Gesellschaftssatire „Sick of Myself“: Erlaubt ist, was auffällt

In Kristoffer Borglis Kinodebüt will ein gestörtes Paar Aufmerksamkeit – um jeden Preis. „Sick of Myself“ ist eine beißende Satire auf Sensationsgier.

Thomas (Eirik Sæther) umarmt Signe (Kristine Kujath Thorp), deren Gesicht bandagiert ist.

Ein durch und durch ungesundes Paar: Thomas (Eirik Sæther) und Signe (Kristine Kujath Thorp) Foto: MFA+

Signe (Kristine Kujath Thorp) will nicht suchen, Signe will sein. Dies allerdings nicht nach einem salbungsvollen philosophischen Verständnis, sondern in einem ganz banalen Sinne: von Interesse, das Gesprächsthema, der Mittelpunkt sein. Wie oder wodurch spielt dabei keinerlei Rolle. Hauptsache, sie tut es.

Auch Thomas (Eirik Sæther) will sie, die absolute Aufmerksamkeit. Seine Methoden weichen allerdings von Signes ab: Er versucht über Kunst im Gespräch zu sein. Von einem höheren Motiv geleitet ist auch sein Vorgehen nicht. Für seine Ausstellungsobjekte klaut er teure Designermöbel und bastelt daraus nur leidlich Neues.

Dennoch weiß seine Partnerin ihn an Abgebrühtheit zu überbieten. Bei einem Dinner erfindet sie eine Nussallergie und schreckt nicht davor zurück, eine heftige Reaktion vorzutäuschen. Nach einer dramatischen Attacke eines Hundes auf eine Passantin, der sie zur Hilfe kommt, läuft sie blutüberströmt durch die Straßen, anstatt sich umzuziehen.

Ein jedes Mal schlachtet sie die – oftmals völlig fingierten – Vorfälle aus, um im Freundeskreis zu glänzen und auf Partys herauszustechen. Vor allem geht es Signe jedoch darum, ihren Partner Thomas zu übertreffen. Kristoffer Borglis Kinodebüt „Sick of Myself“ präsentiert sich damit zunächst als amüsante Anti-Rom-Com um ein junges Paar, das sich nicht anders denn als toxisch bezeichnen lässt.

„Sick of Myself“. Regie: Kristoffer Borgli. Mit Kristine Kujath Thorp, Eirik Sæther u. a. Norwegen 2022, 97 Min.

Vor anderen fällt man sich ins Wort, teilt Spitzen aus. Thomas nimmt Signe jede Chance, sich abseits ihres unprätentiösen Jobs in einem Café zu profilieren, Signe wiederum zweifelt Thomas’ Erfolg an, versucht ihn mitunter sogar zu sabotieren. Hätte Joachim Trier nicht den letzten Teil seiner Oslo-Trilogie bereits „Der schlimmste Mensch der Welt“ genannt, wäre es auch ein geeigneter Titel für „Sick of Myself“ gewesen.

Kosmopolitisches Milieu in Oslo

Ohnehin gibt es einige Parallelen zwischen den beiden norwegischen Filmen, die über eine aufgeräumt-skandinavische Bildsprache noch hinausgehen. Kristoffer Borgli zeigt ein ganz ähnliches kosmopolitisches Milieu in Oslo, das sich um Finanzielles keine Sorgen zu machen braucht.

Anders als in Triers Werk verfallen die Figuren ob der Freiheit, die ihr Wohlsituiertsein mit sich bringt, allerdings nicht in einen Strudel existenziellen Haderns um einen Daseinszweck. Wenn man so will, denkt Borgli das Sujet weiter und tastet sich satirisch an etwas heran, das unserem Zeitgeist womöglich noch mehr entspricht.

In „Sick of Myself“ gilt es nicht mehr, aufwendig nach einem Sinn für das eigene Dasein zu suchen. Denn Sinn ergibt, was Aufmerksamkeit generiert. Ein Selbst muss weder mühsam ergründet noch erschaffen werden. Die Essenz einer gelungenen Existenz ist die Sensation. Erlaubt ist, was auffällt.

Erste Anzeichen eines Ausschlags

Dieser Logik folgend, greift ­Signe bald zu radikaleren Mitteln, um sich bemerkbar zu machen. Im Internet stößt sie auf ein russisches Medikament, das zu einer schweren Hautkrankheit führen kann. Kurzerhand kontaktiert sie einen Bekannten (Steinar Klouman Hallert), der die Pillen in großen Mengen für sie im Darknet ordert.

Mehr wie ein Abzeichen denn wie ein Stigma stellt sie erste Anzeichen eines Ausschlags zur Schau, erhöht die Dosis immer weiter. Bis ihr Gesicht aufquillt, ihre Haut von roten Wülsten überzogen ist und ihr Umfeld gar nicht anders kann, als seine Blicke auf sie zu richten.

Von hier an mischen sich nicht nur starke Body-Horror-Elemente in das Geschehen, sondern auch gesellschaftskritische Züge: an den Gesetzmäßigkeiten der sozialen wie herkömmlichen Medien, an ihrem Hunger nach besagter Sensation und einer aufregungssüchtigen Öffentlichkeit, die diesen Hunger befeuert. Denn nun bekommt Signe endlich, was sie will: Interviews und Follower.

In Zeiten, in denen „Influencer“ ein Vermögen verdienen können, Likes sich in monetäre Werte übersetzen lassen und Clickbait-Journalismus zum neuen Normal zu werden droht, polemisiert „Sick of Myself“ beinah schmerzlich treffend gegen eine Gesellschaft, in der die Aufmerksamkeit nicht nur endgültig zur zentralen sozialen Währung, sondern auch zum bedeutenden ökonomischen Faktor geworden ist.

Nicht mehr vermarktbar

Der schwarze Humor in Kristoffer Borglis beißender Satire funktioniert jedoch immer dann besonders gut, wenn er sich weiter voranwagt und die Heuchelei eines vermeintlich an sozialen Belangen interessierten Kapitalismus enttarnt. Dass eine Abweichung von der Norm nur so lange nicht bestraft wird, wie sie Profit verspricht, muss Signe bei einem Fotoshooting für ein Modelabel, das sich als genderneutral und inklusiv beschreibt, lernen.

Zunächst als einzigartiges Model mit Wiedererkennungswert unter Vertrag genommen, missbilligt man ihre Krankheit, sobald sie sich plötzlich nicht mehr im Rahmen des ästhetisch „Aufregenden“ bewegt. Wenn etwa Haarausfall und noch gravierendere körperliche Verfallserscheinungen hinzukommen – und sie damit nicht mehr vermarktbar ist.

Mit der expliziten Darstellung dieser allmählichen Selbstzerstörung und den unzähligen Fremdschäm-Momenten verlangt der Film dem Publikum einiges ab. Darauf, bequem zu sein, hat es Kristoffer Borgli mit diesem gelungenen Debüt aber sicherlich auch gar nicht abgesehen. Stattdessen ist „Sick of My­self“ überaus smart, sehenswert – und bei alledem selbst nicht ganz frei von der Lust an der Sensation.

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