Zeitenwende im Bundestag: Wie das „Monster Putin“ stoppen

Ein Jahr nach der Zeitenwende-Rede erläutert Olaf Scholz seinen Kurs. Er versucht Kritiker mitzunehmen. Das gelingt dem SPD-Fraktionschef besser.

Olaf Scholz steht am Rednerpult, sein Redamanuskript liegt vor ihm

Olaf Scholz im Bundestag, ein Jahr nach seiner Rede zur „Zeitenwende“ Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN taz |. Ein Jahr Krieg zehrt. Nicht nur an den Menschen in der Ukraine, auch der Bundestag wirkt ein Jahr nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine etwas kriegsmüde: Der Plenarsaal war am Donnerstagmorgen nicht wie am 27. Februar 2022 bis in die letzte Reihe gefüllt, als der Bundeskanzler fast auf den Tag genau ein Jahr nach seiner historischen Zeitenwende-Rede erneut eine Regierungserklärung im Bundestag abgab. Eben zu jener Zeitenwende.

Dieses und andere Triggerwörter – „Sondervermögen“, „2-Prozent-Ziel“, „Bundeswehr“ – tauchten bei Scholz zwar auch diesmal auf, rissen aber niemanden mehr von den Sitzen. Auch der ukrainische Botschafter, der ein Jahr später nicht mehr Melnyk, sondern Makeiev heißt, bekam zwar kräftigen Applaus zur Begrüßung – aber keine Standing Ovations. Und Friedrich Merz als Oppositionsführer verlor sich bei seiner Replik im Klein-Klein, so als hätte der etwas gebremste Bundeskanzler auch ihn ausgebremst. Warum Scholz, der am Abend noch nach Washington zu Joe Biden reist, eigentlich überhaupt dorthin fahre und dazu ohne Journalisten. Hach ja.

Der Wind hat sich gedreht, vor allem außerhalb des Bundestages. Als Scholz vor einem Jahr dort sprach, zogen vor dem Reichstagsgebäude noch tausende Menschen vorbei und demonstrierten gegen den Krieg. „Stop Putin“ stand da etwa auf den Schildern. Auch am vergangenen Wochenende demonstrierten über zehntausend Menschen am Brandenburger Tor. Sie waren einem Aufruf der Publizistin Alice Schwarzer und der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht gefolgt, in welchem sie den Stopp von Waffenlieferungen und Verhandlungen mit Russland fordern. Die Botschaft an die Ukraine: Hört auf, Euch zu wehren, Putin ist eh stärker.

Scholz wandte sich am Donnerstag im Bundestag auch an diese Menschen und die über 700.000 Un­ter­zeich­ne­r:in­nen des sogenannten „Manifests für den Frieden“. Ja, solche Waffenlieferungen seien bislang ungewohnt gewesen. „Ich verstehe Bürgerinnen und Bürger, die nicht Hurra schreien“. Aber er machte auch deutlich: Man schaffe keinen Frieden, wenn man hier in Berlin ‚Nie wieder Krieg‘ rufe und zugleich fordere, alle Waffenlieferungen einzustellen. Denn: „Friedensliebe heißt nicht Unterwerfung unter einen größeren Nachbarn.“ Würde die Ukraine aufhören, sich zu verteidigen, dann wäre das kein Frieden, sondern ihr Ende.

Keine Verhandlungen mit Waffe an der Schläfe

Für einen nachhaltigen Frieden müsse die internationale Ordnung wieder hergestellt werden, betonte Scholz. Angriffskriege dürften nicht als Mittel der Politik zurückkehren. Und das bedeute, „dass Putins Imperialismus sich nicht durchsetzen darf.“

Verhandlungsbereitschaft kann Scholz derzeit nicht bei Russlands Machthaber erkennen. Dass die Ukraine dennoch verhandeln soll, hält er für absurd: „Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln.“ Deutschland wird die Ukraine also auch weiterhin mit allen Mitteln unterstützen – auch mit Waffen.

Unions-Fraktionschef Merz, der diesen Kurs unterstützt, konnte nur an Details herumkritteln: Vom 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr seien bislang nur 600 Millionen Euro ausgegeben. Scholz zaudere und zögere und habe angeblich von den USA überzeugt werden müssen, der Ukraine endlich Leopard-Kampfpanzer zu liefern. Die mit gutem Beispiel und der Zusage von eigenen Abrams-Panzern vorausgegangen seien. Was ihm den Zwischenruf „Schreib Romane“ einbrachte. Denn es war wohl eher andersherum – Scholz hat mehr oder weniger erfolgreich versucht, eine Kampfpanzer-Allianz zu schmieden und die Amerikaner als größte Militärmacht und gegen deren technische Bedenken mit hineingequatscht.

Viel Kritik an Linkspartei und Wagenknecht

Ein lohnenderes Ziel als Scholz war für Merz da schon die Linkspartei und deren prominenteste Politikerin Wagenknecht. Die im Übrigen nicht anwesend war, was Merz denn auch auffiel und aufspießte – „Wäre doch ganz schön, wenn diese Kollegin an dieser Debatte teilgenommen hätte.“ Wagenknecht und der Linken warf Merz in „bizarrer Gemeinsamkeit“ mit der Fraktion Rechtsaußen im Bundestag vor, Täter und Opfer in diesem Krieg zu verwechseln und Kriegsverbrechen wie Vergewaltigungen zu relativieren. „Zynisch und menschenverachtend“ sei das. Merz spielte auf Äußerungen Wagenknechts in der Sendung „Hart aber fair“ zwei Tage zuvor an.

Der Vorwurf war nicht ganz von der Hand zu weisen. Als AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla später betonte, man befürworte zwar nicht die russische Kriegsstrategie, aber beide Seiten – die Ukraine und Russland – müssten sich auf einen Waffenstillstand einigen, argumentierte er im Grunde genauso wie Wagenknecht und Co.

Auch Red­ne­r:in­nen von Grünen und FDP schossen sich auf die Linke ein. Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann warf der Linken vor, Diplomatie und Waffenlieferungen als Gegensätze zu konstruieren. „141 Staaten haben Putin aufgefordert, den Krieg zu beenden, warum bringen Sie das nicht fertig?“ Und FDP-Fraktionschef Christian Dürr forderte die Linken-Fraktion auf, sich von Wagenknecht zu trennen.

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch konterte: „Wer Frieden fordert, ist kein Putin-Versteher“. Und forderte Merz auf, sich um den eigenen Laden zu kümmern – immerhin habe auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer gefordert, den Krieg in der Ukraine einzufrieren. Einerseits nahm Bartsch seine Fraktionskollegin Wagenknecht in Schutz, indem er dazu aufrief, nicht jene zu diffamieren, die den Kurs der Bundesregierung kritisierten. Andererseits zitierte er nicht sie, sondern den Philosophen Jürgen Habermas, der auf die moralische Verpflichtung hingewiesen hatte, die mit der Lieferung von Waffen einhergehe.

Zeit der Monster

Und anders als andere Mitglieder seiner Partei forderte Bartsch am Mittwoch auch keinen Stopp von Waffenlieferungen – sondern lobte die „Nachdenklichkeit des Bundeskanzlers“ in dieser Frage. Die Linkspartei ist also keineswegs so monolithisch, wie es ihre Kritiker gern darstellen.

Vor einem Schwarz-Weiß-Denken und einem Rückfall in die Muster und Begrifflichkeiten des Kalten Krieges warnte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich – und kritisiert auch Sweatshirts mit Leopardenmuster als nicht angemessen. Ein Seitenhieb auf die Grünen.

Anders als zu Zeiten des Kalten Krieges gebe es heute keine bipolare Welt mit einem einzigen Macht- und Ideologiekonflikt, der auf dem Rücken anderer Länger ausgetragen worden sei. Die Welt sei heute „zerklüftet“, zitierte Mützenich den Friedensforscher Dieter Senghaas. Nur 16 Prozent der Weltbevölkerung lebten in „unserer Welt“, in Industrieländern, zählte Mützenich auf. Über ein Drittel der Menschen lebten dagegen in Entwicklungsländern und ein weiteres Drittel allein in China und Indien. Beide Länder hatten sich in der UN-Generalversammlung bei der Verurteilung des russischen Angriffskriegs enthalten.

Mützenich lobte Scholz dafür, dass er sich um diese Mächte und die Länder des Globalen Südens bemüht, es sei klug gewesen, nach China, Südafrika und Indien zu reisen, um zu reden. „Scholz will Putin Eskalationsmöglichkeiten nehmen.“ Er wandte sich dabei immer wieder an Scholz, wie um sich zu versichern: „Genau das wolltest Du doch eigentlich sagen, oder?“.

Wie der Kanzler machte auch Mützenich klar, dass man die Ukraine militärisch dabei unterstützen müsse, sich zu verteidigen: „Wir müssen dem „Monster Putin“ entgegentreten“. Gleichzeitig gelte es, weitere Monster aufzuhalten. Auch mit den Mitteln des Völkerrechts. Mützenich bezog sich auf den italienischen Marxisten Antonio Gramsci, der 1937 schrieb: „Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren, es ist die Zeit der Monster.“ Da klatschte sogar der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte, Beifall.

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