kritisch gesehen: „lovesong“ – deutschlandlied-performance von daniel dominguez teruel
: Erkennen Sie die Melodie?

Am Anfang war da nur das Quietschen zu hören, das ein über die Fläche kreisendes Bodenreinigungsgerät verursacht: eine Aufsitzscheuersaugmaschine mit einer Riesentaube am Steuer. Das sagt zumindest die Erinnerung an die Aufführung in Bremen im September. Irgendwann aber war dann der einschlägige Rhythmus dazugekommen, oder die Tonhöhe ist so diskret manipuliert worden, dass sich das Melodiegedächtnis getriggert gefühlt und die Klangfragmente im Kopf zu Joseph Haydns klassischem Thema zusammengesetzt hat: dem Deutschlandlied. Vielleicht war diese Wahrnehmung auch nur Einbildung gewesen, weil ja der Hamburger Komponist Daniel Dominguez Teruel versprochen hat, sich musiktheatralisch mit der Nationalhymne auseinanderzusetzen.

Und das tut seine Performance „Lovesong“ auch, die nach vielen Festival-Präsenzen nun in Hamburg zu sehen ist: Extrem dicht, extrem schlüssig, zupackend, aber nicht plakativ und vereinfachend lotet es die Grenzen aus – die Begriffe Nation und Grenze unterhalten eine innige Beziehung; wie lange die Melodie wahrnehmbar bleibt, wenn sie moduliert wird, gestreckt, mit Mitteln des Popsongs und des Choralsatzes bearbeitet, auf perkussive Impulse reduziert oder elektronisch verfremdet: Das Begriffspaar Fremdheit und Zugehörigkeit schwingt immer mit. Lässt sich diese Melodie überhaupt löschen, wegwischen? Und welche musikalischen Möglichkeiten verbergen sich in ihr?

Damit bewegt sich Teruel sehr nah an den Ursprüngen: Nicht nur hatte Komponist Haydn sein Thema zum Lobpreis von Franz dem Kaiser aus der kanonischen Paternoster-Kantilene abgeleitet, sondern in einem Variationssatz auch auf seine Potenziale abgeklopft. Und in diesem dezidiert österreichischen Lied wiederum hat dann der Vormärz-Lyriker August Hoffmann aus Fallersleben die Inspiration gefunden für ein Gedicht, das die Einheit der Nation beschwören sollte. Nicht das Volk macht das -slied, sondern umgekehrt: Das Volk wird hergestellt durch Gesänge, die ihm erfolgreich eingeschrieben wurden.

Der musikalischen Finesse entsprechen kluge szenische Setzungen. Manche sind einfach nur lustig. Großartig aber ist das zunächst wie ein Kuriosum wirkende Quartett der Fahnenschwinger: Diese marginalisierte Sportart, weit älter als die modernen Nationen, wird hier nicht als sonderbares Hobby vorgeführt. Die anspruchsvolle Choreografie mit schwarz-rot-goldenen Flaggen gerät vielmehr zu einer zentralen Szene, in der sich ein ernst-ritualisierter und zugleich spielerischer Umgang mit dem Staatssymbol virtuos artikuliert, sich ganz eigentümlich Respektlosigkeit und ein befremdendes Pathos verbinden.

Daniel Dominguez Teruel, „Lovesong“: 31. 3. + 1. 4., Hamburg, Kampnagel. Teruels Performance „Voices“ wird am 29. und 30. 3. dort uraufgeführt

Das aber kommt zumal in einer Reprise ganz zum Schluss zum Tragen. Ohne Requisit und im Dunkeln ganz ausgeführt wirken die Bewegungsabläufe nun geradezu gespenstisch. Das Lied der Deutschen aber schwingt in ihnen mit als stummes Wispern. Benno Schirrmeister