Berliner Zoo: Rund 150 Menschenjahre alt

Fatou lebt im Zoo Berlin. Sie hat keine Zähne mehr, das Futter wird vorgekocht. Am 13. April wird die älteste Gorilladame der Welt 66 Jahre alt.

Der Gorilla Fatou vor einem Baum im Zoo Berlin

Kann trotz des hohen Alters noch gut gucken- sprich Gemüse auffangen Foto: Zoo Berlin

BERLIN taz | Die Arme vor dem kugelrunden Bauch verschränkt, die Beine angewinkelt liegt Fatou in der Holzwolle. Erwachsene und Kinder drängen sich vor der Fensterscheibe des gekachelten Gorillageheges im Berliner Zoo, klopfen an das Glas, winken und schreien. Gänzlich unbeeinträchtigt davon hält Fatou auf der anderen Seite direkt an der Scheibe ihr Nickerchen.

Nach Angaben des Zoos ist Fatou der älteste Gorilla der Welt. Am heutigen Donnerstag wird sie 66 Jahre alt. Einen verzehrbaren Blumenstrauß werde sie bekommen, sagt eine Zoosprecherin. Geburtstage von bedeutenden Tieren werden immer gefeiert, auch wenn das Geburtsdatum, so wie im Fall der Gorilladame, nur ein ungefähres ist.

Anders als ihre Artgenossen, die alle aus tiergärtnerischen Nachzuchten stammen, ist Fatou der letzte im Zoo lebende „Wildfang“. Ein Matrose soll sie aus Afrika auf einem Schiff nach Frankreich mitgebracht und einer Wirtin als Zeche überlassen haben. 1959 gelangte sie über Umwege in den Zoo Berlin, wo sie mittlerweile das älteste Säugetier ist. „Sie ist wirklich sehr alt“, sagt Tierarzt André Schüle, einer von zwei Veterinärmedizinern des Zoos. „Von Menschenjahren her würde das 150 Jahren entsprechen.“

Nur noch Schlafen und Essen

Unvermittelt kommt in den Berg aus schwarzem Fell Bewegung. Ein Auge öffnet sich, ein Finger kratzt sich an der Nase, dann setzt sich Fatou langsam auf. „Ui, Ui“, ruft aufgeregt ein beleibter älterer Mann, der vor dem Gorillagehege seinen Stammplatz zu haben scheint. Jede Bewegung wird von ihm kommentiert. Fatou lebt alleine in ihrem Käfig, der Rest der Gorillaherde befindet sich im Nachbarkäfig: das einzige männliche Tier in der Gruppe, Silberrücken genannt, drei Gorillaweibchen und ein zweijähriges Kleines. Fatou, „die Oma“ sei „nur noch am Schlafen und Essen“, belehrt der Zuschauer die Umstehenden.

Mit spitzen Fingern zieht Fatou, die bereits Urgroßmutter ist, eine – gekochte – Möhre aus einem Busch von Zweigen. Ganz langsam und gemächlich bewegt sie sich. Geriatrisches Tempo nennt Zootierarzt Schüle das. Fatou habe Arthrosen in den Knien und Ellenbogen. Aber sie komme noch zurecht, auch klettern könne sie noch. Im Außenbereich habe man ihr ein Seil hingehängt, um das Herunterkommen zu erleichtern.

Gorillas sind reine Pflanzenfresser. Für Fatou werde aber alles vorgekocht, sagt Schüle. Möhren, Zucchini, Pastinaken, Paprika – alles. Sie habe keine Zähne mehr im Mund, nur noch eine Kauleiste, und das schon seit Jahren. Der Zahnverfall sei darauf zurückzuführen, dass Affen im Zoo früher Süßigkeiten in Form von gesüßtem Obst bekamen. „Das ging auf die Zähne.“ Das mache man heutzutage nicht mehr.

In Freiheit würden Gorillas maximal 40 Jahre alt, weiß Schüle. Der Einfluss von Krankheiten wie Ebola sei verantwortlich für einen starken Rückgang des Bestandes. Natürlich seien die Pflege und Nahrungssicherheit der Grund, warum Zootiere deutlich älter werden würden. Sie einzuschläfern sei nur dann eine Option, wenn man dadurch unnötiges Leiden verhindern könne.

Fatou gehe es gut, „nur manchmal hat sie Verstopfung“, sagt Schüle. „Jederzeit ist mit ihrem Ende zu rechnen“, bis dahin bekomme sie im Zoo ihr Gnadenbrot. Schon seit vielen Jahren lebe sie in ihrer „Seniorenresidenz“. Normalerweise lebten Gorillas im Sozialverband. Fatou sei früher Teil der Gruppe gewesen, erzählt Schüle, sei aber nun seit vielen Jahren Einzelgängerin. Sie sehe und höre die anderen im Nachbargehege, es gebe auch „ein Schmusegitter“ zur Gruppe, aber dem weiche sie eher aus.

Lebendes Inventar

Für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zoos sei Fatou „ein Stück lebendes Inventar“, sagt Schüle. „Jeder hat eine besondere Beziehung zu dem Tier.“ Auch er selbst. Bei einem Zoobesuch mit seinen Großeltern habe er sie das erste Mal gesehen, da sei er noch ein kleiner Junge gewesen. „Wenn man heute draußen am Freigehege vorbeigeht und sie ruft, erkennt sie einen“, sagt Schüle. Wenn man Fatou Gemüse zuwerfe, könne sie das noch erstaunlich gut fangen. „Sie muss also noch klare Linsen haben.“

Gutes Augenlicht sei keine Selbstverständlichkeit bei alten Gorillas. Im Zoo Rostock habe vor einigen Jahren ein erblindeter Silberrücken gelebt. Der habe sich nur noch an den Wänden entlanggetastet, die anderen hätten ihm immer das Futter geklaut.

Bei einer Operation in Rostock, bei der Schüle zugegen war, seien dem Tier von einem Human-Augenspezialisten künstliche Linsen eingesetzt worden. An das, was dann kam, erinnert sich Schüle noch genau: „Als der Gorilla aus der Narkose erwachte, hat er seine Hände betrachtet.“ Es habe so gewirkt, als fasse das Tier nicht, dass es wieder sehen konnte. „Bei der ersten Fütterung hat er alle anderen dann erst mal richtig verprügelt.“

Fatou ist wieder in die Holzwolle gesackt. Die Augen sind zugeklappt, die Möhre hat sie vergessen, sie gleitet ihr aus der Hand und rollt neben ihr über den Boden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.