EU-Gesetz zu kritischen Rohstoffen: Besser gewappnet sein

Die EU-Kommission stellt ein neues Gesetz über kritische Rohstoffe vor. Ziel ist es, Krisen vorzubeugen sowie nachhaltiger zu wirtschaften.

Binnenmarktkommissar Thierry Breton hält ein Stück Rohstoff in der Hand

Bei Europas erster Strategie für kritische Rohstoffe geht es auch um Sicherheit und Klimaschutz Foto: Virginia Mayo/ap

Wir alle in der Europäischen Union haben eine Vorstellung von Öl- und Gaskrisen. Die Älteren erinnern sich an die Ölkrise 1973, als arabische Länder ihre Öllieferungen einstellten. Die Jüngeren erleben gerade, wie Russland im Zuge des Angriffskrieges gegen die Ukraine Gas als Waffe einsetzt. Aber wer von uns hat je an eine Nickel-, Lithium- oder Kobalt-Krise als möglichen historischen Einschnitt gedacht? Was wäre, wenn uns China oder einige afrikanische Länder diese Metalle nicht länger lieferten? Spannen wir dann wieder Rettungsschirme und fragen uns, wie wir so naiv in sichtbare Abhängigkeiten geraten konnten?

Eleonora Evi ist Mitglied der italienischen Abgeordnetenkammer für Europa Verde.

Sandra Detzer ist Wirtschaftspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion.

Joris Thijssen ist Mitglied der zweiten Kammer der Generalstaaten der Niederlande für die Partei der Arbeit.

Marie-Pierre Vedrenne ist EU-Abgeordnete für die liberale französische Zentrumspartei Modem und Co-Vorsitzende der Fraktion L’Europe Ensemble.

Damit solche Krisen erst gar nicht entstehen, muss Europa für die Zukunft besser gewappnet sein. Darum ist es richtig, dass die EU-Kommission in Person von Binnenmarktkommissar Thierry Breton jetzt sein neues Vorhaben vorstellte: ein europäisches Gesetz über kritische Rohstoffe. Es soll uns helfen, über ausreichend kritische Rohstoffe wie Nickel, Lithium, Kobalt oder seltene Erden zu verfügen, damit nie ein europäisches Windrad oder eine europäische Solaranlage aus Rohstoffmangel keinen Strom liefert.

Noch kennen wir es nicht anders. Mangel an diesen kritischen Metallen, die wir meist in weiterverarbeiteter Form aus China beziehen, gab es bisher nicht. Das ist allerdings auch der Grund, warum wir in Europa nicht auf eine Rohstoffkrise vorbereitet sind.

Das neue europäische Gesetz markiert deshalb einen echten Neustart. Zum ersten Mal gibt sich Europa eine gemeinsame Strategie für kritische Rohstoffe. Es geht hier um elementarste Vorkehrungen für die eigene Sicherheit und den Klimaschutz.

Rohstoffe gebraucht für Solar- und Windenergie

Gerade für den Ausbau von Sonnen- und Windenergie als vorherrschende Energieträger ebenso wie für die Elektromobilität brauchen wir große Mengen kritischer Rohstoffe. Um sie über Jahre zuverlässig zu beschaffen, gibt uns der Raw Materials Act die nötigen Regeln. Das neue Gesetz schafft ein gemeinsames Verständnis für die Bedeutung kritischer Rohstoffen für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaften. Es führt zu einem gemeinsamen Handeln der europäischen Akteure für sichere und diversifizierte Lieferketten. Es soll uns auf hohe ökologische und soziale Standards bei Bergbau und Weiterverarbeitung verpflichten.

Um damit erfolgreich zu sein, muss das Gesetz echte Partnerschaften zwischen den Ländern des Globalen Südens und der EU ermöglichen. Mit Investitionen in die Infrastruktur und die weiterverarbeitende Industrie vor Ort können wir echte Win-win-Situationen schaffen. Dabei sollte das Gesetz auch im Ausland hohe Umweltstandards und menschenwürdige Arbeitsplätze sicherstellen.

Europa muss seine strategische und industrielle Unabhängigkeit stärken. Es muss in der Lage sein, Wertschöpfungsketten für den Abbau und die Nutzung von Ressourcen innerhalb Europas zu schaffen. Das erfordert eine Reform der nationalen Gesetze, um kluge Bergbau-Regeln für die Einhaltung unserer Umweltambitionen umzusetzen und gleichzeitig bei der Rohstoffsouveränität voranzukommen.

Auch Recycling ist wichtig

Mehr Unabhängigkeit müssen wir auch durch die Wiederverwendung von Rohstoffen gewinnen, die bereits im Umlauf sind. Das Gesetz setzt hier die richtigen Ziele: 10 Prozent der benötigten kritischen Rohstoffe sollen bis 2030 innerhalb der EU gefördert werden, 15 Prozent recycelt und 40 Prozent in der EU veredelt werden. Um diese Ziele zu erreichen, muss unser gesamter europäischer Industrieapparat in die Umgestaltungen einbezogen werden. Nur dann können wir Rohstoffe direkt in Europa nachhaltig nutzen, verarbeiten und wiederverwenden.

In der Vergangenheit verfügte bei der Rohstoffbeschaffung jedes europäische Land über seine eigenen Methoden. In Paris und Rom ließ man alte Verbindungen spielen, in Berlin vertraute man der Kraft der eigenen Großunternehmen. Das alles wird nun nicht mehr reichen.

Vor Ort in Ländern wie Simbabwe und dem Kongo haben chinesische Staatsunternehmen bereits umfangreich investiert und wollen es auch in Zukunft tun. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, denn auch China investiert damit in Energiewende und Klimaschutz. Doch wir Europäer müssen hier nicht nur mit China gleichziehen, sondern es besser machen: Nämlich indem wir die weiterverarbeitende Industrie, die sich heute oft in China befindet, vor Ort aufbauen. Nicht umsonst hat Simbabwe gerade den Export von unverarbeiteten Lithium verboten. Das Land wartet auf die Investoren vor Ort.

Die neue Strategie ist auch eine Überlebensstrategie

Doch kein einzelnes europäisches Unternehmen und keine einzelne europäische Regierung kann die jetzt nötigen Rohstoffprojekte in Afrika und anderswo allein angehen. Sie erfordern eine enorme Planungssicherheit. Von der ersten Messung über den Bergbau bis zur Herstellung des ersten verarbeiteten Metallprodukts vergehen oft viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Zeit, die uns der Klimawandel nicht lässt.

Umso schneller und entschlossener müssen EU-Kommission und die Mitgliedstaaten auf Basis des neuen Gesetzes nun handeln. Gleichzeitig ist es unsere Aufgabe als Parlamentarier, dass die neuen ökologischen und sozialen Regeln für die Gewinnung kritischer Materialien auch wirklich angewendet werden.

Europas neue Rohstoffstrategie ist eine unumgängliche Überlebensstrategie in Zeiten des Klimawandels. Für eine gelungene Transformation, für eine klimaneutrale, wettbewerbsfähige Wirtschaft, für gute und sichere Arbeitsplätze kann niemand auf sie verzichten. Bisher konnten wir nicht auf Öl und Gas verzichten. Daraus müssen wir lernen. Europas neue Rohstoffpolitik muss transparent, nachhaltig und gerecht sein. Dafür ist der Raw Materials Act ein erster wichtiger Schritt.

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