Frankreich in der politischen Krise: Keine Streikmüdigkeit zu sehen

Obwohl zwei Misstrauensvoten gegen die Regierung Borne gescheitert sind, weitet sich der Widerstand gegen die Rentenreform weiter aus.

Junge Demonstrant*innen heben in einer Straße in Marseille ihre Arme

De­mons­tran­t*in­nen Montagabend in Marseille nach Ablehnung der Misstrauensvoten Foto: Daniel Cole/ap

PARIS taz | Beim wichtigsten französischen Ölhafen Fos-sur-Mer bei Marseille haben Gewerkschafter am Dienstag die Zufahrten der Treibstoffdepots und der Raffinerie blockiert. Sie protestieren damit gegen die von den Behörden angeordnete Zwangsverpflichtung von Streikenden.

Rasch stieg die Spannung, als die Polizei versuchte, Demonstrierende mit Tränengas gewaltsam zu vertreiben. In Marseille rief Ex-Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon von der linken La France insoumise seine Anhänger auf, die Streikenden von Fos-sur-Mer gegen die „illegalen“ Zwangsverpflichtungen zu unterstützen.

Der Widerstand gegen die unpopuläre Rentenreform weitet sich zu einer politischen und sozialen Krise aus. Seit Tagen gibt es in zahlreichen Städten jeden Abend Proteste. Trotz eines Verbots an verschiedenen Orten haben auch am Montagabend wieder Tausende demonstriert. Die Polizei wird beschuldigt, in mehreren Städten ohne Vorwarnung Tränengasgranaten auf Demonstrierende geschossen zu haben.

In Paris waren es vor allem sehr junge Leute, die sich in Kleingruppen sehr schnell durch die Straßen bewegten und dabei Müllhaufen anzündeten. Die Polizei hatte Mühe, die sehr beweglichen Gruppen zu kanalisieren oder aufzulösen.

Trotz Tränengas und Polizeiangriffen gelang es den Demonstrierenden, sich im Stadtzentrum zu treffen, zuerst bei der Opera Garnier und später auf dem Bastille-Platz. Mehr als 250 Personen wurden festgenommen.

Es geht den Demonstrierenden längst nicht mehr nur um die verhasste Rentenreform, sondern auch um die Legitimität der Staatsführung. Bei den Kundgebungen werden Rufe nach „Demission“ von Premierministerin Elisabeth Borne und Präsident Emmanuel Macron laut.

Da am Montag die zwei Misstrauensanträge jeweils eine Mehrheit verfehlten, ist der Versuch der Opposition, die Regierung Borne auf diesem Weg zu stürzen und zugleich die Rentenreform zu kippen, gescheitert.

Offiziell kann die Staatsführung nun ihre Vorlage als angenommen betrachten, obwohl die Abgeordneten der Nationalversammlung nicht darüber abstimmen durften. Aus Sicht der Regierung ist damit die Diskussion zu Ende. Die Rentenreform soll trotz massiver Ablehnung und Proteste in Kraft treten.

Um Tempo zu machen, hat Borne angekündigt, dass sie „so rasch wie möglich“ die neuen, von ihr durchgeboxten Regeln für den Bezug der Altersrenten dem Verfassungsrat zur Begutachtung vorlegen wolle. Sie will damit den Oppositionsparteien zuvorkommen, die Verfassungsklagen gegen Inhalt und Form der Reform wie gegen das Vorgehen der Regierung angekündigt haben.

Mehrere Juristen erwarten, dass die Verfassungsrichter zumindest einen Teil der neuen Bestimmungen für verfassungswidrig erklären könnten.

Die linke Opposition unterstützt den Widerstand auf der Straße, will aber als Antwort auf die ohne Votum der gewählten Volksvertretung beschlossenen Rentenpolitik eine Volksabstimmung organisieren. Das wäre in Frankreich theoretisch möglich, wenn mindestens ein Zehntel der Abgeordneten zustimmen und mindestens ein Zehntel der Wahlberechtigten dies mit ihrer Unterschrift wünschen.

Das bedeutet, dass in wenigen Wochen fast 5 Millionen Unterschriften gesammelt werden müssen. Das hört sich mühsam an und erklärt, warum bisher so noch nie die Bevölkerung konsultiert wurde.

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