Revolutionserinnerung in Leipzig: Bedeutungsträchtiger Platz

Der Leuschner-Platz in Leipzig ist auch der Platz der friedlichen Revolution. Seit Jahren wird um die Nutzung der Brache mitten in der Stadt gerungen.

Ein Platz umgeben von Häusern, Bäume auf denen Vögel und Insekten sitzen im Vbordergrund, ein Friedenstaube fliegt vorbei

Der Platz der friedlichen Revolution ist heute eine große Brachfläche, über deren Bebauung gestritten wird Illustration: Jeong Hwa Min

LEIPZIG taz | Umgeben von Bauten wie dem schlossgleichen Rathaus und dem City-Hochhaus, wirkt der Wilhelm-Leuschner-Platz mitten in Leipzigs Zentrum vergleichsweise trist. Pas­san­t*in­nen hasten im Nieselregen darüber. Ständig wechselt auf dem Platz der Untergrund, grauer Beton, Pflastersteine und auch mit Gänseblümchen bewachsene Wiesen und sandige Flächen. Hinter Bauzäunen wuchert Gestrüpp, Unkraut quillt aus der dahinter liegenden Asphaltfläche. Es knackst und raschelt im Geäst, und die zwitschernden Vögel übertönen beinahe den Leipziger Stadtverkehr und die ruckelnden Trams, die zu drei Seiten um den Platz fahren.

Inmitten der Stadt am Martin-Luther-Ring liegt die sechs Hektar große Brachfläche (das entspricht etwa acht Fußballfeldern), von Leip­zi­ge­r*in­nen liebevoll Leuschi genannt. Für viele ein Schandfleck, der beseitigt werden muss. Der Platz soll für etwas stehen, nur für was? Darüber wird seit Jahrzehnten gestritten, auch im Namen.

Einst befand sich hier der Königsplatz. In alten Fotografien von Anfang des 20. Jahrhunderts ist der Platz kaum wiederzuerkennen. Dort, wo sich heute Bäume ranken, stand eine Markthalle. Gasthäuser wie der Goldene Engel und das Concerthaus Babelsberg säumten das Quartier auf der einen Seite und machten den Königsplatz mit dem 1896 eröffneten Ury, Leipzigs erstem Warenhaus, auf der anderen Seite zu einem beliebten Stadtplatz.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der Platz massiv bombardiert. Seit dieser Zerstörung liegt er weitestgehend unbebaut da. Nur sein Name änderte sich in den 1950ern zu Ehren von Wilhelm Leuschner, einem Sozialdemokraten, der den gewerkschaftlichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus anführte. Leuschner war an der Planung des Hitlerattentats vom 20. Juli 1944 beteiligt, das NS-Regime richtete ihn hin.

Die Besonderheit Seit seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg liegt der Wilhelm-Leuschner-Platz bis auf den Bowlingtreff im ehemaligen Umspannwerk brach. Das achteckige Gebäude gilt als „Schwarzbau“ der Stadt und brach mit dem Freizeitangebot der DDR: Bowlen statt Kegeln. In Zukunft soll das der neue Standort des Naturkunde­museums werden.

Die Zielgruppe Grundsätzlich ein Platz für alle. Von der Südvorstadt ins Zentrum und zurück überqueren ihn viele auf dem Rad oder zu Fuß. Neben Demos finden Veranstaltungen wie die Klimamesse statt. Zeitweise lag zwischen den Büschen eine Campingstelle von Obdachlosen. Und noch ist der Platz auch Lebensraum für Vögel.

Hindernisse auf dem Weg Seit Baubeginn ist der Zugang zu den Grünflächen durch Zäune gesperrt. Der Platz ist zum Großteil barrierefrei.

Mit den Jahren verwilderten die Grünflächen auf dem Platz immer weiter und wurden zu einem Paradies für Vögel und Insekten, die derzeit nur ab und zu von Demonstrationen auf dem Platz gestört werden oder den parkenden Autos.

Ein Platz für die Stadtgemeinschaft

Nach dem Ende der DDR stand jedenfalls fest: Ein Plan muss her. Und auch eine Idee für den Platz: Könnte er nicht noch mehr sein als sein altes bebautes Selbst? Ein Platz für die Stadtgemeinschaft, einer, der an Leipzigs besondere Rolle beim Ende der DDR erinnert, an die Kämpfe für Demokratie. Geboren war die Idee für den Platz der friedlichen Revolution.

Neben Berlin sollte auch in Leipzig ein Freiheits- und Einheitsdenkmal entstehen. Als Standort machte, wenngleich umstritten, der Wil­helm-­Leusch­ner-­Platz das Rennen.

Allerdings ist auf dem Platz kein Denkmal in Sicht. Das Verfahren zum Bau scheiterte 2014. Nur im öffentlichen Nahverkehr schallt aus den Lautsprechern weiterhin die Ansage: „Nächster Halt: Wilhelm-Leuschner-Platz/Platz der friedlichen Revolution“. Und möglicherweise hat es sich gelohnt, die Durchsage nicht zu verändern. Im vergangenen Jahr wurde das Denkmalverfahren wieder aufgenommen.

Bebauung soll für neue Blüte sorgen

Aber ob mit oder ohne Denkmal und unabhängig vom Namen soll das Areal neu bebaut werden, um ihm wieder zu voller Blüte zu verhelfen. Dafür hat sich der Stadtrat 2017 auf einen Masterplan geeinigt. Büros, Einzelhandel, verschiedene wissenschaftliche Institutionen sowie innenstadtnaher Wohnraum sollen hier für die am schnellsten wachsende Stadt Deutschlands entstehen. Noch in diesem Jahr sollen die Bauarbeiten zum Leibniz-Institut für Länderkunde beginnen. Viele der alten Bäume wurden dafür bereits abgeholzt.

Am Bauzaun hängen Schilder, auf denen gepinselt steht: „Nein zum Baum-ab-Bebauungsplan“. Noch zwitschern die Vögel zwischen Zweigen. Viele Arten nisten hier, mehr als auf Vergleichsflächen der Stadt, ermittelte der Regionalverband des Nabu. Für den Nabu ist der Wilhelm-Leuschner-Platz ein Platz der biologischen Vielfalt, deswegen ging er gegen die Rodungen bereits vor Gericht.

Dass Klimakrise und Artensterben sich gegenseitig verstärken, ist bekannt. 2019 rief Leipzig den Klimanotstand aus, und die Stadt selbst will auch nicht, dass der Platz zu einem Betonklotz verkommt. Ausgleichsflächen sollen entstehen, damit die Artenvielfalt auf dem Platz nicht flöten geht.

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Der Wilhelm-Leuschner-Platz hadert mit dem, was er sein soll. Beton trifft auf Natur, Vergangenheit auf Gegenwart und Zukunft. Trotz Masterplan stehen Entscheidungen zu den konkreten Bauvorhaben noch aus.

Für die Freiflächengestaltung gab es eine Bürgerbeteiligung; Ergebnisse werden derzeit ausgewertet. Ein Ort der Zusammenkunft soll der Platz werden. Den die Stadtgemeinschaft dann auch erst annehmen muss.

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