Beschlüsse der Koalition: Mit der Ampel in die Klimakrise

Der Klimaschutz dominiert das Beschlusspapier der Koalition. Dabei sieht die Einigung etwa den Bau neuer Autobahnen vor. Die Kritik fällt breit aus.

Verkehrsstau mit Berliner Wahrzeichen

Zu viel CO2: Autostau in Berlin Foto: Fo­to:­ Mic­ha­el Kappeler/dpa

BERLIN taz | Um die 30 Verhandlungsstunden waren es am Ende, ehe die Ampelparteien am Dienstagabend ihren Koalitionsausschuss mit einer Einigung beendeten. Das beschlossene 16-seitige Papier mit dem Titel „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ klingt denn auch ziemlich ambitioniert. Gleichwohl stellt sich die Frage, was die Beschlüsse von SPD, Grünen und FDP mit Blick auf die Bewältigung der Klimakrise tatsächlich taugen. Ein Überblick:

Das Klimaschutzgesetz

Es ist das politische Rückgrat des Klimaschutzes in Deutschland: das Klimaschutzgesetz. 2019 beschlossen, ist deren Kern: Für jedes Jahr sind konkrete CO2-Grenzwerte vorgesehen, die die einzelnen Wirtschaftssektoren jeweils einhalten müssen. Klappt das nicht, muss das zuständige Ministerium ein Sofortprogramm vorlegen, mit dem die Verfehlung ausgeglichen und für künftige Jahre vermieden wird.

Dieser Kern des Gesetzes soll nun wegfallen. Künftig will die Bundesregierung nicht mehr jährlich bilanzieren, wie Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am Dienstag frohlockte. Außerdem wolle man dafür sorgen, dass die Sektoren „sich gegenseitig helfen“. Die FDP hatte schon lange dafür plädiert, die Ziele für die einzelnen Wirtschaftssektoren abzuschaffen und stattdessen nur eine deutsche Gesamtrechnung aufzumachen.

„Die Einhaltung der Klimaschutzziele soll zukünftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden“, heißt es im Beschlusspapier. “Klimaschutz soll damit zu einer echten Querschnittsaufgabe der Bundesregierung werden“, heißt es nun weiter. Heißt: „Alle Sektoren leisten ihren Beitrag: Stromerzeugung, Industrie, Verkehr, Bauen und Wohnen sowie Landwirtschaft.“

Um­welt­schüt­ze­r:in­nen sind entsetzt. Von einer „Anti-Klimaschutz-Koalition“ sprach etwa Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe. Auch Christoph Bals, Chef von Germanwatch, ist mehr als unzufrieden. „Die beabsichtigten Neuregelungen vergrößern das Risiko, dass wir unsere Klimaziele insbesondere im Verkehrssektor massiv verfehlen und dies über Jahre vertuschen“, sagte er. Im vergangenen Jahr war im Verkehrssektor zu viel CO2 entstanden, wie auch schon im Vorjahr. Das damals von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) eingereichte Sofortprogramm genügte den Ansprüchen des zuständigen wissenschaftlichen Prüfgremiums nicht, eine Nachreichung gibt es bisher nicht.

Ohne die Sektorziele würde Wissing nicht in die Pflicht genommen. Einem Gutachten der Umweltrechtorganisationen Client Earth und Green Legal Impact zufolge, das Mitte März vorgestellt wurde, wäre eine derartige Reform des Klimaschutzgesetzes sogar verfassungswidrig.

Es zeichnet sich ab, dass die Ampel-Regierung ohnehin nur eine Schein-Einigung erzielt hat. Die Grünen interpretieren das Beschlossene nämlich ganz anders als die FDP, wie ein Papier aus Parteikreisen nahelegt. Es werde „weiterhin klar definierte Minderungsmengen für jeden Sektor geben“, steht dort. Wie kommt die Partei darauf? Sie verweist auf eine weitere Passage im Beschluss des Koalitionsausschusses. Demnach werde die Bundesregierung „weiterhin das jährliche Monitoring der Emissionsentwicklung vorlegen“.

Darin werde für jeden Sektor die erreichte Minderung transparent aufgeführt. „Das Vorjahresergebnis wird dahingehend bewertet, ob die zur Zielerreichung benötigte Minderungsmenge für jeden Sektor erreicht werden wird.“ Die Frage ist: Hat das jährliche Vorlegen und Bewerten der Emissionen dann weiter verbindliche Folgen oder erfolgen sie nur pro forma?

„Die Vereinbarungen zu den Sektorzielen und mehrjähriger Gesamtrechnung lassen sich auch so interpretieren, dass wir das Klimaschutzgesetz ergänzend nachschärfen müssen“, findet beispielsweise die Grünen-Abgeordnete Kathrin Henneberger. Also: Alles wie bisher, aber mit einer zusätzlichen mehrjährigen Perspektive. “Wenn absehbar ist, dass wir die Klimaziele für 2030 mit dem aktuellen Minderungspfad nicht einhalten, auch wenn die Zahlen für das aktuelle Jahr stimmen, müssen Maßnahmen mit Sofortprogrammen aufgelegt werden.“ Der Streit zwischen den Regierungsparteien dürfte also noch einmal aufflammen, wenn die Reform des Klimaschutzgesetzes ansteht.

Das Heizen

Es war einer der großen Streitpunkte der letzten Wochen: Fällt die Ampel bei der ökologischen Wärmewende hinter ihren eigenen Beschluss aus dem vergangenen Jahr zurück? Da wurde entschieden: Heizungen, die neu eingebaut werden, müssen ab 2024 „möglichst“ zu 65 Prozent erneuerbar sein. Schon im Koalitionsvertrag war diese Regelung vorgesehen, aber erst ein Jahr später. Konventionelle Öl- und Gasheizungen wären dann nicht mehr möglich – wohl aber etwa die Kombination aus einer Wärmepumpe und einem Gaskessel.

Obwohl sich die Regierung eigentlich längst geeinigt hat, hängt der Gesetzesentwurf von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) noch in der Ressortabstimmung fest. Nun haben die Parteien festgehalten, das Gesetz noch vor der Sommerpause zu beschließen. Zu der Frage, wie der Austausch von Öl- und Gasheizungen sozial gefördert werden soll, bleibt der Beschluss vage. Es werde „zielorientiert geprüft“, wie das aus dem Klima- und Transformationsfonds erfolgen könne. Das ist ein Sondervermögen, in den etwa die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung in Deutschland hineinlaufen.

Negative Emissionen

Die Regierung will sich künftig Ziele für „negative Emissionen“ setzen. Sprich: Ziele dafür, der Atmosphäre nachträglich Treibhausgase zu entziehen. Das gilt unter Ex­per­t:in­nen als ebenso wichtig wie politisch brisant. „Die Bundesregierung macht ernst bei Negativemissionen: In der Novelle des Klimaschutzgesetz sollen CO2-Entnahme-Ziele für die Jahre 2035, 2040 & 2045 aufgenommen werden – jetzt auch für CCS-basierte Methoden“, twitterte etwa der Wissenschaftler Felix Schenuit von der Stiftung Politik und Wissenschaft. Es geht also nicht mehr nur um Aufforstung und andere natürliche Wege der Kohlenstoffbindung, sondern auch um den Einsatz von Technologien.

„Die angekündigte Änderung dieser Ziele wird die Diskussionen um sogenannte ‚Restemissionen‘ noch weiter intensivieren.“ Also: Wie viele Emissionen dürfen auch bei der für 2045 versprochenen Klimaneutralität noch bleiben, weil sie durch die gleichzeitige Entnahme von Treibhausgas aus der Atmosphäre wieder entnommen werden? Das Problem ist, dass die Entwicklung der fraglichen Technologien noch in den Kinderschuhen steckt, mit ihnen also nur bedingt geplant werden kann. Verlässt man sich zu sehr darauf, läuft man Gefahr, die nötige Klimaneutralität nicht zu schaffen.

Energiewende

Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll weiter gefördert werden. Zum Beispiel will die Ampel Kommunen das Ausweisen von Flächen für die Windkraft erleichtern. Zudem soll neben Autobahnen und Bahnstrecken Solaranlagen gebaut werden. “Es soll kein Kilometer Autobahn mehr geplant werden, ohne die Möglichkeiten der Erzeugung erneuerbarer Energien auszuschöpfen“, heißt es.

Autobahnen

Der Verkehrsbereich war wohl eines der umstrittensten Themen der dreitägigen Verhandlungen – weil er zu viele Treibhausgase verursacht, aber auch durch die geplante Planungsbeschleunigung. Es geht darum, für welche Infrastruktur-Projekte Planung und Genehmigungen beschleunigt werden soll. Die Grünen hatten sich lange dafür starkgemacht, die Schiene zu bevorzugen. FDP und SPD waren sich hingegen bereits im Vorfeld einig, auch ausgewählte Straßenprojekte beschleunigen zu wollen.

Die Ampelpartner haben sich nun darauf verständigt: In Zukunft sollen auch 144 Autobahnen von “überragendem öffentlichen Interesse“ sein. Laut dem Papier sollen nur dort neue Straßen gebaut werden oder weitere Spuren entstehen, wo Autobahnen besondere „Engpässe“ aufweisen oder sich der Verkehr staut, wie es heißt.

Bahn

Für den Ausbau und die Instandhaltung der Bahn und ihrem Schienennetz wurden im Koalitionsausschuss neue Mittel freigesetzt. Bis 2027 werde die Bahn 45 Milliarden Euro brauchen. Ein konkreter Vorschlag für die Finanzierung – ohne im Haushalt dafür zusätzliche Mittel locker zu machen – dürfte eine Einigung in dieser Frage auch mit der FDP und ihrem Finanzminister erheblich erleichtert haben. Diese soll nun in großen Teilen durch eine Erhöhung der Lkw-Maut finanziert werden. Ob dieses Geld für den nötigen Schienen-Ausbaureichen wird, ist fraglich. In Fachkreisen ist davon die Rede, dass der Sanierungsbedarf bei der Bahn inzwischen auf rund 89 Milliarden Euro beziffert wird.

E-Autos und E-Fuels

Die Ampelpartner haben sich darauf verständigt, dass in Zukunft Fördermittel für die E-Fuels hierzulande fließen sollen. Dass dürfte insbesondere die Grünen schmerzen, da der Antrieb mit E-Fuels derzeit als deutlich ineffizienter gilt als das E-Auto. „E-Fuels werden zwar im Luft- und Seeverkehr gebraucht, im Straßenverkehr aber werden sie zumindest bis zum Jahr 2030 keinen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz leisten. Das ist unter Fachleuten Konsens“, kritisierte Wiebke Zimmer, Vizechefin des Thinktanks Agora Verkehrswende. “Indem die Bundesregierung sich darüber hinwegsetzt, schürt sie die Erwartung, dass alles so weitergehen könne wie bisher.“ Zeitgleich soll aber künftig auch das Ladenetz für E-Autos weiter ausgebaut werden. An jeder Tankstellen sollen in Zukunft innerhalb der nächsten fünf Jahre mindestens ein Schnellladepunkt für die elektrisch angetriebenen Fahrzeuge zur Verfügung stehen.

Naturschutz

Eingriffe in die Natur beim Bau von Infrastruktur sollen Unternehmen künftig einfach durch Zahlungen kompensieren dürfen. Bisher müssen Unternehmen die verloren gegangene Natur durch Pflege und Aufbau von anderen Flächen ausgleichen. Mit dem Geld sollen dann große zusammenhängende Flächen gekauft und renaturiert werden. “Dass die Realkompensation vor Ort weiterhin erste Priorität hat, ist zentral“, beklagte BUND-Chef Olaf Bandt. Kompensationszahlungen dürfen nicht zum Freibrief für eine gedankenlose Zerstörung unserer Natur werden.“ Die Koalition müsse jetzt beweisen, dass mit den Neuerungen realer Naturschutz flächendeckend umgesetzt werden kann.

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