Hackedepicciotto über Konzert zum Klimaentscheid: „Haben wir eine Zukunft?“

Hackedepicciotto sind am Samstag beim Konzert zum Berliner Volksentscheid dabei. Und sie stellen sich schon die Frage, wie grün ihre elektrische Musik sein sollte.

Porträt von Alexander Hacke und Danielle de Picciotto

Alexander Hacke und Danielle de Picciotto, zusammen Hackedepicciotto Foto: Wolfgang Borrs

wochentaz: Danielle de Picciotto und Alexander Hacke, ihr spielt am Samstag bei dem Protestkonzert am Brandenburger Tor. Warum werbt ihr dafür, mit einem „JA“ beim Volksentscheid Berlin 2030 Klimaneutral zu stimmen?

Danielle de Picciotto: Uns sind die Umwelt und nachhaltiges Leben wichtig, wir sind beide vegan, haben kein Auto, benutzen so wenig Chemikalien wie möglich – kein Waschmittel, Shampoos als Seife im Block und so. Als Künstler hat man oft das Gefühl, es wäre schön, mehr tun zu können, auch außerhalb der persönlichen Ebene – und wir würden gerne mehr für Klima-Thematiken machen.

Alexander Hacke: Ich hoffe, dass unsere Arbeit, den Volksentscheid zu promoten, Auswirkungen hat. Es ist wichtig, dass das Volk seine Stimme abgibt und dass die Politik sieht, dass die Menschen tatsächlich eine Veränderung wollen.

Wie kam es dazu, dass ihr bei der Großdemonstration auftreten werdet?

De Picciotto: Weil das die Veranstaltung ist, die uns gefragt hat.

Wo liegt der Unterschied, ob man Parteien oder Volksentscheide unterstützt?

Demo & Konzert

Am Samstag von 14 bis 20 Uhr findet am Brandenburger Tor die Großdemonstration mit Konzert für den Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“ statt. Es spielen neben Hackedepicciotto unter anderem Alli Neumann, Annett Louisan, Arnim und Thomas von den Beatsteaks, Element of Crime, Igor Levit, Kat Frankie, und Lie Ning. Redebeiträge kommen unter anderem von der Klimaaktivistin Luisa Neubauer und der Ökonomin Maja Göpel.

Hackedepicciotto

Alexander Hacke wurde bekannt als Bassist und Mitbegründer der Band Einstürzende Neubauten, die seit den 1980er Jahren für viele experimentelle Musikgruppen ein Vorbild war. Danielle de Picciotto kam nach Berlin, um Leadsängerin der Band Space Cowboys zu werden. Sie ist Multimediakünstlerin und Mitbegründerin der Technoveranstaltung Love Parade. Als Hackedepicciotto machen die beiden experimentelle und elektronische, vor allem instrumentale Musik machen. Das Künst­le­r:in­nen­duo ist seit 2006 verheiratet.

Hacke: Parteipolitische Programme zu unterstützen ist noch mal etwas anderes als ein konkretes Anliegen. Was im Rahmen von Wahlkampf versprochen wird und was am Ende umgesetzt wird, ist ja immer noch ein Unterschied. Hier geht es um das dringende Anliegen, etwas tatsächlich so schnell wie möglich umzusetzen. Nicht nur die Leute an die Macht zu bringen, die man generell als die besten empfindet.

Ihr seid vegan und habt kein Auto. Aber eure Musik ist elektronisch, sie basiert auf Strom. Macht ihr euch da manchmal Gedanken drüber?

Hacke: Was wir machen, wäre ohne Elektrizität nicht möglich.

De Picciotto: Wir haben Stücke, die wir einfach unplugged spielen können …

Hacke: … aber das ist nicht die Art von Musik, die ich machen will. Es geht ja nicht darum, Elektrizität abzuschaffen. Es geht irgendwie darum, Elektrizität auf eine nachhaltige, korrekte Art zu gewinnen. Ich kann ja jetzt nicht sagen, dass ich deswegen nur noch akustische Musik mache.

De Picciotto: Na ja, aber ursprünglich war schon der Gedanke, dass wir alles auf der Straße spielen können. Das hat sich dann weiterentwickelt.

Warum wolltet ihr alles auf der Straße spielen können, aus Energie- oder aus musikalischen Gründen?

Hacke: Aus dem Bedürfnis heraus, komplett unabhängig zu sein von irgendetwas. Dem Prinzip, off-the-grid zu sein. Natürlich ist das ein interessanter, aber auch recht romantischer Gedanke.

Wie klimaneutral geht ihr auf Touren?

De Picciotto: Wenn wir touren, machen wir alles so gut wie es geht mit dem Zug. Das ist uns total wichtig, darum schleppen wir so 100 Kilogramm und machen auch Neun-Stunden-Reisen, um ein Konzert zu spielen. Manchmal geht’s nicht anders, wenn wir nach Amerika oder Neuseeland fliegen. Aber grundsätzlich versuchen wir, da total drauf zu achten.

Aber die großen Probleme entstehen nicht durch die Musiker:innen.

Hacke: Das eigentliche Problem sind Lobbyismus und Konzerne, die die Politik beeinflussen und versuchen, ihre Interessen durchzusetzen und durchzuhalten. So ein Volksentscheid ist wichtig, damit die Menschen sagen: Moment mal, es ist nicht unsere Priorität, besonders tolle dicke Autos aus deutscher Produktion hier überall rumfahren zu haben.

De Picciotto: Gestern habe ich gelesen, dass Klimaziele von vielen industriellen Konzernen tatsächlich eingehalten wurden. Aber das größte Problem ist die Autoindustrie in Deutschland, die haben sogar mehr Abgase gehabt als eigentlich gedacht.

Die Achtziger waren die Zeit des Punk, man sagte „No Future“. Ihr wart dabei. Jetzt bemühen wir uns darum, dass wir doch eine Zukunft haben. Wie passt das zusammen?

Alexander Hacke und Danielle de Picciotto an eine Straße vor Hochhäusern

Hackedepicciotto in der Leipziger Straße in Berlin Foto: Wolfgang Borrs

De Picciotto: (lacht) Haben wir eine Zukunft?

Hacke: Ich glaube, das kommt mit dem Alter und gesammelten Erfahrungen. Irgendwann ist die eigene Befindlichkeit nicht mehr so wichtig, wie es vielleicht für junge Menschen der Fall ist. Mir geht es inzwischen mehr darum, was ich hinterlasse – im Negativen wie im Positiven.

Inwiefern ist jungen Menschen die eigene Befindlichkeit wichtiger?

De Picciotto: In den 1980ern gab es auch Umweltprobleme, der saure Regen und das Ozonloch waren Themen. Ich hab damals auch Mode gemacht und mich ganz viel damit auseinandergesetzt, Kleider zu machen, die einen vor der Umwelt schützen. In den 1970er Jahren hatten alle Angst vor dem Atomkrieg, wegen dem Kalten Krieg und so. Es gab eigentlich in jeder Generation dieses Gefühl, dass es dem Ende naht.

Und was ist der Unterschied zu heute?

De Picciotto: Wir sind jetzt in dem Alter, wo wir der nächsten Generation etwas übergeben. Damals waren wir jung und unschuldig. Wie wir jetzt leben, macht einen Unterschied für die Generation danach und deswegen ist man verantwortlicher als mit 20, wenn man gerade anfängt.

Hacke: Und die Zeit hat sich in dem Sinne geändert, dass wir im Informationszeitalter sind. Die Möglichkeiten, Inhalte zu übermitteln, sind ganz anders als in den 1980er Jahren. Nur eine bestimmte Haltung zu haben, reicht heutzutage nicht mehr aus. Es liegt in unserer Verantwortung, sie auch zu kommunizieren und Kanäle zu nutzen.

Früher war eure Haltung eher nihilistisch, heute schaut ihr darauf, was ihr der Gemeinschaft hinterlasst. Was war der Auslöser?

De Picciotto: Für mich war das 2010, da sind wir Nomaden geworden, haben alles aufgegeben, weil wir gesagt haben: Die Gentrifizierung machen wir nicht mit, wir werden rumreisen und irgendwie gucken, wie man alles minimalisieren kann. Wir waren dann sieben bis acht Jahre lang Extremnomaden, hatten kein Zuhause. In der Zeit haben wir aufgehört zu trinken, sind vegan geworden. Uns ist extrem aufgefallen, was eigentlich gerade passiert. Wenn man nicht in seiner Blase, seiner Stadt, seinem Zuhause sitzt und das abstrakt erfährt, sondern rumfährt – dann sieht man, wie die ganze Welt mit der Gentrifizierung und der Umweltthematik konfrontiert wird. Da fängt man automatisch an, die Welt anders zu sehen.

Und für dich, Alexander Hacke?

Hacke: Für mich fing das früher an, mit dem Mauerfall beziehungsweise der Veränderung, die Berlin und Deutschland nach dem Mauerfall durchgemacht haben. Ich bin Westberliner, die Situation, in der ich geboren und aufgewachsen bin, war so pervers und absurd. Eingeschlossen zu sein auf einer Insel hinterm eisernen Vorhang hat mein Weltbild gefärbt. In dem Moment, wo sich das geöffnet hat und Berlin plötzlich Hinterland hatte, wurde spürbar, wie der Kapitalismus die Macht übernimmt. Es gab nach dem Mauerfall dieses eine Jahr zwischen 1989 und -90, wo die totale Anarchie herrschte und keiner wusste, was jetzt passieren wird. Es gab ein unglaubliches Potenzial an Dingen.

De Picciotto: Naja, ein bisschen länger als ein Jahr ging das schon.

Hacke: Aber spätestens 1995 war klar, dass so eine (lacht)… eine eiserne Klaue des Kapitalismus und der Konzerne irgendwie so alles in ihre Macht nimmt. Das war für uns beide, glaube ich, ein Moment, wo uns klar wurde: Moment mal, die Macht geht nicht vom Volk aus, sondern vom Geld.

Glaubt ihr, auch andere Mu­si­ke­r:in­nen denken heute anders als früher?

De Picciotto: Leider ist es so, dass sich viele Leute nicht wirklich Gedanken darüber machen, sogar in der Underground-Szene nicht. Heutzutage ist es so schwierig, zu überleben, dass viele Leute Sachen nur machen, weil sie nicht anders können. So teuer wie alle Wohnungen geworden sind und so, da kann kaum jemand von seiner Kunst leben und muss dann nebenher arbeiten. Bioessen kostet zum Beispiel mehr als anderes Essen und das sind so Thematiken, die gerade bei selbstständigen Musikern wichtig sind. Das ist alles keine Ausrede, aber deswegen schieben das viele Leute von sich weg und sagen, sie müssen erstmal schauen, wie sie überleben können.

Und wie denkt die heutige Generation?

De Picciotto: Bei der jüngeren Generation finde ich das ganz toll, dass die so aktiv ist. Da ist es noch nicht so verfestigt und da passiert zum Glück sehr viel mehr, auch in der Musikszene. Aber ich glaube, dass bei Leuten zwischen, sagen wir mal, 30 und 50 leider im persönlichen Alltagskampf nicht viel übrig bleibt, um sich da großartig Gedanken drum zu machen. Wir sind oft enttäuscht.

Es bleibt also heutzutage keine Zeit, Kunst zu machen und sich zusätzlich mit gesellschaftlichen Themen zu beschäftigen?

Hacke: Es ist eine generelle Haltungsfrage, die durch diesen Überlebenskampf bedingt ist. In Westberlin waren insofern paradiesische Zustände, dass es eine sehr kleine, solidarische Szene war. Dann kam die Öffnung und dieser Einbruch des Kapitalismus. Was wir von den Menschen und der Szene aus dem Osten lernen konnten, war, dass die diese Solidarität noch viel länger halten konnten, die es in Berlin auch gab. Aber dann hat auch in der Musikszene eine Konkurrenz Einzug gehalten, die es vorher nicht gab. Man passt jetzt viel mehr auf, dass man seine Schäfchen beisammenhält, als vorher. Und das ist traurig, aber es ist so.

De Picciotto: In unserem Bekanntenkreis kennen wir in Berlin niemanden, der auch vegan ist. In der jetzigen jungen Generation ist man sich so dermaßen bewusst, was passiert, dass viele Leute Sachen machen. Aber in unserer Generation, was wir auch echt schockierend finden, sagen viele „nach mir die Sintflut“. Das ist enttäuschend, weil wir kommen aus einer Generation, die aus den Achtzigern kommt und extrem alternativ war. Und extrem revolutionär, man dachte irgendwie, die machen dann Sachen anders, auch im Alter.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Was von dem Revolutionären aus den 1980er Jahren ist denn geblieben?

De Picciotto: Vieles verschwindet, das denkt man gar nicht. Von einer 100 Prozent alternativen Gruppe, wo alle alles anders machen wollen, bleiben über die Jahre vielleicht 20 Prozent übrig. Das ist schon sehr extrem, finde ich, wie sehr das Leben Menschen verändert.

Aber ihr wollt Sachen anders machen.

De Picciotto: Wir wollen zeigen, dass es geht, auch in unserer Generation. Dass sich Leute in unserem Alter dafür einsetzen, dass es uns auch wichtig ist. Vielleicht animieren wir so auch andere Leute, mehr darüber nachzudenken und so. Wenn das alle machen würden, würde sich so wahnsinnig viel verändern. Wenn 50 Prozent aller Leute, die wir kennen – und wir kennen echt viele – zumindest vegetarisch wären oder ihr Auto nicht hätten, weil man das wirklich nicht braucht in dieser Stadt. Das würde so einen unglaublichen Unterschied machen. Man kann als einzelner Mensch einen Unterschied machen und viele Leute verstecken sich in der Menge.

Hacke: Ich glaube, viele Menschen aus unserer Generation haben diese Transition in die neue Welt nicht so richtig mitgemacht und sie auch nicht verstanden. Die alte Generation hatte dieses Prinzip „wir gegen die“. Die verstehen die Welt, wie sie jetzt ist, so, dass alle zu Mitläufern geworden sind. Dass Social Media und diese ganzen Systeme dazu führen, dass die Jugend und die Kultur total konform werden. Aber dieses „wir gegen die“ existiert nicht mehr so wie früher. Das heißt aber nicht, dass man aufgeben oder resignieren muss oder sollte.

Was kann man denn tun, anstatt zu resignieren?

Hacke: Es geht darum, in den Systemen, die es jetzt gibt, das zu machen, was man machen kann. Diese ganzen Kanäle zu nutzen und sich gerade zu machen auf eine andere Weise. Viele von den alten Haudegen sind komplett ironiefrei, die haben einfach nicht den nötigen Humor oder die nötige gedankliche Freiheit, oder den Forschergeist, um zu schauen, wie man in der heutigen Zeit Dinge verändern kann. Die fühlen sich in ihrem Tun aus den 1980er Jahren gescheitert und resignieren und das ist, glaube ich, ein echtes Problem.

De Picciotto: Früher konnte man sagen, die anderen sind das Problem. Aber heute ist jeder einzelne Teil des Problems.

Wollt ihr durch eure Musik politisierend wirken?

Hacke: Auf gar keinen Fall.

De Picciotto: Wir betrachten unsere Musik als Energiearbeit. Uns geht es mehr um übergeordnete oder spirituelle Themen. Wir wollen eine bestimmte Energie hinkriegen, die auf diese Art und Weise Menschen berührt und verändert – wir sind keine Entertainer.

Hacke: Das ist die Macht von Musik. Musik kann dir Rückendeckung und das Gefühl geben, dass du nicht alleine bist. Und kann dir die Kraft geben, Dinge umzusetzen. Diesen Service bereitzustellen, ist, was wir machen. Wir versuchen, Energien zu erzeugen, die Menschen die Kraft geben können, etwas zu verändern …

De Picciotto: … aber das kann ja jede Musik. Wir haben viele Instrumentalstücke, schreiben keine Songs in dem Sinne und singen jetzt keine Liebeslieder. Also nix gegen die, ein paar haben wir auch. Aber es geht mehr um Sound und Rhythmus und eine Art von Intensität, die wir irgendwie aufbauen. Wir haben zum Beispiel oft das Ding, dass Leute im Publikum anfangen zu weinen, weil sie so berührt sind. Weil sie spüren, dass es eine Art von Urenergie ist, die ins Herz geht. Und das ist, was wir suchen.

Um was geht es euch bei eurer Musik?

De Picciotto: Wir sind nicht im Mainstream und der Unterschied ist eben, dass es nicht darum geht, dass es ein Hit sein muss. Das ist ja, was die ganze Musikindustrie heutzutage versucht, dass es Roboter gibt, die dir sagen: Das wird ein Hit. Natürlich wollen wir von unserer Musik leben, aber wir schrei­ben die Stücke nicht so, dass wir damit Geld verdienen. Wir komponieren die so, dass eine bestimmte Energie rüberkommen soll.

Hacke: Nichts, was wir machen, eignet sich als Hintergrundmusik. Nicht weil es nervt, sondern weil es zu intensiv ist, als dass du dabei etwas anderes machen wollen würdest.

Und am Samstag wollt ihr die Menschen so berühren, dass sie mit „Ja“ stimmen?

De Picciotto: Wir hoffen durch unsere Anwesenheit und Musik Menschen zu begeistern und glücklich zu machen. Glückliche Menschen wählen anders als unglückliche, und wir hoffen, unseren Planeten damit retten zu können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.