SPD ein Jahr nach der Zeitenwende: Diplomatie und Waffen

Die SPD-Fraktion debattiert sehr friedlich über ein Jahr Zeitenwende. Verteidigungsminister Boris Pistorius fremdelt geschickt mit seinem neuen Job.

Boris Pistorius mit Soldaten an Deck eines Schiffes

SPD-Verteidigungsminister Pistorius mit Marinesoldaten der Bundeswehr in Eckernförde Foto: Christian Charisius/dpa

BERLIN taz | Rolf Mützenich, SPD-Fraktionschef, muss leider schon nach fünf Minuten gehen. Man will über ein Jahr Zeitenwende debattieren – offen und kontrovers. Aber Mützenich muss dringend mit FDP und Grünen verhandeln. In der Ampel knallt es derzeit wegen der Etatverhandlungen. Es ist am Montagabend der einzige Hinweis, dass etwas unrund läuft. In der SPD-Fraktion scheint schönste Harmonie zu herrschen.

Mützenich erinnert daran, dass sich auch bei der UN-Versammlung am 24. Februar 2023 Staaten, die die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentieren, bei der Abstimmung über den Ukrainekrieg enthalten haben. Umso mehr müsse man auf Diplomatie setzen. Das meine nicht Verhandlungen mit Putin. Der, so Mützenich, klipp und klar, „will nicht verhandeln“.

Die oft missachtete Diplomatie sei nötig. Für viele Länder im Globalen Süden sei der 24. Februar eben keine Zeitenwende gewesen. Man werde eben auch Staaten, „die nicht unsere erste Wahl sind“, brauchen, wenn die Zeit der Verhandlungen komme.

Carlo Masala, Politikwissenschaftler, ist in Sachen Russland ein Falke und ist mit markiger Wortwahl durchaus ein Konterpart zu Mützenich. Doch auch Masala lobt Olaf Scholz' Reisediplomatie. Die Einbindung des Globalen Südens sei wichtig, ein partnerschaftliches Verhältnis zu Staaten wie Indien oder Brasilien „strategisch wichtig“. Und: „Das macht Olaf Scholz herausragend.“ Harmonie fast überall.

Waffenlieferungen und Diplomatie, so der solide Grundkonsens. Sogar Masala und Ralf Stegner, der die Fahne der alten militärskeptischen SPD hochhält, stellen leicht verblüfft fest, dass sie keinen grundlegenden Dissens finden können.

Meister des etwas vage Klingenden

Mützenich ist ein Meister der Andeutung, des etwas vage Klingenden, das entziffert werden muss. Er wählt fast immer allgemeine Formulierungen, ganz selten den persönlichen Angriff. Er kritisiert „die monothematische Diskussion“. Übersetzt heißt das: die törichte Verengung auf Panzerdebatten, anstatt das politische Feld zu betrachten. Für seine Verhältnisse ist der SPD-Fraktionschef deutlich.

Auch er habe Fehler zu bekennen, sagt Mützenich und lässt offen, wie viel Ironie in diesem Satz ist. „Aber ich bin irritiert, dass manche es schon immer gewusst haben.“ Und: „Die Entspannungspolitik trägt nicht die Verantwortung für den Überfall auf die Ukraine, sondern Putin.“ Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius betont, alle Entscheidungen der SPD in Sachen Russland seien nachvollziehbar gewesen.

Die Phase der Selbstkritik und Zerknirschtheit scheint in der SPD-Fraktion vorbei zu sein. Man hat das Gefühl, zu oft die erhobenen Zeigefinger von selbstberufenen Richtern gesehen zu haben. Das ist verständlich. Aber dieser Abschied von der Selbstkritik ist trotzdem sehr flott, sehr glatt.

Zackige Rhetorik mit Selbstdistanz

Laut Boris Pistorius braucht Deutschland auch für die Zeit nach einer Befriedung der Ukraine Sicherheit vor Putin. Also langfristig viel Geld. Pistorius versteht es, zackige Rhetorik mit Selbstdistanz und Fremdeln mit seiner Rolle als Verteidigungsminister zu verbinden. „Wir brauchen Abschreckung“, sagt er. Und: „Dass ich das mit 62 Jahren sagen muss, hätte ich mir nicht träumen lassen“.

Das kommt in der zum Teil militärkritischen SPD-Fraktion an. „Wir müssen viel Geld für Militär ausgeben“, so der Verteidigungsminister – und fügt hinzu: Das ist eine „furchtbare Vorstellung“. Ist das sympathisch – oder sehr geschickt? Wahrscheinlich beides. Pistorius ist noch nicht so lange im Amt. Man wird sehen, ob und wann diese Selbstdistanz verfliegt.

Ende März werden deutsche Leopard-Panzer in der Ukraine rollen. Deutschland hat schon für 3,4 Milliarden Euro Waffen geliefert und sehr effektive Mittel gegen russische Raketen, so der Verteidigungsminister. „Deutsche Waffen retten Leben in der Ukraine, auch wenn das zynisch klingt“, sagt Pistorius.

Auftritt Svenja Schulze, Ministerin für Entwicklung und Zusammenarbeit. Sie kommt gerade aus Ghana. Im Globalen Süden gebe es die Furcht, nicht mehr wahrgenommen zu werden“, weil Deutschland oder Europa ausschließlich in die Ukraine schauen. 828 Millionen Menschen würden Hunger leiden, auch wegen des Krieges.

Pistorius fordert 10 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Zusätzlich zum 100-Milliarden-Sondervermögen. Die Schuldenbremse gilt wieder, das Geld ist knapp. Schulze konterte die Charmeoffensive des Verteidigungsministers, der mit angemessen schlechtem Gewissen das Nötige fordert, auch trickreich. Im Globalen Süden, sagt sie, schaue man genau „auf unsere Haushaltsverhandlungen“.

Bei denen wird es nicht so harmonisch zugehen wie auf diesem Podium.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.