Unser digitalisiertes Leben: Widerstand ist nicht zwecklos!

Ein Großteil des Technikkrams, der helfen soll, bewirkt bei mir das Gegenteil. Hilfreich ist es dagegen, einfach mal das Handy aus der Hand zu legen.

Ein Fahrgast sitzt auf einer Treppe zu den Gleisen und blickt auf sein Smartphone.

Braucht nicht implantiert werden: ein Smartphone und sein Mensch in Bielefeld Foto: dpa / Friso Gentsch

Entweder werde ich immer unfähiger oder die Welt doch komplizierter ­– zum Beispiel beim Bedienen technischer Geräte. „Völlig inkompetent“, sagt meine Tochter und nimmt mir das Tablet mitleidig aus der Hand, um nicht mit anschauen zu müssen, wie ich es mindestens drei Mal um seine eigene Achse drehe, beim Befummeln versehentlich ausschalte, es immer noch einmal lauter mache, bevor es mir schließlich gelingt, die Lautstärke herunterzuregeln.

Drehknöpfe konnte ich. Heutzutage scheint es mir, als befänden sich die Tasten an ein- und demselben Gerät ständig an anderer Stelle, und jede App versteckt die Lautstärkeregelung sowieso nochmal woanders. Und wenn ich meinen vermeintlich intelligenten Sprachassistenten Siri bitte, die Musik leiser zu machen, muss ich mich mit dem sogar noch länger ablabern, als es dauert, bis ich die winzigen Knöpfchen durch mein hilfloses Herumnesteln selber gefunden habe.

Ein Großteil des Technikkrams, der mir helfen soll, bewirkt bei mir genau das Gegenteil. So muss ich jetzt auf meiner eigenen Internetseite Cookies akzeptieren. Das kapiere ich genau so wenig, wie den Ausdruck Self-Scan-Service für die SB-Kasse im Supermarkt: Was denn für ein Service? Dass man endlich in Ruhe seine Sachen einpacken kann?

Ich persönlich mag lieber Service mit Menschen. Wenn ich schon fliege, möchte ich am Flughafen gerne an einen Schalter gehen, meinen Koffer aufs Band hieven, zuschauen, wie die Frau beunruhigend lange auf den Bildschirm blickt, bis sie mir unvermittelt eine Bordkarte reicht und lächelnd die Worte, „Ich wünsche Ihnen eine gute Reise“, spricht.

Alles wird immer unübersichtlicher

Stattdessen tippsel ich nun gestresst allein auf einem Self-Checkin-Automaten oder in einer extra dafür benötigten App herum, um dann spätestens beim Self-Bag-Drop doch jemanden vom humanoiden Personal zu benötigen, weil die Scheiße nicht funktioniert. Beim letzten Mal lag es daran, dass ich irgendwie ein Businessticket hatte. Damit musste (oder durfte) ich doch wieder an einen Schalter. Übrigens konnte ich danach zum ersten Mal im Leben die Fast Lane am Security-Check nutzen, aber nicht die Slot and Fly Lane – dafür hätte ich online ein Zeitfenster für die Sicherheitskontrolle buchen müssen.

Alles wird immer unübersichtlicher oder ich immer eingeschränkter. Genau wie die ganze Political Correctness. Für meine Teenie-Tochter ist es „safe kein Ding“, dass ihr mädchenförmige Jugendliche mit Jungs-Namen vorgestellt werden. Ich dagegen finde das peinlicherweise irgendwie gut. Genau, wie ich es irgendwie gut finde, wenn sich in der U-Bahn Jungs küssen, wenn ich Menschen mit Down-Syndrom, Kopftuch oder verschiedenste Hautfarben sehe.

Das ist diskriminierend, ich weiß. Ich würde gerne, wie mein Sohn Willi, einfach gar keine Kategorien bei Menschen wahrnehmen. Aber dafür müsste ich wohl, so wie er, geistig behindert sein, oder mich endgültig assimilieren lassen und auch zombiemäßig mit Stöpsel im Ohr pausenlos auf meinem Smartphone herumwischen.

Als Teil des Social-Media-Kollektives muss man nämlich nichts mehr um sich herum wahrnehmen. Nicht mal, dass eine Person mit Gehhilfe keinen Sitzplatz hat, während neben mir mein Rucksack sitzt. Wozu ich allerdings unterwegs ständig meinen Fahrplan, die Uhr, die Wetter-App und meine Mails öffne, weiß ich selber nicht. Wahrscheinlich, damit ich nicht sehen muss, dass wir alle wie die Borg bei Raumschiff Enterprise dasitzen, uns an unsere Smartphones klammern, die uns einzig deswegen nicht implantiert werden müssen, weil wir sie ohnehin freiwillig nie loslassen. Dann überkommt mich Handy-Scham.

Aber Widerstand ist nicht zwecklos! Ich stecke das Ding für ein paar Minuten weg und freue mich heimlich über die echte Welt, in der so viele verschiedene Menschen leben, sogar welche, die kein Smartphone haben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.