Experimentelle Punkmusik aus Japan: Immer im Flow

„Our Likeness“, ein Postpunk-Album der japanischen Künstlerin Phew, wird wieder veröffentlicht. Es verbindet Subkulturen zwischen Japan und Europa.

Phew steht vor einer Milchglaswand

Kommt bald nach Deutschland: Künstlerin Phew Foto: Masayuki Shioda

Zum Interview kommt die Künstlerin zu spät – Phew hat sich in der verwunschenen Natur der Atlantikinsel Madeira beim Pilzesuchen verlaufen. Am Vorabend hatte die 63-jährige japanische Experimentalmusikerin einen eindrucksvollen Auftritt beim Madeiradig-Festival absolviert: Phews expressiver, teils improvisierter Gesang über zerhackten Synthieflächen blieb trotz aller Störgeräusche immer im Fluss.

Angesichts der Verspätung erklärt sie etwas kokett, dass sie unprofessionell an Musik herangehe. Wäre auch komisch, würde sie sich jetzt, im Alter, noch ändern. Ein Anlass unseres Treffens ist die Wiederveröffentlichung ihres Albums „Our Likeness“. Das entstand 1992 im Kölner Studio des legendären Produzenten Conny Plank, unter Mitwirkung von Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit und dem NdW-Musiker Chrislo Haas, Gründungsmitglied DAF. Auf seine Initiative hin war das Projekt überhaupt entstanden.

Phew: „Our Likeness“ (Mute/Rough Trade)

Live on Tour: 21./22.4. München „ Haus Der Kunst“; 1.5. Hamburg „Pudel Club“

Von früher zu erzählen, gar in Erinnerungen zu schwelgen, ist nicht unbedingt Phews Ding. Dabei hält ihre Biografie zahlreiche Schmankerl bereit. Etwa, wie sie als 16-Jährige in Tokio ihr Erweckungserlebnis vor dem Fernseher hatte – als sie die Sex Pistols sah. Sie überzeugte ihre Eltern, sie für einen Sommer zum Englischlernen nach London zu schicken. Inspiriert von der Punk-Subkultur, in die sie dort eingetaucht war, gründete Phew 1978 in Tokio die Band Aunt Sally.

Ryuichi Sakamoto, damals Keyboarder des Elektropop-Trios Yellow Magic Orchestra, produzierte Phews Debütingle als Solistin. 1981 nahm sie dann das Album „Phew“ auf, für das ihr Label Mute die japanische Künstlerin auch schon ins Studio von Conny Plank nahe Köln geschickt hatte; neben Jaki Liebezeit am Schlagzeug gehörte auch Can-Bassist Holger Czukay zur Backingband – mit dem Ergebnis, dass Phews frühe Musik wie eine alternativer Abzweig der Can-Geschichte klingt.

Jedes Detail entscheiden

Es folgt eine umtriebige Solo­karriere, mit vielen tollen Kooperationen. Seit an Seit mit Ekletikern wie dem New Yorker Produzenten und Bassisten Bill Laswell und Jim O’Rourke arbeitete sie, ebenso wie mit der japanischen Underground-Supergroup Novo Tono und Ana da Silva von den Londoner Raincoats. In den zehner Jahren entdeckte sie dann Homerecording für sich; auf dem ersten auf diese Weise produzierten Album „Light Sleep“ (2012) klingt sie stimmlich emotional wie selten.

„Musik im Alleingang zu produzieren hat definitiv Vorteile. Ich kann selbst jedes Detail entscheiden. Solo eine Tournee zu bestreiten ist allerdings öde – immer allein essen gehen!“ Und schon poppt sie wieder auf, die Phew’sche Koketterie: „Ich war Dilettantin, habe aber immer mit Profis zusammengearbeitet.“ Als solchen erlebte sie auch Chrislo Haas.

Der Multiinstrumentalist war 1981, bei den Aufnahmen zu ihrem Debüt, federführend. Bei einem Japanbesuch Ende der 1980er kontaktierte Haas die japanische Künstlerin: Ob Interesse an einer Zusammenarbeit bestünde? Er stellte den Kontakt zum Label Mute her und trommelte Mitmusiker zusammen; unter anderem spielte Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten auf „Our Likeness“ Gitarre.

Chrislo Haas, ein Pionier der elektronischen Tanzmusik

„An Chrislo denke ich oft – vor allem, wenn ich alleine zu Hause am Computer arbeite. Und frage mich dann, welche Art von Musik er heute machen würde, wäre er noch am Leben. Seine Musik klang immer eigenwillig und reichhaltig, obwohl er scheinbar minimalem Aufwand betrieb, ohne großen Schnickschnack.“

Haas hatte auf dem Album „Die Kleinen und die Bösen“ (1980) von DAF (übrigens der ersten Veröffentlichung von Mute überhaupt) Bass und Saxofon gespielt. Nach seinem Ausstieg gründete er mit Beate Bartel Liaisons Dangereuses: Mit „Los Ninõs del Parque“ hatte das Duo 1982 einen Welthit, der zur Blaupause von Techno wurde. Haas gilt als Innovator und Pio­nier der die Entwicklung der elektronischen Tanzmusik. Leider starb er 2004 im Alter von 47 Jahren infolge seines übermäßigen Alkoholkonsums.

Jenseits von der Begeisterung für ihre einstigen, weitgehend in Vergessenheit geratenen Mitstreiter – die Gegenwart ihres Musikschaffens interessiert Phew mehr. Sie lebt inzwischen am Rande der Metropole Tokio und schwört auf den Spirit der Independentszene. Dass es in Japan kaum Unterstützung für experimentelle Mu­si­ke­r:in­nen gibt, sieht sie eher positiv.

Auch im fünften Jahrzehnt ihres Musikschaffens feiert sie den DIY-Ethos von Punk, ohne Ermüdungserscheinungen. Gerade hat sie ein Album mit der Berliner Allround-Künstlerin Danielle de Picciotto aufgenommen; auch mit Ana da Silva will sie demnächst wieder arbeiten.

Es ist ein Gewinn, sich „Our Likeness“ zu Gemüte zu führen. Jeder Song steht für sich: der schleppende Groove von „Depth of the Forehead“, bei dem sie den schneidenden Drive der Gitarre mit dem Gesang bremst. Die klackerige Kakophonie von „Our Element“. Der luftige Überschwang des Titelsongs. Phew hat mit diesem Album etwas ganz Eigenes geschaffen – auch dank der Persönlichkeiten, die daran mitwirkten.

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