Justizreform in Jerusalem: Viel Lärm um Unklares

Ben-Gvir würde sich gern als Chef von Israels Nationalgarde sehen. Dass der rechtsextreme Politiker das Kommando bekommt, ist aber unwahrscheinlich.

Itamar Ben-Gvir geht einen gang entlang

Würde sich gern als Chef von Israels Nationalgarde sehen: Sicherheitsminister Ben-Gvir Foto: Ronen Zvulun/ap

Eine „Nationalgarde“, wie sie sich der rechtsextreme Politiker und Minister Itamar Ben-Gvir für Israel wünscht, ist eigentlich auch schon vom Klang her für israelische Ohren fremd. Das israelische Militär heißt im Hebräischen „Armee zur Verteidigung Israels“, die Polizeikräfte nennen sich „Israels Polizei“. Mit einer Nationalgarde assoziiert man eher autoritäre Regime besonders in arabischen Staaten der Region.

Der Hang zur expliziten Verwendung des Begriffs „national“ bei der Benennung staatlicher Organe kennzeichnet in Israel bekanntlich weit stärker die Rechte als die Linke. Benjamin Netanjahus Parteifreund Ariel Scharon erhielt 1996 ein „Ministerium für nationale Infrastrukturen“ und Netanjahu rief drei Jahre später den „Rat für nationale Sicherheit“ ins Leben. Doch selbst in seiner langen Regierungszeit hielt sich die „Nationalisierung“ der Ministerien in Grenzen – es kam nur ein „Nationaler Minister für Digitales“ hinzu.

Bei der rechtsextremen Partei Die nationale Union begann Itamar Ben-Gvirs politische Karriere. Als Netanjahu ihn Ende 2022 in die Regierung holte, ließ sich Ben-Gvir zum „Minister für nationale Sicherheit“ erklären – zuvor hieß das Ressort „Innere Sicherheit“. Seine Par­tei­freun­d*in­nen von Otzma Yehudit (Jüdische Stärke) zeichnen für ähnlich lautende ministerielle Ressorts verantwortlich: „Siedlung und nationale Aufgaben“, „Negev, Galiläa und nationale Stärke“.

Die nationalistische rhetorische Färbung ist ein unverkennbarer Wesenszug dieser Partei, und Ben-Gvir macht keinen Hehl daraus, dass er sich in der Rolle eines Oberbefehlshabers einer „Nationalgarde“ gefallen würde. Allerdings verfügt der israelische Staat schon seit Juni 2022 über eine solche, sie trägt aber die Bezeichnung „Israelische Garde“.

Zehntausende Freiwillige mit Kampferfahrung

Mit ihrer Gründung folgten Ben-Gvirs Amtsvorgänger Omer Bar-Lev und der damalige Ministerpräsident Naftali Bennett einer dringenden Empfehlung hochrangiger Militärexperten, die mit Sorge beobachteten, dass die israelische Polizei bei der Bewältigung der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Arabern und Juden im Mai 2021 besonders in den gemischten israelischen Städten völlig überfordert war.

Bennett und Bar-Lev entschieden sich in erster Linie für die Rekrutierung von Freiwilligen für die Grenzschutzeinheiten, die unter dem Kommando der israelischen Polizei stehen. Die Rede war von mehreren Tausend Personen; allerdings konnten nur rund 600 dafür gewonnen werden. Auch deshalb kündigten Ben-Gvir und der ihm unterstehende Polizeichef Kobi Schabtai auf einer Pressekonferenz im Januar nicht nur einen massiven Ausbau und eine weit bessere Bezahlung der Polizeikräfte an, die seit Jahren an einem immer dramatischeren Personalschwund leiden.

Auch die Gründung einer „Nationalgarde“ wurde bekanntgegeben, die schon im Koalitionsvertrag zwischen Netanjahus Likud und Ben-Gvirs Partei vereinbart worden war. Damit dürfte die bereits im Aufbau befindliche „Israelische Garde“ – sie wurde auf der Pressekonferenz nicht einmal erwähnt – ad acta gelegt werden. Der auf der Pressekonferenz vorgestellte Plan der beiden sah eine Verdoppelung der Grenzschutzeinheiten sowie die Rekrutierung von zehntausend Freiwilligen mit Kampf­er­fah­rung vor.

Ben-Gvir und Schabtai unterstrichen bei diesem Anlass, dass die Nationalgarde unter dem direkten Kommando von Schabtai in seiner Funktion als Polizeichef stehen würde – eine Antwort auf die öffentliche Kritik, dass der wegen Volksverhetzung und Unterstützung einer Terrororganisation verurteilte Ben Gvir sich eine „private Miliz“ zulegen wolle.

Zuständigkeiten noch offen

Seit Januar war jedoch kaum etwas in der Sache geschehen. Nachdem Ben-Gvir als Gegenleistung für seine Zustimmung zur Verschiebung der umstrittenen Justizreform Netanjahu eine schriftliche Bestätigung für die Gründung der Nationalgarde abgerungen hatte, legte er am 29. März seinen Plan für die Garde vor.

In dem dreiseitigen Papier wird das Organ nun als „Nationale Garde für Israel“ bezeichnet – darin findet die „Israelische Garde“ jetzt doch Erwähnung, wenngleich als unvollendetes Projekt. Ben-Gvirs Entwurf enthält kaum Konkretes zum Aufbau der Garde. Sie werde über „reguläre Kräfte und taktische Einheiten“ verfügen, die landesweit in Routine- wie in Notzeiten Terrorismus bekämpfen und die Kontrolle über die öffentliche Ordnung stärken sollen.

Es soll auch die Möglichkeit geprüft werden, ob bestimmte Grenzschutzkräfte dem direkten Kommando der Garde unterstellt werden können. Diese und weitere Fragen, vor allem der Zuständigkeiten der Nationalgarde, soll eine durch den Direktor des Ministeriums für nationale Sicherheit einberufene Kommission klären. Der für das Projekt benötigte Etat, der aus den Budgets anderer Ministerien zusammengetragen werden soll, wurde bereits genehmigt, wenngleich seine Höhe bislang unklar ist.

Dem Tyrannen die Loyalität zusichern

Die die israelische Öffentlichkeit am meisten bewegende Frage, ob die „Nationale Garde für Israel“ Ben-Gvirs direktem Kommando unterstehen wird, wurde von ihm in dem Entwurf wohl absichtlich offengelassen. Eine solche Befehlsstruktur kritisiert Polizeichef Schabtai als „gefährlich“ und lehnt sie ebenso strikt ab wie Ronen Bar, Chef des inländischen Geheimdienstes Schabak. Zudem hat Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara gravierende rechtliche Bedenken angemeldet, die dem Regierungsbeschluss beigefügt sind.

Trotz der allgemeinen Unklarheit über Charakter und Aufbau der neuen Garde halten Kritiker in Israel an der Vorstellung von einer „Privatmiliz“ Ben-Gvirs fest. Bei den Protesten am Wochenende marschierten gar als „Gardisten“ verkleidete Demonstranten im Gleichschritt und sicherten dem „Tyrannen“ lauthals ihre Loyalität zu. Für übertriebene Szenarien sorgen auch arabische Medien. „Die Nationalgarde in Israel – Ben-Gvir bereitet sich auf eine neue Nakba vor“, schlug etwa der katarische Sender al-Dschasira Alarm.

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ist 1960 in Haifa geboren, deutscher Historiker und Autor. Er promovierte mit einer Studie über die Geschichte des Selbstmord­attentats. 2021 erschien sein Buch: „Al-Aqsa oder Tempelberg: Der ewige Kampf um Jerusalems heilige Stätten“ im Verlag C. H. Beck.

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