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Wenn Rücksichtslosigkeit Spaß macht

Grinsen? Ach was, das ist schon ein ausgewachsenes Grienen. Der halb geöffnete Mund gibt den Blick frei auf einen mit spärlichen Stummeln besetzten Unterkiefer: Der Einbeinige – verfilztes silberweißes Haar, nikotin- und ikterusbrauner Teint – freut sich einen Ast, während er mit wuchtigen Stößen seinen Rollstuhl antreibt. Rückwärts. Ohne zu gucken.

Dabei drängen die Menschen nur so durch die Unterführung, die beide Ausgänge des Bremer Hauptbahnhofs verbindet. Die Leute springen beiseite, taumeln, murmeln Entschuldigungen, weil … – ja warum eigentlich? Weil ihnen der Typ mit dem Rolli über die Füße gefahren ist?! Als „Rechtlosigkeit des Behinderten auf Strafe“ hat Aktivist Franz Christoph dieses Phänomen in den 80ern theoretisch beschrieben und mit Krückenschlägen ge­gen’s Schienbein des Bundespräsidenten Karl Carstens (SA) praktisch erprobt.

Bremer Bahnhofsvorstadt,

3.546 Wahlberechtigte. Laut Legende überließen die Grafen von Bremen den Bürgern den Teil der angrenzenden Weide, den ein Beinloser an einem Tag umrunden konnte.

Auch der Einbeinige hat einen Heidenspaß mit seiner Aktion. Immer tiefer pflügt er sich in den Gang gen Bürgerweide. Auch die verdankt Bremen laut Legende dem tapferen Einsatz eines Krüppels. Aber das tut nichts zur Sache. Benno Schirrmeister