wortwechsel
: Es gibt ihn also doch – den roten Abschaltknopf!

Der deutsche Atomausstieg ist ein „Sieg der Zivilgesellschaft“, sagen viele taz-LeserInnen. Lebendige Geschichte: Das taz-Dossier zum Tag des Atomausstiegs fand großes Interesse

Der Knopf zur Reaktor­schnell­abschaltung im Eon-Kernkraftwerk Isar II in Essenbach, Bayern   Foto: imago

„Debatte um Atomausstieg: Ohne Atomkritik keine Erneuerbaren. Hätten wir zuerst aus der Kohle und dann aus der Atomenergie aussteigen sollen?“, wochentaz vom 15. 4. 23

Neuer Nationalfeiertag!

Nicht der 3. Oktober, der Tag der „feindlichen Übernahme“ der DDR durch die BRD – euphemistisch auch „Wiedervereinigung“ genannt –, sondern der 15. April sollte fortan als Nationalfeiertag gewürdigt werden. Nicht nur, aber auch in dankbarem Gedenken an die Millionen von Menschen, die seit den 1960ern gegen den Nuklearwahnsinn auf die Straße gingen und gehen. Peter Kaschel, Recklinghausen

Weltweit …

2022 hat Deutschland 13 Milliarden Kilowattstunden Strom exportiert, im ersten Quartal 2023 schon wieder 9 Milliarden. Nachbar Frankreich wurde von uns mitversorgt, weil die Hälfte seiner AKW stilllag, aufgrund von Schäden oder von Kühlwassermangel, der in Zukunft immer häufiger drohen kann. Laut IAEA (International Atomic Energy Agency) sind ganz aktuell weltweit 422 AKW in Betrieb. Im Jahr 2000 waren es noch 435. Im vergangenen Quartal wurden 2 AKW in Betrieb genommen und 2 abgeschaltet. Vage Absichtserklärungen zum Bau von Kraftwerkstypen, die es noch gar nicht gibt, sollte man nicht sehr ernst nehmen. Die Zahl dürfte angesichts horrender Kosten für Neubauten überschaubar bleiben.

Eduard Belotti, Augsburg

Getrübte Freude …

Am 15. April 2023, dem Tag, an dem in Deutschland die letzten Atomkraftwerke vom Netz gingen, hätte ich mich eigentlich darüber freuen sollen, denn ich habe auch sehr viel Zeit meines jungen Erwachsenenseins auf der Straße und auf den Schienen verbracht, um genau das zu erreichen. Aber ich kann mich nicht darüber freuen, denn im Endeffekt haben wir nur erreicht, dass unser Lebensstil jetzt mit Kohlekraft am Leben gehalten wird. In Anbetracht der Klimakrise muss ich fast sagen, der kapitalistische Atomstaat hat durch seine Verzögerungstaktik gesiegt – und mich nun fast so weit gebracht, dass ich die Atomkraft als das geringere Übel ansehe, denn immerhin ist sie grün (gefärbt), CO2-arm und bietet mir 50 Prozent Chance (pro AKW), dass nichts geschieht, kein Unfall passiert, keine Gebiete unbewohnbar werden; beim Klimawandel beträgt die umgekehrte Chance leider 100 Prozent – er wird kommen, es werden Landstriche unbewohnbar werden.

Stefanie Klement, Darmstadt

„Comeback der Kohle?!“

Als im Juni 1961 das erste Atomkraftwerk in Kahl ans Netz ging, wurde in Deutschland das Atomzeitalter eingeläutet und als großer Fortschritt für die Menschheit gefeiert. Im Jahr 1980 gründeten sich Die Grünen. Sie forderten: „Atomkraft? Nein, danke!“ Die Geschichte sollte ihnen recht geben, denn 1986 und 2011 erlebte die Menschheit zwei Super-GAUs – in Tschernobyl und Fukushima. Nun endlich sind – mitten in der Ukraine- und Energiekrise – die letzten drei AKW vom Netz gegangen. Die Grünen feiern, aber trotz alledem bangt Deutschland im Kampf gegen den Klimawandel um seine Energiesicherheit. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das deutsche Wirtschaftswunder vor allem auf Kohle und Stahl aufgebaut. Jetzt plötzlich, nach Abschaltung der AKW – ein Comeback der Kohle in Deutschland? Wie paradox ist das denn?

Roland Klose, Bad Fredeburg

Danke für diesen Artikel. Es wird allzu oft vergessen, wie wir dorthin gekommen sind, wo wir jetzt stehen. Insbesondere der frühe Markthochlauf von Solar und Wind durch das Gesetz für die Erneuerbaren, das ohne Anti-AKW-Bewegung nicht denkbar gewesen wäre, trägt heute auf der ganzen Welt Früchte. Fifaltra auf taz.de

Jetzt: die Atomwaffen!

Liebe tazlerInnen, seit 1979 haben meine Pfarrkolleginnen und ich als kleine radikale Minderheit Moabiter Atom­kraft­geg­ne­r*in­nen politische Nachtgebete vorbereitet und in der Heilandskirche in Berlin abgehalten. Das erste fand 1979 statt mit dem Titel: „Es geht auch ohne AKWs“. Mehr als 30 Jahre haben wir gegen die kapitalistisch-imperialistischen Bedrohungsszenarien der Moderne zäh gewarnt, gerufen, gebetet und gesungen, agitiert, demonstriert und blockiert!

Es ist nur „wunderbar und toll“ für mich und sicher für sämtliche anderen alten Ge­sin­nungs­ge­nos­s*in­nen der 68er Generation, dass der lange zähe Kampf gegen die AKWs nicht umsonst war. Ein einzigartiger Erfolg eines fast 50 Jahre dauernden dramatischen Kampfes! Sehr traurig finde ich nur – wie ihr es auch anmerkt –, dass nicht Hunderttausende heute auf den Straßen tanzen. Was ist denn los mit uns Millionen Atomkraft-Nein-Danke-Kämpfer*innen? Hat die Mehrheit schon grabwärts abgedankt? Es gibt jetzt erst recht ein weiteres „Trotzdem!“

An die Spitze des Klimarettungskampfes muss endlich die Blockade aller Atomspengkörper auf unserer schrecklich geschundenen Erde! Unbegreiflich ist mir, dass zwar ab den 1970ern sich die Anti-AKW-Bewegung bildete, aber bis heute kein riesiger Menschheitsaufstand der Vernünftigen den werdenden Wahnsinn der nuklearen Weltvernichtung mit Atombomben ächtet und blockiert.

Michael Rannenberg, Berlin

Glücklich …

Sonntag, 16. April 2023. In der Morgendämmerung randalieren die Vögel im Garten. Geht die Nachttischlampe? Ja, sie leuchtet! Kein Netzzusammenbruch! Ein guter Morgen! In dieser Nacht steigt mein Staat aus der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung aus. Als linksgrüner Bürger der Republik tue ich mich meistens schwer, wenn ich stolz auf mein Land sein soll. Deutscher Perfektionismus im Beschreiten von gedanklichen Irrwegen hält mich immer wieder davon ab, Hurra zu rufen, wenn die schwarz-rot-goldene Flagge weht. Aber diesmal nicht: Wenn Intelligenz dazu führt, aus einem Irrweg auszusteigen, und das hierzulande, ja, dann fühle ich mich glücklich, zur Nation zu gehören! Michael Wildt, Münster