Anwalt über innenpolitische Verschärfungen: „Justiz stärken, nicht die Polizei“

Stefan Conen vom Republikanischen An­wäl­t*in­nen­ver­ein RAV kritisiert die innenpolitischen Pläne von Schwarz-Rot als rechtsstaatlichen Rückschritt.

Polizeifahrzeug an der Wache am Alexanderplatz, Abendstimmung mit Sonnenuntergang Berlin Mitte.

Auch der Alex gilt als „kriminalitätsbelasteter Ort“, die Polizeiwache dient aber eher als Infopoint Foto: Andreas Friedrichs/imago

taz: Im Koalitionsvertrag haben CDU und SPD im Bereich innere Sicherheit zahlreiche Verschärfungen vereinbart. Wie bewerten Sie die Maßnahmen?

Stefan Conen: Es ist ein rechtspolitisches Programm, das auf jeden Fall einen Rückschritt bedeutet. Die Polizei wird personell immer weiter aufgerüstet und die Justiz als Kontrollinstanz der Einhaltung der Bürgerrechte nicht. Wer Rechtsstaat will, muss die Justiz stärken und nicht die Polizei.

Die soll ja jetzt, ebenso wie das Ordnungsamt, mit Bodycams ausgestattet werden.

Das finde ich gut. Wenn unsere Mandanten von der Polizei verprügelt werden, raten wir ihnen meist von Strafanzeigen ab, weil sie dann zur vermeintlichen Legitimation auf jeden Fall mit einer Widerstandsanzeige belegt werden. Ich glaube, dass Bodycams alle Seiten disziplinieren und deeskalierend wirken könnten.

Stefan Conen

Rechtsanwalt und Mitglied im Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins sowie im Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV).

Polizeiliches Fehlverhalten zeichnen Bodycams allerdings nur selten auf.

Es muss verpflichtend geregelt sein, dass Bodycams einzuschalten sind und es nicht mehr dem Polizeibeamten obliegt, den Aus-Knopf zu drücken. Auch müssen die Aufnahmen unmittelbar jenseits des Beamten gespeichert werden. Wenn es der Polizei überlassen bleibt, was sie aufnimmt und was nicht und was sie im Extremfall sogar wieder löscht, dann ist das ein bürgerrechtlicher Rückschritt – statt einer Chance auf eine Objektivierung von Geschehnissen.

Der RAV kritisiert die Pläne von Schwarz-Rot als „Abbau von Rechtsstaat und Demokratie“. Was sind Ihre größten Sorgen?

Was ich rechtlich am kritischsten sehe, sind die Vorhaben im ASOG (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz, Anm. d. Red.). Das scheint mir verfassungsrechtlich gar nicht machbar zu sein. Die Strafverfolgung wird ausschließlich durch den Bund geregelt. Wie man auf die Idee kommen kann, die Quellen-TKÜ zur Bekämpfung von Straftaten lokal auszuweiten, ist mir ein Rätsel. Das geht nicht, da fehlt dem Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz.

Was bedeutet die Ausweitung der Quellen-Telekommunikationsüberwachung genau?

Weil bestimmte Messenger-Kommunikation, also über Whatsapp und Ähnlichem, Ende zu Ende verschlüsselt ist, kommt man da mit normalen Telefon-Abhörtechniken nicht ran. Deswegen wird ein Trojaner auf das Handy aufgespielt. Das Handy wird im Prinzip zu einer mobilen Wanze.

Gehen wir die einzelnen Maßnahmen mal durch. Der „finale Rettungsschuss“, also der gezielte Todesschuss durch Polizist*innen, soll rechtlich geregelt werden. Wie und warum?

Rechtlich braucht es das nicht. Das ist strafrechtlich über die Notwehr beziehungsweise Nothilfe geregelt. Es ist nicht strafbar, wenn ein Polizist etwa einen Geiselnehmer erschießt, um ein Menschenleben zu retten – wenn es nicht anders geht. Meine große Sorge ist, wenn man so etwas gesetzlich legitimiert, wenn es im Gesetz als weitere polizeiliche Maßnahme fixiert ist und an der Polizeiakademie gelehrt wird, dass das die Zurückhaltung nicht unbedingt fördert und zukünftig zu schnelleren Schüssen führen kann. Auf der anderen Seite ist es auch nicht fair, einen Polizisten mit der schwierigsten aller Entscheidungen alleine zu lassen.

Jemanden zu töten.

Ich finde den Begriff finaler Rettungsschuss schrecklich. Man muss hier klar sagen, wir regeln den finalen Todesschuss. Sonst verniedlicht man das und kleidet es allein in etwas Positives, und das, was es bewirkt, wird sprachlich ausgeblendet, nämlich die Tötung eines Menschen.

Apropos sprachliche Verniedlichung: Im Koalitionsvertrag ist viel von „Videoschutz“ die Rede, gemeint ist damit die Einführung von Videoüberwachung an sogenannten kriminalitätsbelasteten Orten (KbO). Ist das mit dem Datenschutz und den Persönlichkeitsrechten vereinbar?

Das kann man vermutlich vereinbar gestalten, aber selbst wenn es nicht verfassungswidrig ist, heißt das ja nicht, dass das gut ist. Das ist eine Einschränkung von Bürgerrechten, und wer Foucault gelesen hat, weiß, dass allein das Bewusstsein, überwacht zu werden, das Verhalten und die Freiheit einschränkt. Für mich ist das Symbolpolitik, die unverhältnismäßig in die Bürgerrechte eingreift. Drogenhandel wird nicht unter der Videokamera stattfinden, die Leute kriegen das ja mit und werden sie meiden. Studien belegen, dass Videoüberwachung keinen Rückgang der Kriminalität bewirkt, sondern nur Verlagerung. Was wiederum zu einer weiteren Ausweitung der Überwachung verleitet, wenn man sagt, dann ist das jetzt der neue KbO, der auch noch überwacht werden muss und so ­weiter.

An KbO sollen auch Messerverbotszonen eingeführt werden. Es gibt die Befürchtung, dass das zu anlasslosen Personenkontrollen und damit zu Racial Profiling führt. Wie schätzen Sie das ein?

Im Koalitionsvertrag heißt es, dass man „verhaltensabhängige Kontrollen“ durchführt. Dieses Verhalten ist aber nicht definiert, und ich kann natürlich jedem Menschen Verhalten zuschreiben, das ich verdächtig finde, was aber letztlich doch auf seine Hautfarbe zurückzuführen ist. Ich glaube, das wird steigen, weil die Messerverbotszonen ein Vorwand sind zu sagen, ich verdächtige jemanden, dass er ein Messer dabeihat, und durchsuche ihn. In den Ländern, in denen anlasslos kontrolliert werden kann, wie teils in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien, hat das zu einer ethnozentrierten Verfolgung geführt. Ich wüsste jetzt nicht, warum das in Berlin anders sein sollte und warum es das hier bräuchte.

Der Präventivgewahrsam soll von zwei auf fünf Tage ausgeweitet werden. In Bayern und Nordrhein-Westfalen wurde diese Maßnahme zuletzt vor allem gegen Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen eingesetzt. Ist das noch mit der Versammlungsfreiheit vereinbar?

Es ist immer problematisch, wenn man jemandem für künftiges Verhalten, was man bei ihm nur vermutet, die Freiheit nimmt. Auch hier wird sprachlich verharmlost: Gewahrsam ist nicht zu unterscheiden von Gefängnis. Das ist eine Haftsituation, die ohne Schuld verhängt wird.

Bringt das denn überhaupt was?

Bei Klimaaktivisten verhindert man damit nichts. Ob das zwei oder fünf Tage sind, dann klebt er sich halt am sechsten Tag fest. Das ist nicht Prävention, sondern Abschreckung. Abschreckung ohne festgestellte Schuld. Wen das vor allem betrifft, sind bislang Fußballfans. Die werden auf der Anreise eingesammelt und weggesperrt, weil etwas passieren könnte. Meiner Meinung nach passt das alles nicht ins positive Menschenbild des Grundgesetzes, das jeden Menschen als Chance und nicht als potenzielle Gefahr sieht.

Auch das Versammlungsfreiheitsgesetz soll überarbeitet und der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ wieder eingeführt werden. Welche Konsequenzen hat das?

Öffentliche Ordnung ist ein problematischer Begriff, weil er sich auf ungeschriebene Regeln jenseits der Gesetze bezieht. Wenn man damit Versammlungen verbietet, ist das verfassungswidrig. Die Versammlungsfreiheit schützt auch das Recht von Minderheiten, gegen ein Anstandsgefühl der Mehrheit zu demonstrieren, solange dabei keine Gesetze gebrochen werden.

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