Avantgarde-Filmmusik aus Italien: Tanzende Körper einfangen

Francesca Bono und Vittoria Burattini liefern mit „Suono in un tempo trasfigurato“ faszinierende Soundtracks zu US-Experimentalfilmen von Maya Deren.

Ein Mann neben einer auf einem Stuhl sitzenden Frau in schwarz/weiß

Meisterinnen der Reduktion: Vittoria Burattini und Francesca Bono in Bologna Foto: Dalia Mauri

Verstörend geht es in den Song „Trick or Chess“ hinein, der das Debütalbum des italienischen Duos Francesca Bono und Vittoria Burattini eröffnet. Den Auftakt geben stechende Synthesizer-Klänge, die desorientierend wirken. Dann zeichnet sich ein Crescendo ab: Der magmaartige Synthesizersound kontrastiert dabei mit den Drums, die luftig vor sich hin wirbeln. Beim Zuhören driftet man in Zeitlupe ab – wie eine Seifenblase im All.

Dieser Auftakt liefert die Essenz von Bonos und Burattinis Album, das den Titel „Suono in un tempo trasfigurato“ trägt. Bei der Instrumentierung beschränken sich die italienischen Musikerinnen auf einen Juno-60-Analog-Synthesizer und das Schlagzeug.

Die zehn Songs bewegen sich also in einem eng gesteckten Rahmen und schaffen es zugleich, damit eine facettenreiche Klanglandschaft zu erzeugen. Das Aufeinandertreffen von elektronischen Klängen und organischen Rhythmen sorgt für einen mystischen und hypnotischen Sound, mal mit Sci-Fi-Anmutung, mal an Horror-Gothik erinnernd, mal mit Mystery-Note.

Aufeinandertreffen zweier Solitäre

„Suono in un tempo trasfigurato“ ist auch ein Aufeinandertreffen zweier Musikerinnen, die – jede für sich – bereits auf eine solide Karriere im italienischen Underground zurückblicken können. Francesca Bono ist Sängerin, Gitarristin und Keyboarderin der Indie-Dreampop-Band Ofeliadorme, Vittoria Burattini Drummerin der Postrock-Formation Massimo Volume.

Bono/Burattini: „Suono in un tempo trasfigurato“ (Maple Death/Rough Trade)

Beides Gruppen, die in Bologna verwurzelt sind – einer Stadt mit einer lebendigen alternativen Musikszene, welche Massimo Volume bereits in den frühen 1990er Jahren maßgeblich mitprägte. In Bologna hat auch das Label Maple Death Records, bei dem ihr Album erschienen ist, einen Sitz.

Obwohl die Backgrounds der beiden Musikerinnen in ihrer ersten gemeinsamen Arbeit zweifellos mitschwingen, wagen sie sich auf neues Terrain. Dabei tauchen sie wiederum tief ein in die italienische Experimental- und Library-Musiktradition der 1960er und 1970er Jahre und landen bei Pio­nie­r*in­nen wie der Improvisationsgruppe Gruppo di Nuova Consonanza – in der einst auch Ennio Morricone mitwirkte, bevor er als Filmkomponist arbeitete.

Das Duo bezieht die primäre Inspiration auch aus der Welt der Soundtracks. Den Anstoß zum Projekt gab nämlich ein Kompositionsauftrag, den Bono von der Stiftung Home Movies in Bologna bekam – Musik für drei kürzere Stummfilme der Experimentalregisseurin Maya Deren zu kreieren: „At Land“ (1944), „A Study in Choreography for Camera“ (1945) und „Ritual in Transfigured Time“ (1946).

Maya Deren, 1917 in Kiew geboren und auf der Flucht vor antisemitischen Pogromen zur frühen Sowjetzeit in die Vereinigten Staaten emigriert, gilt als Pionierin der US-Avantgarde. In ihren Experimentalfilmen erkundet sie die Grenze zwischen Realität und Fiktion, Wachzustand und Traum, widmet sich dabei oft der Manipulation von Raum und Zeit und ergründet somit die Eignung des Kinos als ästhetische Kunstform.

Als Bono sich in Burattini ihre Komplizin für das Projekt suchte, war noch nicht abzusehen, dass es zu einem eigenständigen Album führen würde. In der Musik von „Suono in un tempo trasfigurato“ wird nun deutlich, was für eine Sug­ges­tions­kraft Derens Filmkunst auf die Musikerinnen ausübte. So erscheint die rituelle, gar obsessive Wiederholung von soghaften Klangmustern als musikalische Übersetzung der assoziativen und doch minutiös choreografierten Bewegungen von Derens Filmfiguren.

Genau wie Derens Werke ihr evokatives Potenzial mittels Schnitt und Inszenierung statt aufwendiger Spezialeffekte entfalten, wirkt auch Bonos und Burattinis Sound eher reduziert. Selbst dann, wenn Gesang als Stilmittel eingesetzt wird. ­Bonos ätherische, widerhallende Stimme in „Le Ossa“, „The Ballroom“ und „Dancing Demons“ ergibt nämlich keine Reime im Wortsinn, sondern vermischt sich in der Klangtextur als Instrument – stets in gegensätzlicher Spannung zu Burattinis plastischen Rhythmusstrukturen.

Begrenzung als Sprungbrett

Vor allem machen sich Bono und Burattini die Fähigkeit der US-Filmemacherin zu eigen, eine Begrenzung in ein Sprungbrett zu verwandeln. Denn die minimalistische Instrumentierung ermöglicht es ihnen, reduzierte Klangwelten zu entwerfen und deren Resonanzräume elegant auszuloten – genau wie Deren auf eine leicht zu bedienende 16-mm-Handkamera setzte, um den filmischen Raum dynamisch zu erkunden und die sich darin bewegenden, oft tanzenden Körper einzufangen.

Dem Duo aus Bologna gelingt es hervorragend, Derens Hang zum Experiment in Musik zu übertragen und dabei dennoch ganz bei sich zu bleiben. So scheint sich das „tempo trasfigurato“ des Albumtitels nicht nur auf Derens „trans­figured time“ zu beziehen, sondern erhält eine zusätzliche Bedeutungsebene: Mit den mal verträumt, mal brutalistisch klingenden und stets unbeständigen Atmosphären ihres Debüts haben uns Bono und Burattini einen Soundtrack der rumorenden Gegenwart geliefert.

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