Europäische Trotz-Infektion
: kommentar von daniela weingärtner

Der Frust über Europa ist ansteckend, das haben die Meinungsumfragen und Volksbefragungen der vergangenen Wochen gezeigt. Auch die Regierungschefs scheint der Virus erwischt zu haben. Obwohl die Lage danach verlangt, dass alle das gemeinschaftliche Immunsystem stärken und kompromissbereit zusammenarbeiten, feiert nationale Rücksichtslosigkeit fröhliche Urständ. Ein Krisengipfel beginnt heute, der, wenn er scheitert, die Krise vertiefen wird.

 Luxemburgs Regierungschef Juncker hat gestern nochmals daran erinnert, dass eine derartige Trotz-Infektion für den Sturkopf selbst keine negativen Folgen hat. Scheitert ein nationaler Haushalt, muss die Regierung zurücktreten. Scheitert ein EU-Haushalt, kann nicht ordentlich geplant werden; die geförderten Projekte sind verpfuscht, und schuld ist dann wieder das blöde Europa. Die Regierungschefs, die verhindert haben, dass die Finanzplanung rechtzeitig beschlossen wird, müssen sich für die Folgen nirgendwo verantworten.

 Das erklärt, warum das europäische Projekt so viel krisenanfälliger ist als ein Nationalstaat. Auch in Deutschland dümpelt die Politik derzeit ziemlich orientierungslos, doch niemand käme auf die Idee, deshalb gleich das Ende des deutschen Staates an die Wand zu menetekeln. Das Ende Europas dagegen wird immer mal wieder prophezeit – je nach Standpunkt ist der Tonfall dabei bestürzt, ängstlich oder erwartungsfroh.

 Doch dies ist nicht der erste Gipfel, nach dem alle tatenlos auseinander gehen, weil Blair, der Sturkopf von der Insel, sich nicht darum schert, dass er mit seinem Nein alle anderen blockiert. In zehn Jahren werden wir den lächerlichen Streit um den Britenrabatt völlig vergessen haben. Die Aufregung, die Marathonsitzungen, die durchwachten Nächte werden zu einer neuen Briten-Anekdote eingedampft sein.

 Die Union wird es dann immer noch geben. Die Liste der Länder, die hineinwollen, ist lang. Austreten will bislang niemand. Dem Haus Europa wird eine unfreiwillige Bau-Unterbrechung beschert, weil die Bauherren die Grippe plagt. In solchen Pausen entstehen bekanntlich die besten Ideen, wie es architektonisch weitergehen soll.