Qualität ist nicht der Punkt

Frank Witzel denkt im „Schreibheft“ über Vergessene nach

Am Ende seines umfangreichen Essays über vergessene, verkannte und verschollene Schriftstellerinnen und Schriftsteller berichtet der Autor Frank Witzel von einer „eigenartigen Erfahrung“. Und zwar „scheint die Beschäftigung mit Vergessenem immer mehr Vergessenes zu produzieren“. Wenn man einmal damit loslegt, kommt man mit der Entdeckung von vergessenen Schriftstellern gar nicht hinterher.

Wer den Essay liest, kann das nachvollziehen. Er bietet Einblicke samt kurzen Werkproben von tatsächlich hundert vergessenen Schriftstellerbiografien; Frank Witzel hat in Antiquariaten, seinem Bücherregal und auf dem Dachboden herumgestöbert, und so liest man von Erwin Kliffa, Simone Thalmeyer, Ingrid Dittmar, Peter Kurbacher und anderen einem bislang unbekannten Autor*innen. Außerdem denkt Witzel prinzipiell über das Vergessenwerden nach und illustriert materialreich ein „Erstaunen“ darüber, von wie vielen Zufällen es abhängt, ob ein Werk nun bekannt wird oder nicht. Dass die Qualität entscheidet, ist, so Witzel, „noch nicht einmal ansatzweise so“: „Das Vergessen-Werden […] ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel.“ Und das trifft wohl tatsächlich eine der Rahmenbedingungen heutigen Schreibens. Für die Nachwelt jedenfalls sollte man nicht damit anfangen.

Dieser Essay steht in der aktuellen, der 100. Ausgabe des Schreibhefts – eine schöne Idee, weil sich diese von Norbert Wehr herausgegebene Literaturzeitschrift immer wieder verdient gemacht hat um Vergessene. Das ist auch in dieser Jubiläumsausgabe so. Neben dem Witzel-Essay beinhaltet sie ein umfangreiches Konvolut zu Marianne Fritz. Dirk Knipphals

„Schreibheft Nr. 100“. Rigodon-Verlag, Essen 2023. 210 Seiten, 16,50 Euro