Befehl zur Betroffenheit

Düstere Prophezeiungen, Anklagen und Vorwürfe: Falk Richters Theater-Tribunal „Welcome to Paradise Lost“ kanzelt in Oldenburg das Publikum ab und predigt plakative Lösungen. Begeisterung für Wandel kommt so nicht auf

Vögel mit viel Empörungswillen: Kostüme und Bühne wurden aus Kassel übernommen Foto: Fo­to: ­S­te­phan Walzl

Von Jens Fischer

Ein Fest für digitale Raumdesigner, ein Augenschmaus für Freunde computeranimierter Bühnenbilder: Wabernde Farbflächen, fluide Grafiken, pixeliges Rauschen sowie Texte, Animationen und Videos sind visualisiert auf einem LED-Boden und 19 mobilen LED-Panels. Fünf Schauspielerinnen versuchen dieses schnieke moderne Ambiente am Staatstheater Oldenburg mit Inhalten zu füllen und greifen dazu auf „Welcome to Paradise Lost“ von Falk Richter zurück.

In mehr oder weniger kurzen Erwähnungen kommen ohne Umschweife folgende Themen zu Wort: Klimawandel, Turbokapitalismus, Naturzerstörung, Plastikmüll im Meer, Vogel- und Insektensterben, mit Pestiziden und Düngemitteln verseuchte Agrarwirtschaft, Fetisch Automobilität, Krieg, Flüchtlingselend, toxische Männlichkeit, 300 Milliarden Euro für die Bundeswehr, sterbende Innenstädte, steuerhinterziehende Großkonzerne, die Exzesse des Finanzmarktes, Geldgier, ein von Bilder- und Informationslärm geprägter Alltag, Selbstinszenierungswahn und permanente Quantifizierung unserer sozialen Kontakte auf Social-Media-Plattformen …

Und so geht das immer weiter. So ziemlich alles, was gerade im Argen liegt, taucht in einem nicht enden wollend apokalyptischen Bewusstseinsstrom auf. Dass wir systematisch unsere Lebensgrundlagen zerstören, wird dem Theaterpublikum mit Agitprop-Poesie um die Ohren gehauen, um eine Weltrettungsbewegung zu provozieren. Daher ergänzt Richter das Abhaken der Problemlagen immer wieder mit Verweisen auf das desinteressierte Weggucken und die Ausreden von Menschen wie du und ich, die sich nicht oder nicht ausreichend widerständig engagieren, um überlebensnotwendige Kehrtwenden und revolutionäre Transformationsprozesse einzuleiten. Die notwendig wären, damit die schmerzverzerrte Welt die Zecke Mensch nicht einfach auf Nimmerwiedersehen abschüttelt, sondern wieder ein bisschen liebhat.

Die Schwarmintelligenz globaler Aktionsbündnisse könne da helfen, lautet die These des Autors. Zuschauende kommen mit zustimmendem Nicken gar nicht all den Aussagen dieses Fridays-for-future-meets-Last-Generation-Dramas hinterher.

Als Vorlage diente dem Autor „Die Konferenz der Vögel“ von Farid ud-Din Attar. Der ließ eben Vögel in Not einen helfenden König/Gott suchen, der ihnen das richtige Tun offenbaren soll. Bei ihrer Pilgerwanderung entdecken die Gefiederten aber, dass sie sich selbst gesucht haben und das Schicksal in die eigene Hand nehmen müssen, also miteinander über Handlungsmöglichkeiten konferieren, zu einer Übereinkunft kommen und diese auch umsetzen sollten.

Richter nutzt die Stationen der schlichten Reise-Dramaturgie für kassandrische Prophezeiungen, umfassende Anklagen und Publikumsbeschimpfungen. Unter seinen ja immer vereinfachenden, überfrachteten Theatertexten ist dieser sicherlich der plumpeste.

Die Uraufführungsinszenierung war wegen Corona nur zweimal am Staatstheater Kassel zu sehen, Oldenburg hat das Bühnenbild sowie die mit schwarzer Farbe beklecksten weißen Kostüme übernommen und mit dem eigenen Ensemble neu von Regisseur Gustav Rueb erarbeiten lassen. Es bringt mit schreitendem Gang und flatterndem Spiel leicht vogelig die Worte mit hohem Empörungswillen über die Rampe, zelebriert tänzerische wie auch sängerische Einlagen, pantomimt zu famosen Light-Show-Effekten das Sterben der Arten – und hält einmal inne. „Man würde ja gerne mal wieder eine schöne Rolle spielen, muss aber immer in kapitalismuskritischen Projekten mitmachen, wo immer einer am Mikro steht und sagt, der Kapitalismus ist schuld“, sagt Schauspielerin Caroline Nagel.

Unter Richters immer vereinfachenden, überfrachteten Theatertexten ist dieser sicherlich der plumpeste

Aber die Vorfreude, dass jetzt einmal nicht nur etwas behauptet, sondern sich damit auch auseinandergesetzt wird, verfliegt schnell. Denn angesichts der kapitalismuskritischen Frau mit dem Mikro auf der Bühne pulverisiert Nagel ihre Kritik: „Wo sie recht hat, hat sie recht.“ Also machen alle einfach weiter mit Richters Vorwurfs-Penetranz, den Befehlen zur Betroffenheit und dem Predigen plakativer Lösungen.

Die Inszenierung bleibt also arg oberflächlich und kanzelt das Publikum als Repräsentant der schwer überwindlichen Verhältnisse ab. So taugt das Theater-Tribunal nur schwerlich zum Aufrütteln und Begeistern, gleich nach dem Aufführungsbesuch das eigene Leben sowie die herrschende Ausbeutungs-, Wettbewerbs- und Wachstumsideologie radikal zu verändern.

„Paradise Lost“: Di, 28. 3., 20 Uhr, Staatstheater Oldenburg, weitere Termine: 7. + 21. 5.