, dass sie in der Praxis nicht in gehöriger Form vollzogen wird. Und im Papier der Koalition taucht der Begriff der grünen Infrastruktur ja nicht einmal auf. Dagegen haben sich die Koalitionäre auf sehr konkrete Zumutungen für den Naturschutz verständigt.

Wie auf den beschleunigten Ausbau von 144 Autobahnprojekten?

Genau. Dagegen bleiben die Aussagen zur Beschleunigung und Effektivierung des Naturschutzes doch reichlich vage.

Es soll ein „Flächenbedarfsgesetz“ geben, das Flächen sichert, aus denen dann ein „länderübergreifender Biotopverbund“ entstehen soll.

Die Schaffung eines länderübergreifenden Biotopverbundes ist nun wirklich keine grundstürzend neue Idee. Schon mit dem Bundesnaturschutzgesetz 2002 wurden die Länder zur Einrichtung eines derartigen Verbundsystems verpflichtet. Eigentlich müssten jetzt 30 Prozent der Landfläche als Kernflächen einer grünen Infrastruktur gesichert und ökologisch aufgewertet werden. Verfassungsrechtlich ist es geboten, nicht nur der Klimakrise, sondern auch der nicht minder dramatischen Biodiversitätskrise zu begegnen, weil die natürlichen Lebensgrundlagen auch hierdurch massiv bedroht sind. Das hat die Koalition wohl nicht vor.

Bis 2026 sollen beispiellose 4 Milliarden Euro investiert werden, um Moore wieder zu vernässen, Städte zu begrünen, Wälder ökologisch umzubauen.

Das ist fraglos zu begrüßen, reicht aber nicht. Entscheidend ist, woher die Flächen dafür kommen sollen. Angesichts der Konkurrenzen auf dem Grundstücksmarkt ist das kein leichtes Unterfangen. Die Ampelkoalition hat sich aber noch nicht einmal auf eine nötige Erweiterung des Vorkaufrechts geeinigt, sondern lediglich eine Prüfung angekündigt. Da bezweifele ich, dass es noch in dieser Legislaturperiode klappt, substanzielle Maßnahmen umzusetzen, die dem Biodiversitäts- und Artenschutz tatsächlich zugutekommen.

Der umweltpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Jan-Niclas Gesenhues, sagt, er sei erst bereit, über Änderungen bei der Eingriffsregelung zu sprechen, wenn ein gutes Flächenbedarfsgesetz vorliege. Was schlagen Sie als Alternative vor?

Es böte sich eine gesetzliche Regelung an, die nationale Ziele des Biodiversitäts- und Artenschutzes einschließlich der hierfür benötigten Flächen festlegt und einen verbindlichen Zeitplan für deren Unterschutzstellung und ökologische Verbesserung vorgibt. Kurzfristig ließe sich auch der schon bestehende gesetzliche Biotopschutz erweitern, etwa um gefährdete Waldlebensraumtypen und sonstige bedrohte Biotoptypen. Und Gebiete des Netzes Natura 2000, aber auch Naturschutzgebiete, Nationalparke und Kernzonen von Biosphärenreservaten sollten für die Errichtung von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien Tabuzonen sein.

Der Entwurf zur Änderung der Richtlinie für Erneuerbare Energien sieht aber vor, dass alle EU-Mitgliedstaaten besonders geeignete Gebiete für Erneuerbare Energien ausweisen müssen. Mit Ihrem Vorschlag wird das enorm schwierig.

Keineswegs, nach den bisherigen Plänen der EU sollen bei der Auswahl dieser Gebiete vorrangig künstliche und bebaute Flächen wie Dächer, Verkehrsinfrastrukturflächen, Parkplätze und so fort ausgewählt werden. Dagegen sollen Natura 2000-Gebiete sowie Naturparks, Naturschutzgebiete, ausgewiesene Vogelzugrouten und weitere empfindliche und ökologisch wertvolle Gebiete gemieden werden.

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