Für das Leben

KAMPAGNE Im Erzgebirge marschierten Hunderte Abtreibungsgegner vor einer Klinik. Die Evangelikalen sind auf dem Vormarsch

Das sind Einschüchterungsversuche gegen Klientinnen

ANDREA MÖNHOFF, PRO FAMILIA

ANNABERG-BUCHHOLZ taz | Etwa 400 selbsternannte Lebensschützer versammelten sich am Montagabend vor dem Erzgebirgsklinikum in Annaberg-Buchholz im Erzgebirge zum „Schweigemarsch für das Leben“.

Der Auftaktort war bewusst gewählt. In der Klinik würden „jährlich straffrei Hunderte von medizinisch oder kriminologisch nicht indizierten Kindstötungen“ vorgenommen, heißt es. Nach Angaben des Klinik-Geschäftsführers Bertram Preuß sind es jedoch nur zehn bis fünfzehn Abbrüche jedes Jahr.

Aufgerufen zum Protest hatte der CDU-Verband Christdemokraten für das Leben (CDL). Joachim Hardlich, Vize-Chef des CDU-Kreisverbandes Erzgebirge, fordert die Abschaffung der gesetzlichen Regelung, nach der ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen und nach einer Pflichtberatung straffrei ist. Er argumentiert, dass die „Entscheidung über das Weiterleben von Gottes Geschöpf“ in der Verantwortung der Gesellschaft läge und nicht individuell getroffen werden könne. Der Bundesgeschäftsführer der Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren (Kaleb), Gerhard Steier, ging sogar noch weiter. Er behauptete, Frauen würden häufig „zur Abtreibung gezwungen“ werden. Steier kritisierte, Betroffene würden nicht über „Risiken- und Nebenwirkungen“ einer Abtreibung informiert. Viele Frauen würden unter dem „Post Abortion Syndrom“ leiden, erklärte Marc Schneider, CDL-Vorstandsmitglied. Dieses Argument ziehen die „Lebensschützer“ seit Mitte der 90er Jahre immer wieder als Waffe im Antiabtreibungskampf heran. Daraufhin führte die weltweit größte Vereinigung von Psychologen, die American Psychological Association, eine Studie durch. Das Ergebnis: Das Risiko psychischer Probleme für Frauen, die abtreiben, ist nicht größer als das bei Frauen, die nach einer ungewollten Schwangerschaft ihr Kind austragen. Steffen Flath, CDU-Fraktionsvorsitzender im Sächsischen Landtag, ist überzeugt davon, dass „die meisten Frauen nicht wissen, was sie sich antun.“

In der Nachbarstadt Aue prangte ein Werbeplakat für den Marsch in der Umgebung der unabhängigen Beratungsstelle pro familia. Andrea Mönkhoff, vom Pro-familia-Landesverband Sachsen glaubt nicht an Zufall. Sie sieht in der Aktion einen „Einschüchterungsversuch“ ihrer Klientinnen. „Wir beraten ergebnisoffen und halten es für falsch, Frauen in irgendeine Richtung zu drängen“, sagte Mönkhoff. Die kirchenpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Sächsischen Landtag, Annekathrin Giegengack, ist Christin. Trotzdem ist sie besorgt darüber, dass mit Berufung auf den Glauben ein gesellschaftliches Klima geschaffen werde, in dem Schwangerschaftsabbrüche als Mord gelten.

Antiabtreibungsmärsche finden seit einigen Jahren in fast allen europäischen Hauptstädten und einmal jährlich im September in Berlin statt. Sachsen hat seit drei Jahren seinen eigenen Marsch. Mit Besorgnis beobachtet Giegengack, dass sich Vertreter dieser Glaubensrichtung in Abgrenzung zu „liberalen Positionen“ vermehrt in „die Politik einmischen“. Das mache sich in Sachsen immer wieder in Debatten über Homosexualität bemerkbar.

Der Anmelder des Antiabtreibungsmarschs in Annaberg-Buchholz, Thomas Schneider, würde sein politisches Amt als CDU-Kreistagsmitglied und sein Predigeramt „auf gefährliche Weise vermischen“, meint Giegengack. Schneider ist Mitarbeiter der evangelischen Nachrichtenagentur idea und gelegentlicher Autor der rechtslastigen Zeitung Junge Freiheit. Er tourt mit Vorträgen zu weltanschaulichen und politischen Fragen durch die Republik. Auf seiner Homepage unterstützt er die sächsische Stadträtin, die den Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck in einem Brief wegen seiner Homosexualität beschimpft hatte. Thomas Schneider schreibt auf seiner Website: „Leute wie Sie, Herr Beck, braucht das deutsche Wählervolk beim besten Willen nicht.“ JENNIFER STANGE