Vergessene Künstlerinnen: Heldinnen im Kupferstich

Sie waren Künstlerinnen und Unternehmerinnen. Den Frauen in der italienischen Kunst von Renaissance und Barock gilt eine neue Ausstellung.

Kupferstich von einem Ornament mit Arkanthusblättern

Kupferstich von Diana Mantovana, Akanthusornament, um 1580, Ausschnitt Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett /Dietmar Katz

Was zeichnet eine gute Künstlerin aus? Jungfräulichkeit, das dachte der italienische Schrift­steller Giovanni Boccacio, der im 14. Jahrhundert das Buch „Von berühmten Frauen“ schrieb. Diese Eigenschaft erlaube es einer Künstlerin, sich ganz auf ihr Talent zu konzentrieren. Dass nicht allein er an dieses Ideal glaubte, zeigen die Signaturen der Malerinnen Sofonisba Anguissola und Lavinia Fontana, die „virgo“ (Jungfrau) neben ihren Namen schrieben. Lavina Fontana (1552–1614) war im Übrigen verheiratet, Mutter von elf Kindern und wurde von ihrem Mann in ihrer Kunst unterstützt.

Was zeichnet eine gute Künstlerin aus? Dass sie eine schöne Frau ist. Nicht nur Giorgio Vasari (1511–1547), berühmter Kunstschriftsteller und Pionier der Kunstgeschichtsschreibung, hebt die Schönheit der einzigen Künstlerin, Properzia de’ Rossi hervor, die Eingang in seine zweite Ausgabe der Lebensbeschreibungen berühmter Künstler gefunden hat. Auch anderen Autoren betonten dies im Blick auf Künstlerinnen.

Diese interessanten Geschichten weiß Dagmar Korbacher, Direktorin des Berliner Kupferstichkabinetts. Sie erzählt sie in einem Katalog und in der Ausstellung „Muse oder Macherin“, die „Frauen in der italienischen Kunstwelt 1400–1800“ gewidmet ist.

Beginn in der Werkstatt des Vaters

Nur sehr wenige davon sind bekannt. Wie Artemisia Gentileschi, Malerin dramatischer Szenen im Barock, oder die zu ihrer Zeit geschätzte Porträtistin Sofonisba Anguissola, deren Bildnis ihrer Mutter das einzige Gemälde der Ausstellung ist. Die überrascht mit einer ganzen Galerie von Frauen, die in der Kunstwelt der Renaissance und des Barock aktiv waren, als Künstlerinnen, Kupferstecherinnen, Mäzeninnen und Sammlerinnen.

Viele waren Töchter von Künstlern, zuerst in der Werkstatt des Vaters ausgebildet, etliche haben aber auch an Akademien gelernt, Jahrhunderte bevor dies in anderen Ländern möglich war. Sie waren Ausnahmen in einer männlich geprägten Kunstwelt, aber von diesen Ausnahmen gab es eben doch einige. Das Kupferstichkabinett hat nicht von allen Werke, aber kann dann doch ein Porträt oder eine Reproduktion nach einem verlorenen Original zeigen, die die Bedeutung der Künstlerin belegen und ihre einstmalige Wertschätzung.

Eine Radierung von zwei Frauen mit Kleinkindern

Elisabetta Sirani, „Hl. Familie mit Elisabeth und Johannes­knabe“, um 1655–1665, Radierung Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstich­kabinett/Dietmar Katz

Von der Kupferstecherin Dia­na Mantovana (1547–1612) gibt es hingegen eine lange Bildstrecke. Sie hat einerseits nach den Vorlagen anderer Künstler gearbeitet, andererseits Veränderungen vorgenommen. Von ihr ist eine Reihe von Stichen zu sehen, die, nach biblischen und mythologischen Motiven, Geburten und Mutter-und-Kind-Szenen darstellen.

Achten auf den Kunstmarkt

Als bezweifelt wurde, dass eine Frau so viel Talent haben konnte, malte Elisabetta Sirani zum Beweis vor Publikum

Starken Frauenfiguren begegnet man vielfach in der Ausstellung. Darauf hat die Kuratorin Dagmar Korbacher einen Fokus bei der Auswahl gelegt, aber nicht, um von einem vermeintlich „natürlichem“ Interesse der Frauen an „weiblichen“ Themen auszugehen. Was die Wahl der Motive betrifft, denkt sie eher, dass die Künstlerinnen sich dabei bewusst waren, was auf dem Kunstmarkt erfolgreich werden kann. Heldinnen aus Künstlerinnenhand könnte ein Ver­kaufs­argu­ment gewesen sein.

Öffentlichkeit und Bekanntheit war durchaus ein Thema für die vorgestellten Künstlerinnen. Ganz erstaunlich ist die Geschichte von Elisabetta Sirani aus der Universitätsstadt Bologna (1638–1665), die nur 27 Jahre alt wurde, Aufträge erhielt aus der Oberschicht der Stadt, aus dem Klerus und vom Adel. Weil bezweifelt wurde, dass eine Frau mit so viel Talent malen kann, malte sie vor Publikum.

„Muse oder Macherin“, Kupferstichkabinett Berlin, bis 4. Juni.

Katalog: Muse oder Macherin? Frauen in der italienischen Kunstwelt 1400-1800. Herausgeber: Dagmar Korbacher. 18 Euro

Von ihr sind sehr bewegende Szenen, etwa von der „Ruhe auf der Flucht“ mit einer stillenden Maria zu sehen. 1660 gründete die junge Frau in Bologna eine Accademia del Disegno, die erste Kunstakademie für Frauen, in der sie bei Künstlerinnen lernen konnten. Auf diese Schule geht eine Reihe von emotional bewegenden Stu­dien­blättern, etwa einer Grablegung Christi, zurück.

In den Wandtexten der Ausstellung und im Katalog betont Dagmar Korbacher immer wieder die unternehmerische Seite der Künstlerinnen. So erfährt man etwa von Isabella Piccini, dass sie bei den Verlegern von Druckgrafik wegen ihrer präzisen Abzüge sehr geschätzt wurde. Sie lebte in einem Kloster in Venedig, das sie mit ihren Einnahmen wesentlich unterstützen konnte.

Vorurteil: Zu viel Gefühl

Eines der Vorurteile, mit denen Frauen in der Kunstwelt über Jahrhunderte immer wieder an den Rand gedrängt wurden, ist, dass sie mit zu viel Gefühl arbeiteten. Deshalb ist die sehr sachliche Perspektive, die Korbacher für die Ausstellung „Muse oder Macherin“ gewählt hat, um 28 Frauen vorzustellen, eine Bereicherung der Kunstgeschichte.

Es gibt im Kupferstichkabinett auch Verblüffendes zu entdecken. Zum Beispiel was anatomische Studien angeht: Dass Künstlerinnen vom Aktzeichnen ausgeschlossen waren, ist bekannt. Aber wer weiß schon, dass Aktmodelle bis weit ins 18. Jahrhundert hinein fast nur männlich waren? Auch die Künstler studierten am männlichen Körper, eine Federzeichnung von Federico Barocci zeigt die Transformation von einem männlichen Akt zur Gewand­studie einer Madonna.

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