Wahlrechtsreform beschlossen: Schrumpfkur für den Bundestag

Erhitzt debattieren die Abgeordneten am Freitag über die Wahlrechtsreform. Union und Linke werfen der Ampel jetzt Manipulation vor.

Vogelperspektive auf Menschen, die an einer Wahlurne stehen

Bei der Debatte zur Änderung des Bundeswahlgesetzes ging es hoch her Foto: Sebastian Rau/photothek/imago

Ganz am Ende der Debatte im Bundestag versucht Unionsfraktionschef Friedrich Merz, das neue Wahlrecht doch noch abzubiegen. In einer Kurzintervention wendet er sich direkt an die Fraktionsvorsitzenden der Ampel und fordert sie auf, die Abstimmung um zwei Wochen zu verschieben.

Der zuletzt vorgelegte Änderungsantrag verändere die Mechanik des Wahlrechts so grundsätzlich, dass er das Vertrauen in die Demokratie beschädige, sagt Merz. Er hatte sich in der erhitzen Debatte zuvor nicht zu Wort gemeldet, was angesichts ihrer Bedeutung ungewöhnlich ist. Stattdessen redete zunächst CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt unter – was noch ungewöhnlicher ist – lautem Beifall der Linksfraktion.

Dobrindt poltert

„Das ist keine Reform, das ist ein Akt der Respektlosigkeit gegenüber den Wählerinnen und Wählern, gegenüber der Opposition und gegenüber der Demokratie an sich“, polterte Dobrindt. „Durch das Nichtzuteilen von Wahlkreisen wollen sie der CDU/CSU schaden, durch die Abschaffung der Grundmandatsklausel wollen sie die Linke aus dem Parlament drängen und mit einer offensichtlichen Freude das Existenzrecht der CSU in Frage stellen.“

Jan Korte, der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken, stand Dobrindt nicht nach. Er warf der Ampel eine Reform „im Geiste Orbans und Kaczyńskis“ vor, sprach von einem „Anschlag auf die Demokratie“ und einem „hingerotzten“ Änderungsantrag, mit dem die Ampel zwei Oppositionsparteien eliminieren wolle.

Gesetzentwurf weiter verschärft

In der Tat hatten SPD, Grüne und SPD ihren Gesetzentwurf am Wochenende noch einmal verschärft. Ab der nächsten Wahl soll der Bundestag demnach dauerhaft von jetzt 736 auf 630 Sitze verkleinert werden. Allein die Zweitstimmen sollen in Zukunft die Verteilung der Mandate bestimmen. Überhang- und Ausgleichsmandate fallen weg. Das kann dazu führen, dass jemand, der in seinem Wahlkreis bei den Erstimmen auf dem ersten Platz liegt, trotzdem nicht in den Bundestag einzieht – was besonders die CSU auf die Barrikaden treibt.

Die CSU hat von der bisherigen Regelung stark profitiert und schreit nun laut „Wahlmanipulation“. Konstantin Kuhle, FDP-Fraktionsvize, konterte im Bundestag: „Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf ein Wahlkreismandat.“ Das Erlangen hänge eben vom Wahlrecht ab.

Am Wochenende hatte die Ampel auch die so genannte Grundmandatsklausel aus ihrem Entwurf fürs Wahlrecht entfernt. Bislang sitzen Parteien, die unter der Fünf-Prozent-Hürde bleiben, in der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses im Bundestag, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewonnen haben. Das hat die Linke bei der letzten Bundestagswahl gerettet. Konsequenzen könnte das aber auch für die CSU haben, die 2021 bundesweit 5,2 Prozent bekam. Würde sie unter fünf Prozent rutschen, würde sie trotz vieler Wahlkreissiege aus dem Bundestag fliegen. „Ich wusste nicht, dass die CSU die Fünf-Prozent-Hürde fürchtet“, bemerkt dazu die grüne Fraktionschefin Britta Haßelmann süffisant.

Sebastian Hartmann von der SPD dagegen betont, dass der Bundestag nun die „eigene Reformfähigkeit“ unter Beweis stelle. Zehn Jahre und einige Kommissionen lang war das gescheitert – vor allem an der CSU.

Merz' Intervention am Ende bleibt erfolglos. Das neue Wahlrecht wird mit 400 Ja-Stimmen, 261 Nein-Stimmen und 23 Enthaltungen angenommen. Letztere kommen von der AfD. Die Union wird wohl vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, auch Jan Korte kündigte an: „Wir sehen uns in Karlsruhe.“

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