Arbeitsbedingungen an Unis: „Professur ist ein Lottogewinn“

Die Situation für junge Wis­sen­schaft­le­r:in­nen an Unis ist prekär – und nach den Ampel-Plänen bald noch schlimmer, sagt die Professorin Paula-Irene Villa Braslavsky.

Lottoscheine

Unbefristete Festanstellung an der Uni gleiche einem Sechser im Lotto, sagt Villa Braslavsky Foto: Steve Mark/imago

wochentaz: Frau Villa Braslavsky, Sie haben vor 25 Jahren promoviert. War die Arbeit als junge Wissenschaftlerin damals auch schon prekär?

Paula-Irene Villa Braslavsky: Ja, das war sie eigentlich schon immer. Bereits Max Weber hat in einem Vortrag 1917 das Risiko beschrieben, fest in der Wissenschaft bleiben zu wollen. Als ich studiert und promoviert habe, war das Stereotyp, dass wir in den Sozialwissenschaften später Taxi fahren. Eine Professur zu ergattern ist damals wie heute ein Lotteriespiel. Trotzdem muss man sagen, dass sich die Situation noch deutlich verschärft hat.

Viele schreiben das dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu, das befristete Arbeitsverträge für insgesamt 12 Jahre zulässt. Unter dem Hashtag #WirSindHanna berichten Wis­sen­schaft­le­r:in­nen von Kettenverträgen und psychischem Druck. Warum tun junge Menschen sich das überhaupt an?

Weil es – bei allen Problemen – ein inhaltlich toller Job ist. Es gibt eine sehr starke innere Motivation: Ich will dieses mathematische Problem oder jene ökologischen Fragen lösen. Und weil es ja wirklich die Aussicht gibt, die Lotterie zu gewinnen und damit in eine zumindest in Deutschland extrem privilegierte Situation zu kommen.

ist Inhaberin des Lehrstuhls Soziologie/Gender-Studies an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Villa Braslavsky hat mit anderen Pro­fes­so­r:in­nen die Gruppe „ProfsfürHanna“ gegründet und einen Protestbrief gegen die Reformpläne der Ampelregierung geschrieben.

Das schaffen jedoch nur die wenigsten. Bei Wis­sen­schaft­le­r:in­nen unter 45 Jahren sind 93 Prozent befristet angestellt.

Der Leidensdruck ist sehr hoch, unbefristete Stellen gibt es tatsächlich nur für wenige Professor:innen, zum Glück auch an meinem Lehrstuhl, an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Wie die meisten deutschen Universitäten ist da auch die LMU strukturkonservativ. Dabei wollen wir Pro­fes­so­r:in­nen gar nicht alle unbedingt 3 oder 10 „eigene“ Mitarbeiter haben. Viele würden mit diesen Stellenanteilen lieber langfristige Perspektiven schaffen, das tun wir auch jetzt zum Teil schon, wenn es technisch geht.

Vergangene Woche hat Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) Eckpunkte vorgestellt, wie sie die Arbeitsbedingungen an Hochschulen verbessern will, und damit großen Protest ausgelöst – auch unter Professor:innen. In einem auf Twitter geposteten Protestbrief bezeichnen Sie die Pläne als „Verschlimmbesserung“. Warum?

Manche Vorschläge Stark-Watzingers wie die Mindestlaufzeiten für Arbeitsverträge gehen in die richtige Richtung. Andere leider nicht. So sollen Wis­sen­schaft­le­r:in­nen nach der Doktorarbeit statt bisher für sechs künftig nur mehr für drei Jahre befristet angestellt sein dürfen. Die Idee dahinter – den Personen früher zu sagen, ob sie im System bleiben können oder nicht – mag ja gut sein. Das Problem ist aber: In drei Jahren hat man keine Chance, sich so zu qualifizieren, dass man im Wettbewerb um eine Professur bestehen könnte.

Warum nicht?

Weil die Anforderungen für eine Berufung so hoch sind. Wenn Sie heute einen begutachteten Fachartikel in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlichen wollen, dauert das locker anderthalb Jahre oder deutlich mehr. Und Sie brauchen ja eine ganze Liste an Publikationen, bevor Sie irgendwo für eine Vollprofessur genommen werden. Dann noch die Habilitation, die in vielen Fächern wichtig ist. Und Sie müssen auch lehren, sich vernetzen, auf Tagungen gehen, Vorträge halten – und konkret forschen, ob im Labor oder an der Ausgrabungsstelle. Dazu kommt, dass das alles genau mit der Phase der Familiengründung zusammenfällt. Das ist in drei Jahren einfach nicht zu schaffen.

Stark-Watzinger verspricht mehr Zeit für Eltern.

Diese Regel gilt ja jetzt schon. Wir sehen aber, dass das in der Praxis nicht gerecht läuft. Das ist ein so kompetitives Feld, da hat jede Publikation Gewicht. Wenn sich hundert Personen auf eine Professur bewerben, sind Bewerber:innen, die halt ein bisschen länger gebraucht haben, einfach weg vom Fenster. Deshalb muss man das System grundlegender ändern.

Wie sähe eine Lösung aus? Eine Dauerstelle für je­de:n nach der Promotion?

Ich finde das einen sehr überlegenswerten Vorschlag. Das dreht den Spieß um, die Entfristung ist dann der Normalfall. Ich weiß aber nicht, ob nach der Promotion wirklich alle Stellen automatisch entfristet werden müssen. Wettbewerb ist ja an sich etwas Gutes – wenn er wirklich auf Leistung basiert und wenn es langfristige Perspektiven für viel mehr Forschende als jetzt gibt.

Die Umsetzung scheint aber schwierig, wie man in Berlin sieht. Dort wehren sich die Unis vehement gegen das neue Hochschulgesetz, das Menschen mit Promotion, sogenannten Post-Docs, eine Aussicht auf eine unbefristete Stelle garantiert. Mehrere Klagen laufen, und wie die neue Koalition zum Thema steht, ist ungewiss.

Zum Streit in Berlin will ich mich nicht äußern. Er zeigt aber, dass wir andere, gerechtere Strukturen schaffen müssen. Bei uns in Deutschland gibt es wenige unbefristete Pro­fes­so­r:in­nen und sehr viele befristet angestellte „Nachwuchs­wissen­schaftler:innen“. Und dazwischen quasi nichts. Es kann aber doch Mittel- und Langfristigkeit geben, die weder ausbeuterisch prekär noch lebenslänglich sein muss.

Was halten Sie vom Modell der „Tenure Track“-Professuren, über die Hochschulen Wis­­sen­­schaft­le­r:in­nen mit fester Zusage auf Entfristung ­binden können? 1.000 solcher Stellen bezahlt der Bund bis 2032.

Das ist eine Möglichkeit. Allerdings geht jedes Bundesland und jede Universität anders mit diesen Stellen um. Und 1.000 Stellen sind bei über 200.000 wissenschaftlichen Mit­ar­bei­te­r:in­nen an deutschen Hochschulen natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Da braucht es eine konzertierte Aktion zwischen Bund und Ländern. In Großbritannien, Holland, Dänemark etwa gibt es viel mehr alternative Wege, um dauerhaft in Forschung und Lehre arbeiten zu können. Wir brauchen auch in Deutschland mehr Dauerstellen in der Breite.

Die Hochschulen erwidern, dass sie unterfinanziert seien und zu viele Dauerstellen das System „verstopfen“.

Das glaube ich nicht. Man könnte ja mal radikal darüber nachdenken, ob Stellenanteile von den Professuren abgegeben werden können. Als unsere Kinder noch jünger waren, hätte ich gerne in Teilzeit gearbeitet. Irgendwas muss passieren. Sonst werden wir irgendwann keine Leute mehr finden, die sich die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft antun wollen.

Drei Ihrer Kollegen warnten diese Woche in der FAZ, die Reformpläne der Bundesregierung könnten Wis­sen­schaft­le­r:in­nen ins Ausland treiben.

Ja, das ist denkbar, wobei das nicht per se tragisch sein muss. Ins Ausland zu gehen ist schließlich ein wichtiger Teil einer wissenschaftlichen Karriere. Das Problem ist eher, dass es sich vor allem diejenigen leisten können, die aus besser gestellten Verhältnissen kommen. Wenn die Bundesregierung mit ihrer geplanten Reform also Aka­de­mi­ke­r:in­nen „vertreibt“, verstärkt das die bestehenden sozialen Ungleichheiten in Forschung und Lehre noch weiter.

Noch ist aber nichts beschlossen. Nach der massiven Kritik von Ihnen und so vielen anderen hat das Bundesbildungsministerium für die letzte Märzwoche zu neuen Gesprächen eingeladen. Hat Sie das überrascht?

Ehrlich gesagt, schon. Ich bin auch überrascht, wie viele Pro­fes­so­r:in­nen unseren Protestbrief unterschrieben haben und sagen: So geht das nicht. Offensichtlich hat das auch das Ministerium nachdenklich gemacht.

Es gab doch bereits Gespräche mit allen Akteur:innen. Was erwarten Sie sich jetzt von einer weiteren Runde?

Ich erwarte schon, dass wir dieses Mal stärker gehört werden. Ich fände auch gut, wenn der Wissenschaftsrat stärker in den weiteren Prozess eingebunden würde. Also eine unabhängige Instanz, die Vorschläge auf Grundlage von evidenzbasierter Forschung macht.

Muss es in den Gesprächen auch stärker um die Folgen befristeter Arbeitsverträge ­gehen? Laut einer repräsentativen Umfrage des Netzwerkes für Gute Arbeit in der Wissenschaft schaden diese Modelle auch massiv der Arbeitskultur. Befristet Angestellte üben etwa seltener Kritik, weil sie um ihre Stelle bangen.

Vollkommen! Ich kenne die Studie und kann nur unterstreichen, wie wichtig ihre Ergebnisse sind. Ein anderer Punkt wäre hier die zunehmend problematische Publikations­praxis. Wegen des hohen Wettbewerbs steigt auch der Publikationsdruck. Das führt dazu, dass unspektakuläre Ergebnisse zum Teil nicht mehr veröffentlicht werden. Innerhalb der Wissenschaft ist Konsens, dass das der Qualität von Forschung und Lehre schadet. Auch diese Kritik muss die Bundesregierung berücksichtigen.

Halten Sie das für wahrscheinlich?

Ich hoffe, dass sich Frau Stark-Watzinger und ihr FDP-geführtes Ministerium endlich der Erkenntnis öffnen, dass Innovation und Exzellenz nicht durch Fluktuation entstehen. Gute wissenschaftliche Arbeit braucht Kontinuität und Zeit.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.