Rechtsgutachten zu Tierschutz: Kuhhaltung oft illegal

Milchvieh leide häufig so stark, dass das Tierschutzrecht verletzt wird, kritisiert ein Greenpeace-Gutachten. Agrarminister Özdemir müsse einschreiten.

Vier Kühe auf einer Weide

Von solchen Zuständen können Milchkühe nur träumen. Die meisten müssen im Stall bleiben Foto: Countrypixel/imago

BERLIN taz | Die Haltung von Milchkühen in Deutschland verstößt laut einem Rechtsgutachten im Auftrag von Greenpeace oft gegen das Tierschutzgesetz. „Deutschland braucht dringend eine klare Rechtsvorschrift, wie die Millionen Milchkühe hier gehalten werden dürfen“, sagte Martin Hofstetter, Agraringenieur der Umweltorganisation, am Montag. „Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir muss dazu einen Vorschlag für nationale Mindestvorgaben vorlegen. Milchkühe ganzjährig anzubinden und die Hornanlagen bei Kälbern ohne Schmerz- und Betäubungsmittel auszubrennen gehört umgehend verboten“, forderte der Umweltschützer. Bislang fehlten Regeln speziell für Rinder.

In Deutschland werden laut Bundesagrarministerium rund 3,8 Millionen Milchkühe gehalten. Die Branche ist demnach mit einem Anteil von 18 Prozent am Produktionswert der wichtigste Zweig der deutschen Landwirtschaft. Jeder Mensch in Deutschland verbraucht den Angaben zufolge im Schnitt ungefähr einen Liter Milch pro Tag in Form von beispielsweise Trinkmilch, Käse oder Butter. Dabei steht die Rinderhaltung für einen Großteil der rund 13 Prozent des Treibhausgasausstoßes in Deutschland (inklusive der Emissionen aus Agrarböden und landwirtschaftlichem Verkehr), den die Bauern verursachen.

Zudem sind die Haltungsbedingungen der Kühe Greenpeace zufolge oft „schmerz- und leidvoll“. Das halten die drei JuristInnen, die das Gutachten verfasst haben, für Verstöße etwa gegen Paragraf 2 des Tierschutzgesetzes. Diese Vorschrift verlangt, Tiere artgerecht zu halten und die Möglichkeit zu artgemäßer Bewegung „nicht so einzuschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden“.

Doch die Wirklichkeit sieht häufig anders aus: „Viele Tiere müssen das ganze Jahr im Stall stehen, werden dort zum Teil über Monate fixiert oder sind in zu engen Laufställen ohne Auslauf und Weidegang untergebracht“, beklagte Greenpeace. Zwar hätten viele VerbraucherInnen ein idyllisches Bild der Milchproduktion. In Wirklichkeit würden aber nach amtlichen Angaben nur noch knapp ein Drittel der Milchkühe im Sommer auf die Weide kommen, 10 Prozent würden im Stall am Hals fixiert.

Viele Milchkühe müssen immer im Stall stehen und werden am Hals fixiert

Weil die Kühe zu stark auf maximale Milchleistung gezüchtet würden, nehme die Gesundheit der Tiere Schaden, teilte Greenpeace mit. Sie litten häufig unter Stoffwechselstörungen, Unfruchtbarkeit, Euterentzündungen und Klauenkrankheiten. „Anstatt die Ursache der Krankheiten, die leistungsbedingte Überforderung der Tiere zu bekämpfen, wird versucht, die Krankheiten mit Infusionen, Antibiotika und Hormonen klein zu halten.“ Dennoch würden Milchkühe in Deutschland nur 4 bis 5 Jahre alt, obwohl die natürliche Lebenserwartung dieser Tierart bei 15 bis 20 Jahren liege. Studien in den USA hätten gezeigt, dass die „Abgänge“ von Milchkühen vor allem durch Krankheiten verursacht würden, sagte Holger Martens, emeritierter Professor am Institut für Veterinär-Physiologie der Freien Universität Berlin.

Die „produktionsbedingten Krankheiten“ würden meist dann auftreten, wenn die Kühe das erste Mal Milch geben, so Martens weiter. Das zeige, dass die Tiere durch die hohe Milchleistung überfordert würden. Davina Bruhn, Rechtsanwältin und Co-Autorin des Gutachtens, kritisierte, „dass dies bei Hochleistungskühen qualzüchterische Ausmaße annimmt“. Deshalb seien konkrete Regelungen nötig, „wann bei Milchkühen von Qualzucht im Sinne des Tierschutzgesetzes auszugehen ist“. Der Gesetzgeber müsse dem Staatsziel Tierschutz aus dem Grundgesetz gerecht werden.

Die Ampelkoalition habe zwar versprochen, Lücken in der Nutztierhaltungsverordnung zu schließen, sagte Hofstetter. „Aber wir befinden uns jetzt in der Mitte der Legislatur, und es ist nicht viel passiert.“ Die angekündigte Frist von zehn Jahren bis zum Ende der Anbindehaltung sei zu lang.

Der Deutsche Bauernverband dagegen lehnt ein Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung ab, weil dann gerade kleinere Höfe aus der Milchproduktion aussteigen müssten. Generalsekretär Bernhard Krüsken teilte der taz mit: „Das sogenannte Gutachten ist eine Zusammenstellung von allgemeinen Vorwürfen und Gemeinplätzen und bringt die Diskussion nicht wirklich weiter.“

Özdemirs Ministerium erklärte, es erarbeite „spezifische Haltungsanforderungen“. Zudem werde es sich weiter dafür einsetzen, dass konkrete Regeln für das Halten von Milchkühen und anderen Rindern auch ins europäische Tierschutzrecht aufgenommen werden, schrieb eine Sprecherin des Grünen-Politikers der taz. „Der Ausstieg aus der Anbindehaltung muss verhältnismäßig für alle Beteiligten gestaltet werden.“

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