Vorstoß der EU-Kommission: EU forciert Ausbau von Atomkraft

Ein Aufschlag zur Reform des europäischen Strommarkts ist da: Staaten sollen AKWs genauso fördern dürfen wie erneuerbare Energien.

Ein Hund streunt vor den Kühltürmen eines Atomkraftwerks

Bald gibt’s noch mehr Geld für Atomkraft in Frankreich: Kühltürme des AKWs Cruas Foto: Alice Dias Didszoleit/imago

BERLIN taz | Die EU-Kommission will die staatlichen Fördermöglichkeiten für Atomkraft mit denen für erneuerbare Energien gleichstellen. Das geht aus den Vorschlägen für die Reform des europäischen Strommarktes hervor, die die Kommission am Dienstag veröffentlicht hat. Gleichzeitig plant sie, die staatlichen Instrumente für die Förderung erneuerbarer Energien einzuschränken.

Als Reaktion auf die Energiekrise hat sich die EU eine Reform des Strommarktes vorgenommen. Damit sollen künftig extreme Preisausschläge wie im vergangenen Jahr verhindert, außerdem soll die Abkehr von fossilen Energien forciert werden. Ursprünglich war eine umfassende Reform geplant. Davon ist nicht viel übrig geblieben.

Beispielsweise will die Kommission an dem sogenannten Merit-Order-Prinzip festhalten. Das heißt: Es gibt einen Einheitspreis für Strom im Großhandel – und der richtet sich nach dem Erzeuger, dessen Betriebskosten aktuell am höchsten sind. Steigt die Nachfrage nach Strom, werden nach und nach immer teurere Kraftwerke zugeschaltet, die dann den Preis für den gesamten Markt setzen.

So waren die hohen Gaspreise im vergangenen Jahr auf den gesamten Strommarkt durchgeschlagen. Sobald es aufgrund hoher Nachfrage nötig war, Gaskraftwerke zu nutzen, explodierten die Preise für Strom – obwohl sich an den Erzeugungskosten für Kohle- und Atomkraftwerke sowie Wind- und Solaranlagen nichts geändert hatte.

Staatliche Förderung für Atomkraftwerke

Erklärtes Ziel der Reform laut Kommissionschefin Ursula von der Leyen: Den Ver­brau­che­r:in­nen sollten die Kostenvorteile der erneuerbaren Energien nähergebracht werden. Die Kommission schlägt dazu zwei Instrumente vor.

Das eine sind langfristige Abnahmeverträge, die bisher vor allem industrielle Großkunden nutzen. Künftig sollen sie auch Ver­brau­che­r:in­nen offen stehen. Sie können dann langfristig stabile Preise vereinbaren. Parallel sollen Kun­d:in­nen auch Verträge mit dynamischen Preisen schließen können, um Schwankungen für sich nutzen zu können – um etwa das E-Auto zu laden, wenn der Strom billig ist.

Das andere, wichtigere Ins­tru­ment sind sogenannte Differenzverträge. Sie sollen künftig das einzige staatliche Förderinstrument für die Energieerzeugung werden, also etwa die deutschen Einspeisevergütungen für erneuerbare Energien ablösen.

Die Idee: Es gibt einen Preiskorridor oder Festpreis für den Strom. Ist der Marktpreis niedriger, soll der Staat Geld an die Erzeuger zahlen. Ist er höher, soll das Geld abgeschöpft und etwa an Ver­brau­che­r:in­nen verteilt werden. So haben die Energieunternehmen Investitionssicherheit und die Ver­brau­che­r:in­nen sind vor zu hohen Preisen geschützt.

Staaten sollen aber nicht jede Kraftwerksart so unterstützen dürfen, sondern nur die erneuerbaren Energien – und Atomkraft. Deutschland wird zwar aus der Atomkraft am 15. April aussteigen, andere Länder wie Frankreich planen aber neue Meiler. Nach der Einstufung von Atomkraft als nachhaltig bei der Bewertung von privaten Geldanlagen durch die EU-Taxonomie ist das der nächste Schritt, mit dem Investitionen in Atomkraft in Europa vorangetrieben werden.

„Das ist eine überraschende Herangehensweise“, findet der Energiewissenschaftler Manfred Fischedick, Chef des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Aus seiner Sicht steht sie dem Ziel der Strommarktreform entgegen, die Kosten verträglich zu halten. „Für Stromkunden in Ländern, die weiter auf Atomkraft setzen, ist das absolut kontraproduktiv. Für sie steigen die Kosten durch Differenzverträge für neue Atomkraftwerke, die im Vergleich zu erneuerbaren Energien unwirtschaftlich sind“, erklärte der Experte.

Er fürchtet zudem, dass so eine Regelung in Ländern wie Frankreich den Anreiz senken würde, erneuerbare Energien auszubauen. Und noch eine Sorge treibt ihn um: „Ich halte es für ein fatales internationales Signal“, so Fischedick. „Die EU macht Atomkraft hoffähig.“

Kritik von Grünen und Linken

Auch Grüne und Linke im EU-Parlament kritisieren, dass Atomkraft und Erneuerbare gleichgestellt werden. „Die Atomenergie wird den Erneuerbaren als Kuckucksei ins Nest gelegt, sie bekommt massive Förderversprechen“, sagte der grüne Europaabgeordnete Michael Bloss. Gleichzeitig schränke der Vorschlag Fördermöglichkeiten wie die Einspeisevergütung für erneuerbare Energien ein.

Mit Einspeisevergütungen legen Deutschland und andere europäische Staaten einen Mindestpreis für ins Netz eingebrachten Strom fest. Mit Differenzverträgen käme eine Art Höchstpreis hinzu.

Dass in Zukunft eine Förderung nur noch mit Differenzverträgen möglich sein soll, sei nicht nachzuvollziehen, sagte die linke Europaabgeordnete Cornelia Ernst. „Alle Instrumente, die dem Ausbau der Erneuerbaren dienen, sollten genutzt werden“, sagte sie. Sie kritisiert außerdem das Fehlen sozialpolitischer Komponenten. „Es braucht dringend ein gesetzlich verankertes Verbot von Stromsperren für arme und vulnerable Haushalte“, sagte sie.

Beschlossen ist die Reform noch nicht – die EU-Kommission hat lediglich einen Aufschlag dafür geliefert. Jetzt müssen die Regierungen der Mitgliedstaaten sowie das EU-Parlament darüber beraten und sich auf ein Ergebnis einigen.

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