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: „Da schaut uns das deutsche Muster an“

Der Historiker Hannes Heer spricht in Bremen über den deutschen Vernichtungskrieg im Osten

Interview Harff-Peter Schönherr

taz: Herr Heer, wer nach der Ausstellung „Vernichtungskrieg“ noch von einer „sauberen Wehrmacht“ spricht, verfälscht die Geschichte. Wie nachhaltig hat Ihre Schau den Umgang mit der Schuld verändert, die Deutschland in der NS-Zeit auf sich geladen hat?

Hannes Heer: Die Ausstellung war sehr plastisch, sehr wenig verkopft, sehr wenig theoretisch. Sie hat das Geschehen in Weißrussland, Serbien und der Ukraine erzählt, zumal über Fotos. Das hat eine Bewegung ausgelöst: zwischen Älteren, die das alles selbst erlebt hatten, Soldaten und ihren Angehörigen, und Jüngeren, für die unser Material genau das war, auf das sie Jahre gewartet hatten. Viele Ältere haben versucht, es zu unterdrücken, auch im Schulterschluss mit Neonazis. Das war ein Bruch, wie er nicht größer hätte sein können.

Das Thema hat Sie nicht losgelassen. Im Titel Ihres Buchs klingt der Ausstellungstitel deutlich an. Worum ergänzt „Vernichtungskrieg im Osten“ die damalige Ausstellung?

Diesmal bin ich in kleinteilige Vorgänge eingestiegen, die aber für das Ganze stehen. Ich habe mich Polen zugewandt. Nach dem Einmarsch der Deutschen wurden die dortigen Juden nach Zentralpolen gebracht, rund 1,5 Millionen haben dort unter schlimmsten Umständen vegetiert. Gleichzeitig sind bis zu 1 Million Soldaten nach Polen verlegt worden, das war ja das Aufmarschgebiet für die Heeresgruppe Mitte, Richtung Moskau. Die haben miterlebt, was geschah. Feldpostbriefe haben mir gezeigt, dass auch sie schnell dachten: Die Juden verpesten die Welt, die müssen weg. Mit diesem Credo sind sie 1941 in Weißrussland einmarschiert. In den besetzen Ortschaften hat es dann ein Zeremoniell gegeben, das auch mir neu war.

Welches?

Foto: Soeren Stache/dpa

Hannes Heer

geb. 1941, Historiker und Publizist, hat das Ausstellungsprojekt „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ verantwortet, die erste sogenannte „Wehrmachtsausstellung“ (1995–99).

Alle jüdischen Männer wurden zusammengetrieben. Ein deutscher Offizier hat erklärt, warum die Deutschen hier sind und dass es die Juden bald nicht mehr geben würde. Dann hat man 10 bis 50 von ihnen erschossen, gleich vor Ort, um zu zeigen, dass man es ernst meint. Ein paar Tage später wurde dann die jüdische Intelligenz zusammengekarrt und irgendwo außerhalb abgeknallt. Wehrmachtseinheiten haben das getan.

Die Ausstellung hat Ablehnung bis hin zu Anschlägen hervorgerufen. Wie geht es Ihnen mit dem Buch? Ist noch immer Verdrängung zu spüren?

Nein. Aber das hat auch mit den Corona­jahren zu tun, da gab es ja wenig öffentliche Debatten. Da muss man jetzt rangehen, und Bremen ist dafür der Anfang. Wichtig ist, das vor dem Hintergrund dessen zu diskutieren, was sich derzeit in der Ukraine ereignet. Das sind ja ähnliche Verläufe, ähnliche Brutalitäten. Man muss untersuchen, was davon durch deutsche Fehler mitverursacht worden ist, welchen Anteil der deutsche Faschismus daran hat. Da schaut uns das deutsche Muster an.

Der Mensch lernt nichts aus der Geschichte?

Lesung mit Hannes Heer: Do, 23. 3., 19 Uhr, Bremen, Kukoon

Hannes Heer, Christian Streit: „Vernichtungskrieg im Osten. Judenmord, Kriegs­gefangene und Hungerpolitik“. Hamburg, VSA 2020, 240 S., 19,80 Euro

Da stimme ich Ihnen zu! Was da gebraut und ausgeschenkt wird, stützt sich auf uralte Verhaltensweisen.

Nicht nur Neurechte verehren die Wehrmacht, es gibt auch fragwürdige Traditionen in der Bundeswehr. So hat die Panzerbrigade 21 ihr Hauptquartier in der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne in Augustdorf. Es braucht noch viel Aufklärungsarbeit, oder?

Absolut. Man baut sich im Soldatischen gern heilige Altäre zusammen, auch in der Bundeswehr. Da hört man oft: Man muss töten lernen. Bei der Frage, wie man lernt, was das heißt, wird dann schnell auf die Wehrmacht verwiesen. Und das kommt an. Das ist verheerend. Da wird das Bild der Wehrmacht poliert, handhabbar gemacht, selbst von Wissenschaftlern.