In der Notaufnahme: Begib dich nicht direkt dorthin

Wenn es im Bauch ziept, schickt einen der Arzt in die Notaufnahme. Der Chef der Kassenärzte will, dass diese Besuche was kosten. Über ein System, das selbst ein Fall für die Notaufnahme ist.

Hinweis zu einer Notaufnahme

Hierhin bitte, oder lieber nicht Foto: zoonar/imago

Neulich ging ich nach einer ­ziemlich harten Nacht mit erhöhter Magen-Darm-Aktivität und ­Schweißausbrüchen zum Arzt. Der hörte Lunge und Herz ab und drückte kurz auf den Bauchnabel. Ich sagte, dass das ein bisschen ziepe.

„So können wir Sie natürlich nicht rumlaufen lassen“, grinste er. „Das muss ein Chirurg klären. Ich schreib Ihnen jetzt eine Überweisung in die Notaufnahme. Da gehen Sie jetzt einfach direkt von hier aus hin.“

Meine Neurotransmitter schickten ihre Botenstoffe zum Lambadakurs, und ich konnte nur noch nicken. „Sie können da mit der U-Bahn hinfahren, aber auch mit dem Auto, die haben da viele Parkplätze. Und dann gehen Sie aber nicht zum Haupteingang, sondern folgen einfach immer den Schildern ‚Notaufnahme‘“, plapperte der Arzt weiter.

Einerseits wünschte ich, er hätte mehr Aussagen zu meinem körperlichen Zustand gemacht, als Auskünfte über Parkplatzmöglichkeiten und Beschilderung der Notaufnahme zu geben. Andererseits fragte ich mich, ob ich vielleicht schon geistig umnachtet war und es nur nicht merkte und der Arzt deswegen die banalen Dinge so ausführlich darlegte. Immerhin hielt er es für akut möglich, dass ich den Tag nicht überleben würde, sonst würde er mich ja nicht in die Notaufnahme schicken. „Wenn sie Sie gleich dort behalten, kriegen Sie die Krankschreibung von denen. Sonst kommen Sie einfach noch mal zu mir und dann kriegen Sie die von mir“, informierte er mich der Arzt weiter.

Null

Ich stehe womöglich kurz vor dem Exitus, aber gut, dass ich jetzt noch erfahre, wo ich im Fall meines Überlebens die Krankschreibung herkriege.

In der Notaufnahme angekommen, antworte ich auf die Frage, wie schwer meine Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10 sind: „Null.“ „Was machen Sie dann hier?“, fragt die Schwester. „Der Arzt hat auf meinen Bauch gedrückt und da hat es geziept“, sage ich.

Während ich dann im Wartebereich warte, höre ich Funksprüche über einen Verkehrsunfall mit Schwerverletzten, wird ein alter Mann mit blutendem Kopf auf einer Bahre reingefahren, kommt ein bleicher Mann vorbei, den Arm und den halben Kopf in Mullbinden gehüllt.

Während mir von Minute zu Minute peinlicher wird, dass ich hier bin, höre ich, wie die Aufnahmeschwester mit einem Angestellten spricht: „Die Frau da hinten schiebst du dann nach hinten. Bei der ziept’s.“ Ich denke kurz, dass ich aufstehen und gehen sollte. „So weit sind wir schon. Die Ärzte schicken die Leute jetzt einfach in die Notaufnahme, statt sie zu untersuchen“, höre ich sie sagen. Also genau das, was ich irgendwie auch die ganze Zeit dachte.

„Können Sie die Jacke noch alleine ausziehen?“, fragt mich eine Notaufnahme-Krankenschwester, die meinen Blutdruck messen will. Ich könnte sogar noch Lambada tanzen, denke ich. Die ganze Sache wird mir immer peinlicher.

In den nächsten zwei Stunden werde ich von Azubis, Studentinnen im Praktischen Jahr und Bauch-Chirurgen extrem freundlich und ausführlich begutachtet, abgetastet und am Ende darüber informiert, dass keinerlei akute Gefahr bestehe. Das einzige Gerät, was neben dem Blutdruckgerät übrigens zum Einsatz kam, war ein Ultraschall.

Auf meine Frage, ob der niedergelassene Arzt nicht auch hätte feststellen können, dass ich den Tag auf jeden Fall überleben würde, wird nur gelacht.

Remember Praxisgebühr?

Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen, plädiert dafür, eine Gebühr für Pa­ti­en­t*in­nen einzuführen, die künftig ohne vorherige telefonische Ersteinschätzung in eine Notaufnahme kommen. Wer noch in der Lage sei, selbst in eine Notaufnahme zu gehen, sei oft kein echter medizinischer Notfall. Lauterbach erteilte dem Vorstoß für eine Gebühr am Nachmittag allerdings bereits eine Absage.

So richtig das sein mag, aber die Frage ist: Warum? Na ja, haben Sie mal mit einem halbwegs akuten Problem versucht, einen Termin bei Haus- oder Fach­ärz­t*in­nen zu bekommen, der nicht erst in sechs Monaten ist?

Nicht die Pa­ti­en­t*in­nen sind das Problem, sondern das System. Für immer weniger Ärz­t*in­nen lohnt es sich, Kas­sen­pa­ti­en­t*in­nen anzunehmen. Dass Ärz­t*in­nen lieber eine schnelle Notfallüberweisung schreiben, statt eine ordentliche Untersuchung zu machen, ist eine der Konsequenzen. Das deutsche Gesundheitssystem ist längst ein Fall für die Notaufnahme.

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

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