Deutschlands Bildungsmisere: Der Kanzler muss eingreifen

Wohlhabende Länder blockieren eine gerechte Verteilung von Bundesmilliarden für Bildung. Einem sozialdemokratischen Kanzler darf das nicht egal sein.

Eine Schülerin sitzt während der Abiturprüfung im Fach Biologie in der Aula

Mit dem Startchancenprogramm möchte die Ampel 4.000 Brennpunktschulen stärken Foto: Sebastian Kahnert/dpa

An den deutschen Bundeskanzler werden naturgemäß viele Anliegen herangetragen, so auch diese Woche. Olaf Scholz möge die Flüchtlingspolitik in die Hand nehmen, Olaf Scholz dürfe sich nicht mit Benjamin Netanjahu treffen. Eine bemerkenswerte Forderung stellte diese Woche ein Bündnis aus Stiftungen, Verbänden und Gewerkschaften auf: Der Kanzler müsse Bildung zur Chefsache machen – und einen richtigen Bildungsgipfel einberufen. Mit Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen und Abschlusserklärung. Damit nicht wieder so eine laue Veranstaltung herauskommt wie soeben in Berlin.

Zur Erinnerung: Die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hatte Länder und Kommunen, Wissenschaft und Schulcommunity am Dienstag und Mittwoch zum Krisentreffen gebeten. Eine „bildungspolitische Trendwende“ wollte sie einleiten und die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern neu regeln. Beides ist gründlich schiefgegangen. Die Länder blieben – bis auf zwei – dem Gipfel fern, Beschlüsse wurden nicht gefasst. Außer man lässt die Ankündigung einer Taskforce gelten, die irgendwann Vorschläge zu drängenden Schulproblemen machen soll. Dabei müsste auch Stark-Watzinger klar sein, dass man mit Arbeitskreisen keine Schulabbrecherquoten senkt oder sozial benachteiligten Kindern hilft. Der Gipfel hat offenbart, dass nicht nur das Bildungssystem in einer Krise steckt – sondern auch die Bildungspolitik.

Gut möglich, dass eine Einladung aus dem Kanzleramt (und eine frühzeitige Einbindung der Länder) eine andere Resonanz erzeugt hätte – am Ergebnis hätte das wohl wenig geändert. Dazu verhalten sich manche Länder zu oft zu starrsinnig. Diese Erfahrung hat schon Angela Merkel machen müssen, als sie 2008 einen „richtigen“ Bildungsgipfel ausrief – und auf offener Bühne von den Länderfürsten vorgeführt wurde, auch aus der eigenen Partei. Ihr Versprechen, das Bildungsbudget bis 2015 auf zehn Prozent des BIP zu hieven, konnte Merkel bekanntlich nicht einhalten.

Brennpunktschulen stärken

All das weiß Olaf Scholz natürlich. Er ist zu schlau, um sich in föderale Grabenkämpfe hineinziehen zu lassen. Dennoch könnte sich für den Kanzler eine Intervention lohnen. Denn die Sturheit der Länder – aktuell Sachsen und Bayern – ist geeignet, das zentrale Bildungsversprechen seiner Regierung zu torpedieren.

Die Sturheit von Bayern und Sachsen ist geeignet, das zentrale Bildungsversprechen der Regierung zu torpedieren.

Mit dem Startchancenprogramm möchte die Ampel 4.000 Brennpunktschulen stärken, ab dem Schuljahr 2024/25 soll es losgehen. Markus Söder und Michael Kretschmer aber wollen partout nicht einsehen, dass die geplanten Bundesmilliarden nach sozialen Kriterien verteilt werden. Bil­dungs­for­sche­r:in­nen halten das für dringend notwendig. Auch Stark-Watzinger hat eine Mittelvergabe nach Gießkanne – also nach Königsteiner Schlüssel, der sich nach Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft bemisst – ausgeschlossen. Bayern und Sachsen aber beharren auf ihrem gewohnten Stück vom Kuchen, obwohl andere Länder das Geld dringender brauchen.

Der Kompromiss, auf den sich die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen jetzt bei ihrem KMK-Treffen am Donnerstag geeinigt haben, sieht vor, dass nur fünf Prozent der Mittel direkt in die bedürftigsten Schulen fließen sollen. Dazu soll ein „Solidarfonds“ eingerichtet werden, von dem dann die Länder mit den meisten sozialen Brennpunkten, also Bremen, Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen, profitieren sollen. Zumindest ganz ein kleines bisschen. Der größte Teil des Kuchens wird zerbröselt und schön gleichmäßig über das Bundesgebiet verstreut.

Stark-Watzinger darf diesen Vorschlag nicht akzeptieren – und Scholz muss sie darin unterstützen. Zu sehr konterkariert der KMK-Vorschlag das eigentliche Programmziel. Außerdem wäre die Glaubwürdigkeit der Ampel dahin, die aus den Fehlern vergangener Bund-Länder-Programme – siehe „Aufholen nach Corona“ – lernen und die Mittel gezielter verteilen wollte. Dorthin, wo sie benötigt werden. Und nicht, wo in diesem Jahr Wahlkampf stattfindet. All das sollte Scholz motivieren, bei der Bildungspolitik ein Machtwort zu sprechen. Im Rahmen seiner Zuständigkeit natürlich.

Wie wäre es damit: Der Kanzler macht dem Finanzminister klar, dass bei den Bildungsversprechen kein Rotstift angesetzt wird (kleiner Tipp: Investitionen in soziale Gerechtigkeit machen sich auch volkswirtschaftlich bezahlt!). Den Ländern garantiert er, dass alle Bildungsvorhaben wie der Digitalpakt 2.0 nun im „Deutschlandtempo“ angepackt werden. Und Stark-Watzinger gibt er freie Hand, kompromisslos zu verhandeln. Wenn die Länder all die Milliarden vom Bund wollen, müssen sie mehr bieten als 5 Prozent. Jedes Prozent mehr macht das Land gerechter. Wenn Deutschland nicht dafür einen sozialdemokratischen Kanzler hat – wofür dann?

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Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.

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