Chinas Nationaler Volkskongress tagt: Weniger Wachstum, mehr Rüstung

Reformen statt schnelles Wachstum: Premier Li Keqiang schlägt bescheidene Töne an und hält sich sogar in Bezug zu Taiwan mit Drohungen zurück.​

Premier Li Keqiang eröffnet mit seinem Bericht den Nationalen Volkskongress in der in rot gehaltenen Großen Halle des Volkes.

Der scheidene Premier Li Keqiang präsentiert seinen letzten Bericht beim Volkskongress Foto: Thomas Peter/reuters

PEKING taz | Wenn man Chinas Nationalen Volkskongress als politisches Theater begreift, dann ist der vom Premier zur Eröffnung vorgelegte Arbeitsbericht eine mit Spannung erwartete Darstellung. Während seines einstündigen Vortrags am Sonntagmorgen hat Li Keqiang vor knapp 3.000 Abgeordneten in der Großen Halle des Volks sämtliche Themenfelder abgearbeitet, die in den nächsten Monaten die Stoßrichtung des Landes bestimmen werden. Die meisten Beobachter warteten jedoch vor allem auf eine einzige Zahl: das von der Regierung gesetzte Wachstumsziel. Mit „rund fünf Prozent“ liegt es dieses Jahr so niedrig wie seit über einem Vierteljahrhundert nicht mehr.

Überhaupt ist dieser Volkskongress ein ganz besonderer: Erstmals nämlich tagt Chinas Scheinparlament, seit sich Xi Jinping eine umstrittene dritte Amtszeit sichern ließ. Dementsprechend wird der mächtige Staats- und Parteichef während der achttägigen Veranstaltung auch seine neue Führungsmannschaft vorstellen, die mehr denn je aus Ja-Sagern besteht.

Zudem tagen die Delegierten während besonders turbulenter Zeiten: Zweieinhalb Jahre „Null Covid“ haben der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt empfindlich zugesetzt; die geopolitischen Spannungen mit den USA haben stark zugenommen und der demographische Wandel droht, Chinas Aufstieg schon bald auszubremsen.

Dementsprechend hoch sind die Erwartungen an eine schnelle wirtschaftliche Erholung des Landes. Das bescheidene Wachstumsziel von „rund fünf Prozent“, das wegen der niedrigen Ausgangslage von 2022 leicht zu erreichen sein sollte, hat eine ambivalente Botschaft: Einerseits schwört Chinas scheidender Premier Li seine Bevölkerung auf eine schwierige Zukunft ein. Die Zeit des rasanten Wachstums ist im Reich der Mitte endgültig passé.

Qualität statt Quantität

Gleichzeitig leitet der 67-Jährige einen Paradigmenwechsel ein, der von vielen Ökonomen begrüßt wird. Denn er legt den Fokus vom rein numerischen Wachstum hin zur Qualität des Wachstums. „Angesichts der erwarteten Erholung des Konsums ist das Ziel nicht zu ehrgeizig und würde etwas Spielraum für Reformen und einen Schuldenabbau bieten – beides ist dringend erforderlich, um längerfristige Wachstumsraten von etwa 5 Prozent zu gewährleisten“, twitterte etwa Bert Hofman, Professor der Lee Kuan Yew School of Public Policy in Singapur.

Früher hat China vor allem in massive Infrastrukturprojekte investiert, um schnelles Wachstum zu erzielen. Dieser Ansatz ist jedoch nicht nur kaum nachhaltig, sondern auch schon vollständig ausgereizt. Stattdessen möchte die KP-Führung nun den schwachen Konsum des Landes stärken, um einen neuen Wirtschaftsmotor zu kreieren. Dafür braucht es aber schmerzhafte Reformen wie etwa eine Stärkung sozialer Absicherungssysteme, zu der die Regierung bislang noch nicht bereit war.

Zudem legt die Volksrepublik ihre Priorität darauf, die rekordhohe Jugendarbeitslosigkeit von knapp 20 Prozent zu bekämpfen. Für 2023 möchte man zwölf Millionen neue Arbeitsplätze in den Städten schaffen und die urbane Arbeitslosenquote bei etwa 5,5 Prozent halten.

Außenpolitische Themen spielen beim Nationalen Volkskongress traditionell eine untergeordnete Rolle. Den Ukraine-Krieg erwähnte Li in seinem Arbeitsbericht mit keiner Silbe. Es hieß nur, es gäbe „Turbulenzen“ und „unruhige Gewässer im internationalen Umfeld“.

Betonung der zu stärkenden Kampfbereitschaft

Zu Taiwan hat der scheidende Premier jedoch deutlich moderatere Töne angeschlagen als noch im Vorjahr. Aus seinen Worten ließ sich keine direkte militärische Drohung ableiten, ebenso sprach er keine Warnung gegen „ausländische Einmischungen“ aus. Der Fokus lag vor allem auf „friedlicher Wiedervereinigung“, die jedoch nicht näher spezifiziert wird.

Gleichzeitig betonte Li allerdings auffallend oft die zu stärkende „Kampfbereitschaft“ der Volksbefreiungsarmee. Dass das Militärbudget in diesem Jahr offiziell um 7,2 Prozent erhöht wird – eine leichte Steigerung im Vergleich zum Vorjahr, dürfte für das demokratische Taiwan besorgniserregend sein.

Der Arbeitsbericht des scheidenden Li wird in nächster Zeit noch en detail analysiert werden: Die englische Übersetzung hat immerhin 39 Seiten. Doch allein eine quantitative Auswertung macht deutlich, dass hier ein Pragmatiker spricht und kein Ideologe: „Wachstum“ erwähnt Li 36-mal, der Begriff „Reform“ fällt 42-mal. Ideologische Floskeln, die unter Xi Jinping immer prominenter in den Vordergrund gestellt werden, lassen sich bei Li hingegen nur am Rande finden.

Dementsprechend ist es kein Zufall, dass er sich in den kommenden Tagen in den Ruhestand verabschieden wird. An seiner Stelle tritt nun Li Qiang, der bisherige Parteisekretär von Shanghai, ein enger Gefolgsmann Xi Jinpings. Er wird Teil eines Führungsteams sein, das zwar durchaus Fachexpertise hat, doch vor allem wegen seiner politischen Loyalität zum übermächtigen Parteichef ausgewählt wurde.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.