Gesetz zur „Kinderpornografie“: Nicht länger die Falschen jagen

Die echten, harten Fälle sexueller Gewalt an Kindern gibt es zuhauf. Durch die Gesetzesschärfung blockieren nun aber Nicht-Fälle die Ermittler.

Zwei dicke Stapel Gerichtsakten liegen in einem Regal

Die harten Fälle: Akten im Gerichtssaal vor dem Urteil im Missbrauchskomplex Wermelskirchen Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Unter Ju­ris­t:in­nen war es von Anfang an umstritten, jetzt soll es erneut reformiert werden: Das Gesetz zu „Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte“, das die Große Koalition im Sommer 2020 verschärft hatte, wird nun vermutlich abgeschwächt. Viele An­wäl­t*in­nen und Rich­te­r*in­nen lehnten ein verschärftes Gesetz damals unter anderem mit dem Argument ab, dass die im Gesetzbuch formulierten Strafen ausreichten, der Strafrahmen müsse nur ausgeschöpft werden. Der Grund für die aktuelle Novellierung ist jedoch nicht der unausgeschöpfte Strafrahmen, sondern eine Flut von Verfahren, die Polizei und Gerichte überlasten.

Denn betroffen von der Strafverschärfung sind einer Recherche des Politmagazins Panorama zufolge auch Personen, die weder kinderpornografisches Material besitzen noch es verbreiten, darunter Eltern, Lehrer:innen, Schüler:innen. Etwa eine Mutter, die auf ein Video aufmerksam wird, das in den sozialen Netzwerken der Kinder kursiert und Jugendliche beim Sex zeigt. Sobald die Ermittlungsbehörden davon Kenntnis haben, müssen sie ermitteln und diese Fälle vor Gericht bringen. Eingestellt werden wegen „Nichtigkeit“ dürfen die Fälle nicht – mit der Folge, dass sich Rich­te­r:in­nen und Polizeibeamte die Haare raufen, wenn wieder so ein „Verbrechen“ auf ihrem Tisch landet.

Das war damals – könnte man heute wohlwollend anmerken – von SPD und CDU sicher weder absehbar noch beabsichtigt. Insofern ist eine schärfere Differenzierung im Gesetzestext an dieser Stelle dringend notwendig. Denn die echten, harten Fälle sexueller Gewalt an Kindern gibt es ja nach wie vor. Und die gehören so hart bestraft, wie es das Gesetz vorsieht: je nach Fall mit bis zu 15 Jahren Höchststrafe. Das passiert allerdings nicht allzu häufig, Opfer erleben es vielfach so: Tä­te­r:in­nen erhalten geringe Strafen, viele werden freigesprochen, andere kommen mit einer Bewährungsstrafe davon.

Das ist ein Skandal – und ein schwer zu lösendes Problem: Denn die Beweiskraft bei sexueller Gewalt an Kindern schwächt sich mit jedem Jahr, in dem dieses Verbrechen nicht angezeigt wird, ab.

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Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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