Hass gegen Presse in Europa: Faktenchecker bedroht

Am 2. April ist Tag des Faktenchecks. Zeit, zu checken, wie es Faktencheck-Organisationen ergeht. Eine Studie alarmiert: Der Hass wird immer größer.

Lupe auf Zeitungspapier

Es ist die erste Umfrage zu gezielter Desinformation und Online-Gewalt gegen Faktenchecker Foto: Imago

BERLIN taz | Faktencheck-Organisationen beklagen vermehrt Hass und Angriffe wegen ihrer Arbeit. Das geht aus vorläufigen Ergebnissen einer Umfrage hervor, die die kroatische Fact-Checking-Organisation Faktograf in ganz Europa durchgeführt und nun veröffentlicht hat. Die Belästigungen reichen demnach von verbalen Beschimpfungen bis hin zu koordinierten Verleumdungskampagnen, umfassen geschlechtsspezifische Gewalt, willkürliche Klagen sowie „Doxing“, also das Veröffentlichen von privaten Informationen.

Die Umfrage ist laut Faktograf die erste, die sich mit den Auswirkungen von gezielter Desinformation und Online-Gewalt gegen Faktenchecker befasst. Sie entstand im Rahmen eines Projekts zu Desinformations-Kampagnen des International Press Institute, in dem Faktograf und die taz zusammenarbeiten.

An der Befragung zwischen Dezember 2022 und Januar 2023 nahmen 41 von 68 Unterzeichnern des Grundsatzkodex des International Fact-Checking Network (IFCN) in Europa teil. Dieses Netzwerk hat sich unter anderem der Einhaltung der Standards bei Faktenchecks verschrieben, Mitglieder in Deutschland sind beispielsweise der Bayerischer Rundfunk mit dem BR24 #Faktenfuchs, die Deutsche Presse-Agentur und CORRECTIV.org.

Neun von zehn Fact-Checking-Organisationen gaben laut Faktograf an, dass die Verleumdungen von PolitikerInnen, Regierungsbeamten, MedienexpertInnen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ausgingen. Ziel der Angriffe sei es, die Glaubwürdigkeit der Faktenprüfer zu untergraben. Sieben von zehn der Befragten hätten zudem Kampagnen erlebt, die unter anderem koordiniertes Verhalten wie Stalking, „Doxing“ oder geschlechtsspezifische Gewalt umfassten.

Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg verstärken den Hass

Die Häufigkeit der Belästigungen habe während der Corona-Pandemie zugenommen, erklärte Faktograf. Auch die Invasion Russlands in der Ukraine habe das verstärkt. Zudem wirkten die Zeiten von Wahlkämpfen wie „Katalysatoren für Desinformationskampagnen“ gegen die Faktenprüfer.

Die kroatische Organisation Faktograf sei seit Jahren auch selbst mit verschiedenen Arten von Belästigungen und Drohungen konfrontiert, erklärte deren Geschäftsführerin Ana Brakus: „von anonymen Gewaltandrohungen und Todesdrohungen bis hin zu SLAPP-Klagen.“ Als solche bezeichnet man willkürliche und missbräuchliche Klagen, die nur zum Zweck der Einschüchterung von KritikerInnen geführt werden. „Leider hat sich gezeigt, dass unsere Erfahrungen bei Faktograf nicht einzigartig sind und dass Belästigungen in der Fact-Checking-Gemeinschaft weit verbreitet sind“, sagte Brakus.

Faktograf wurde 2015 gegründet. Die kroatische Organisation arbeitet auch mit dem Konzern Meta zusammen und überprüft auf deren Social-Media-Netzwerk „Facebook“ Inhalte auf Wahrheitsgehalt und bietet Kontextinformationen. Seit 2016 betreibt der Konzern Meta, der früher Facebook hieß, ein Kooperationsprogramm, um Falschinformationen auf seinen Plattformen zu begegnen. Weltweit nehmen daran laut Meta über 90 Organisationen teil, in Deutschland eigene Abteilungen der Deutschen Presse-Agentur und von Correctiv.org.

Echokammern für den Hass

Sarah Thust, Faktencheckerin bei Correctiv, erklärte der taz: „Nur über die Kooperation sind wir in die Lage, Faktenchecks dort sichtbar zu machen, wo sie dringend gebraucht werden.“ Das sei besser, als die Beiträge auf den Plattformen einfach zu löschen – denn dann fände keine Aufklärung statt.

Aus ihrer Sicht sollte Meta insgesamt konsequenter gegen Hass und Hetze vorgehen – das betreffe allerdings nicht nur die Angriffe gegen Faktencheck-Organisationen. Algorithmen der Plattformen förderten zudem Echokammern und auch negative Interaktionen.

Die Anzahl der Drohungen und Beleidigungen gegen ihr Team schwanke stark, sei aber während der Corona-Pandemie besonders hoch gewesen, erklärte Thust. „Themengebiete wie Migration, Covid-19-Impfstoffe, aber auch der Klimawandel ziehen sowas oft an.“ Drohungen oder Beleidigungen kämen von RechtsextremistInnen, ReichsbürgerInnen und Verschwörungsgläubigen.

„Diese Nachrichten richten sich in erster Linie gegen die Frauen in unserem Team und sind teils sehr persönlich“, sagte Thust. „Auch Vandalismus am Bürogebäude haben wir schon erlebt.“ Hier würden sie eine Grenze ziehen und die Fälle auch der Polizei melden. „Zu konkreten Ergebnissen hat das bisher kaum geführt.“

Kaum Vertrauen in die Polizei

Diese Erfahrung ist kein Einzelfall. Faktograf hatte in der europaweiten Umfrage auch den Umgang der Behörden mit den Bedrohungen thematisiert. Dabei kam heraus, dass die Faktencheck-Organisationen die Fälle in der Regel nicht bei der Polizei anzeigten, da sie nicht darauf vertrauen, dass es zu einer Untersuchung komme. Teilweise wurde gar erwartet, dass sich die Situation noch verschlimmern könne.

Javier Luque vom International Press Institut besorgt diese Entwicklung. Es entstehe ein Umfeld, „in dem sich Belästiger mit einer politischen oder wirtschaftlichen Agenda ermächtigt fühlen, unabhängige Nachrichtenquellen anzugreifen und zu diskreditieren.“ Luque fordert: „Die Behörden in Europa müssen Ressourcen bereitstellen, um diese Trends zu überwachen, die Fälle zu untersuchen und die Täter dieser Art von Angriffen zur Rechenschaft zu ziehen.“

Dieser Bericht ist Teil des Projekts „Decoding the disinformation playbook of populism in Europe“, das vom International Press Institute geleitet und in Zusammenarbeit mit Faktograf und taz durchgeführt wird. Das Projekt wird von dem European Media and Information Fund unterstützt, der von der Calouste-Gulbenkian-Stiftung verwaltet wird.

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