Politiker-Derbleckn auf dem Nockherberg: „All You Need Is Olaf“

Der Starkbieranstich auf dem Nockherberg feiert sein Comeback – und es zeigt sich mal wieder: Die Bayern sind die Nummer eins im Ganz-weit-vorn-sein.

Markus Söder und Ehefrau beim Prosten mit Bierkrug

Der bayerische Ministerpräsident Marksu Söder am Freitag auf dem Nockherberg Foto: Imago

MÜNCHEN taz | Es ist eines dieser Rituale, die für so manche im Norden beheimateten Zeitgenossen nur schwer zu begreifen sind und doch auch auf diese immer wieder eine gewisse Anziehungskraft ausüben, und sei diese auch nur der Faszination für das Brauchtum dieses vermeintlich indigenen Stammes. Hierzulande hingegen gehört er zu den letzten Straßenfegern, erreicht für heutige Verhältnisse schwindelerregende Einschaltquoten (1,9 Millionen Zuschauer waren es in diesem Jahr), wird hinterher in Sondersendungen eingehend analysiert und beherrscht das Tagesgespräch: der Starkbieranstich am Nockherberg.

Vier Jahre lang mussten die Bayern nun pandemie- und kriegsbedingt auf dieses Spektakel verzichten (von einer virtuellen Schrumpfveranstaltung im Jahr 2021 mal abgesehen), jetzt fand er wieder statt und – so viel Euphorie sei gestattet – es war eine würdige Rückkehr. Das Konzept ist im Prinzip nicht weiter kompliziert: Man nehme die komplette Politikerriege des Freistaats plus einige Gäste aus der Bundes- und Europapolitik, setze sie in einen großen Biersaal von zahlreichen Kameras des Bayerischen Rundfunks wachsam beäugt wie die Insassen eines Big-Brother-Containers, serviere ihnen eine deftige Brotzeit und dann wird sauber eingeschenkt.

Klar, ein- und ausgeschenkt wird schon auch Starkbier, genauer gesagt der Salvator, dieses „herrliche Fastengetränk“ (Paulaner-Chef Andreas Steinfatt) beziehungsweise, diese „gemeingefährliche Alkoholbombe für das gemeine Volk zum Erlangen eines Fetzen-Rausches binnen kürzest möglicher Zeit“ (Süddeutsche Zeitung). Vor allem aber sind es Wahrheiten, Gehässigkeiten und Witze auf Kosten der anwesenden Politiker, die hier kredenzt werden. Eine neuzeitliche Form des Hofnarrentums. Politiker-Derbleckn nennt man die Tradition, zum 70. Mal findet es in diesem Jahr statt. Die Prozedur ist stets zweigeteilt: zuerst eine Fastenpredigt, dann eine Art politisches Musical.

Inkonsequent wie Markus

Den Part des Predigers übernimmt seit 2019 der Kabarettist Maxi Schafroth, unterstützt von seinen musikalischen Freunden, dem Chor der Jungen Union Miesbach – ein sympathisches Sängerensemble, von dessen Existenz der Miesbacher CSU-Nachwuchs vermutlich bis heute noch nichts mitbekommen hat. Und während Schafroth in seinen früheren Reden zum Teil mehr frotzelte als austeilte, ließ der Allgäuer die Samthandschuhe diesmal daheim in der Garderobe.

Anders als in den vergangenen Jahren kamen heuer besonders wenige namhafte Bundespolitiker in den Süden. Die Ausnahme bildeten Ricarda Lang sowie die Stammgäste Dietmar Bartsch, Claudia Roth und Alexander Dobrindt. Sie wurden denn auch gleich von Schafroth besonders willkommen geheißen: „Lassts euch mitreißen vom bayerischen Spirit! Raus aus der Berliner Blase, rein in die bayerische Südstaatenanarchie, wo man noch sagen und essen kann, was man will. Ihr könnt euch hier im Grunde völlig inkonsequent verhalten, der Markus macht das, seit er in der Politik ist. Es hat ihm nie geschadet.“

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Je kumpelhafter Schafroth im Ton wird, je mehr er selbst lacht, desto deutlicher wird mitunter die Kritik: „Der Olaf baut in 90 Tagen ein LNG-Terminal“, sagt er etwa zu Söder, „du in vier Jahren keine einzige Wohnung.“ Mit einem Tintenstrahldrucker vergleicht er den CSU-Chef: „Ein Laserdrucker ist schnell, aber leise, der Tintenstrahl langsam aber laut.“ Belustigt nimmt der Kabarettist Bezug auf einen Aktenvermerk aus der Staatskanzlei, der jüngst öffentlich wurde: Kein „Gewinnerthema“ sei die zweite Stammstrecke in München, weshalb man das Thema vor der Wahl im Herbst lieber nicht hochkochen lassen solle. „Ich hab’ den Eindruck, seit so Leut’ wie der Scheuer weg sind, habt ihr einen Fachkräftemangel im Bereich strategisches Bescheißen.“

Merz – der ist älter, der darf mehr Dreck ausstoßen

Es geht um verfehlte Energie- und Verkehrspolitik, den besonders harten Umgang mit Klimaaktivisten, Söders „strategische Cholerik“, die rückständige Bildungspolitik und immer wieder den Hubert Aiwanger, den Vize-Ministerpräsidenten von den Freien Wählern, der es sich im „Söder-Schwitzkasten“ bequem gemacht habe.

Die Essenz des bayerischen Schulsystems, so Schafroth, laute: „Permanente Höchstleistungsanreize durch schwelende Minderwertigkeitsgefühle. Das ist quasi die Bauanleitung für die Persona Söder.“ Über Gesundheitsminister Klaus Holetschek, Schwabe wie er selbst, sagt der Fastenprediger: „Solche wie dich kenn’ ich aus’m Allgäu, das sind die, die früher im Schulbus immer ganz vorne gesessen sind und sich beim Busfahrer eingeschleimt haben: Toll, wie Sie ganz allein den großa Wage lenkat.“

Und Friedrich Merz? „Da kommt so ein politischer Scheunenfund daher und verunglimpft mit seinem Geschwätz über,kleine Paschas' eine ganze Kultur. Aber da sagt die Union: Ja mei, das ist wie bei Autos mit H-Kennzeichen, da sagt man, der ist schon älter, der darf a bissl mehr Dreck ausstoßen.“

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Gestrandet auf einer einsamen Insel

Gegen Ende seiner Rede wird Schafroth dann noch einmal ernst, preist Demokratie und Rechtsstaat, die ermöglichten, dass er hier auf der Bühne frei sagen könne, was er wolle. Wer dieses Glück der Freiheit nicht schätze und sage, „mir ist das a bissl zu viel Freiheit in einer Demokratie, mir waren das bei der Einführung vom Farbfernsehen damals schon zu viele Farben, ich hab’ es lieber schwarz-weiß und binär“, der möge bitte Platz machen für Leute, die zu uns wollten und an dieser Freiheit teilnehmen möchten.“ Der Saal jubelt. Stehende Ovationen.

Und dann das Singspiel. Ja die rund einstündige bewegte 3-D-Karikatur trägt tatsächlich noch diesen altmodischen Namen, mag man es nun traditionsbewusst oder rückständig finden. Den Sachverhalt jedenfalls trifft es, denn es wird gesungen und gespielt.

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„Gestrandet“, heißt das Stück, es geht um eine illustre Runde von Politikern, die sich nach einer Wassernotlandung auf einer einsamen Insel wiederfinden. Darunter ein Söder, der darunter leidet, immer für seine ganze CSU mitdenken zu müssen. Zum Beispiel für seinen Generalsekretär, den zweiten gestrandeten Christsozialen, dessen Namen auch Söder immer wieder vergisst und der sich noch platter als sein über alles verehrter Chef darin ergeht, Werbefloskeln für seine Partei, sein Land und seinen „Dr. Markus Söder“ abzusondern. „Wir in Bayern sind die Nummer eins im Ganz-weit-vorn-sein.“

„Jede Ankündigung als Triumph feiern!“

Aber es sind auch Bundespolitiker auf der Insel gestrandet, namentlich Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner. Es geht sodann – logisch! – um einen Wettstreit zwischen den Regenten in Bayern und im Bund, die Frage, wer in der Krise mehr leistet.

Mit im Bayernteam: Aiwanger, der sich gleich daran macht, nach Nahrung zu suchen. Ein dafür anvisierter Thunfisch entpuppt sich jedoch als Hai, worauf Aiwanger zunächst als einarmiger („Des werd scho wieder“), dann als einbeiniger Wirtschaftsminister („Der hat’s jetzt fei g’nau beinand.“) wiederkommt. Der Generalsekretär verkündet indes stolz den Kontrahenten aus Berlin: „Bei uns gibt’s heute noch Fisch!“ Und erntet dafür erstmals Lob vom Chef: „Das hast du gut von mir gelernt: Jede Ankündigung schon als Triumph feiern! Ob’s nachher hinhaut, ist dann wurscht.“

Auch musikalisch ist einiges geboten. Ein bisschen Shanty, ein bisschen Deutsch-Rap, und als Höhepunkt ein Kanzler-Medley, den Doppel-Wumms. Darin: Klassiker von den Supremes („Stop! In The Name Olaf“), den Beatles („All You Need Is Olaf“) und Isley Jasper Isley („Caravan Olaf“).

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Außerdem auf der Insel: die bayerische Oppositionsführerin Katharina Schulze von den Grünen. Ansonsten ist das Personal reichlich männlich ausgefallen, auch wenn die Frauenquote schauspielerseits etwas aufgebessert wird, da die nicht unbedingt dankbare Aufgabe, den Kanzler darzustellen von Nikola Norgauer übernommen wird. Statt des Ampel-Dreigestirns Scholz-Habeck-Lindner hätte eine Variante mit Annalena Baerbock anstelle des ohnehin etwas blass geratenen Habecks vielleicht doch inhaltlich etwas mehr Potenzial geliefert.

Gisela Schneeberger als Reichsbürgerin

Immerhin zwei weitere Frauen gibt es. Als Überraschungsgast erscheint plötzlich Gisela Schneeberger in der Rolle von Freya auf, einer Reichsbürgerin, die sich schon auf der Insel häuslich eingerichtet, sprich ein Bunker gebaut hat und wenig erfreut ist, als die vom internationalen Großkapital finanzierten Genderwahnsinnigen, Geimpften und Linksextremen hier aufkreuzen. „Aber meine Insel gehört nicht zu Ihrer Deutschland GmbH!“

Und ausgerechnet von einer im Schlauchboot vorbeirudernden Ex-Kanzlerin müssen die Gestrandeten schließlich erfahren, dass sie daheim längst vergessen sind und nicht vermisst werden. Nach Aiwanger habe man immerhin eine Schneekanone am Sudelfeld benannt. Ob er denn daheim schon ganz vergessen sei, fragt Söder ungläubig. „Iwo! Im Zukunftsmuseum Nürnberg gibt’s jetzt jeden zweiten Dienstags immer drei Söderwürstchen im Weckla.“ Auf den Wunsch, Hilfe zu holen, will Merkel allerdings nicht eingehen: „Nö nö, ich misch’ mich nicht mehr ein. Ihr schafft das schon!“ Und rudert ab. Mit Gesang. „Je ne regrette rien.“

Oberbürgermeister Dieter Reiter („Le Stadt c’est moi“) war zwar nicht an Bord des abgestürzten Fliegers kommt aber plötzlich aus dem Untergrund, weil er sich auf dem Weg vom Marienplatz zum Ostbahnhof vergraben hat. Für weniger Ortskundige: Die zweite Stammstrecke der S-Bahn ist für München in etwa das, was für Hamburg die Elbphilharmonie und für Berlin der Flughafen ist – nur dass ihre Fertigstellung noch in weiter Ferne liegt.

Sehr unterhaltsam ist das Stück, mit reichlich Wortwitz und Anspielungen, die Charaktere sind teils sehr gut getroffen. Gute Miene zum bösen Singspiel muss hier freilich keiner machen. Allenfalls vielleicht der CSU-Generalsekretär, der sich in seiner Belanglosigkeit und Groopiehaftigkeit doch sehr authentisch dargestellt sah. Schließlich dürften sein Name auch in der bayerischen Wählerschaft nur besonders Interessierten geläufig sein. Und zur Vollständigkeit – nicht, dass es eine Rolle spielte – sei er um der guten Chronistenpflicht willen halt doch noch erwähnt: Der Mann heißt Huber. Martin Huber.

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