Trendsportart Selbstdiagnose: Lieber sieben Wochen mit als ohne

Wer freiwillig und ohne Leidensdruck bestimmte Lebensmittel meidet, braucht dringend ein neues Hobby. Ich kann auf Selbstkasteiung gut verzichten.

Auf einem Tisch stehen zwei Stück Torte und Cappuccino

Man kann auch Wasser trinken und Knäckebrot knabbern. Muss man aber als Gesunde nicht Foto: Annette Riedl / dpa

Jetzt ist wieder die Zeit, in der man von Menschen hört, dass sie fasten. Sie machen Sieben Wochen ohne und „eigentlich“ dürfen sie gerade keinen Kaffee oder Kuchen. Ich denke: Sie dürfen schon, sie wollen nur nicht.

Ich befinde mich in einer Lebensphase, in der ich mir vorgenommen habe, viel öfter Kuchen zu backen und mit einer Freundin Kaffee zu trinken. Aber wenn andere keinen Zucker oder sonst was möchten – kein Problem. Nur lange Rechtfertigungsreden mag ich nicht hören. Ich habe an Selbstkasteiungen grundsätzlich kein Interesse.

Ich hatte genug ohne, ich will jetzt mit! Sieben Wochen mit Alkohol und Tanzen, das wär’s! Leider nur umsetzbar in der – zugegebenermaßen reizvollen – Kombination mit Sieben Woche ohne Kinder.

Sieben Wochen mit Sport würde mir auch gefallen, aber ich nehme es mir nicht vor, ich würde versagen und mich schlecht fühlen. Die evangelische Kirche hat in diesem Jahr auch die Fastenzeit unter das Motto Sieben Wochen ohne Verzagtheit gestellt. Obwohl ich Zwangspositivismus argwöhne, gefällt mir das besser als Schokoladen- oder Alkoholverzicht – allein schon wegen des schönen Wortes „Verzagtheit“.

Natürlich macht es Sinn, sich gesünder zu ernähren und auch mal zu schauen, wie man ohne Alkohol zurechtkommt. Aber muss das unbedingt in den sieben Wochen vor Ostern stattfinden? Als mein Mann und ich uns in der Schulschließungsphase der Pandemie schon morgens auf unsere Drinks in der Wohnzimmer-Kinderdisko am Nachmittag freuten, hatte das durchaus eine Funktion. Aber bis zur darauffolgenden Fastenzeit zu warten, um mit den Drinks wieder aufzuhören, wäre mit Sicherheit dysfunktional gewesen.

Lieber ein Glas Sekt als einen Smoothie

Trotzdem, ich fühle mich nach einem Glas Sekt wohler als nach einem grünen Smoothie aus einem überteuerten Hochleistungsmixer, in dem Dinge zerhäckselt wurden, die meiner Meinung nach maximal noch auf den Kompost gehören, wie Grünkohlstrünke oder Avocadokerne. Für Selbstgeißelung bin ich einfach nicht zu haben. Doch ich achte die Kraft des Placebos und glaube gerne, dass es anderen durch das Weglassen von Laktose oder das Trinken heißen Wassers oder weil sie nur noch Rohes oder 16 Stunden gar nichts essen viel besser geht.

Nur unterstelle ich eine gewisse Unterbeschäftigung im Leben von gesunden Menschen, die sehr viel Energie auf solche Trends verwenden. Ich will aber undifferenzierten Blödsinn, dass Kartoffeln dick oder zu viele Äpfel krank machen, nicht hören. Nur mit dem Hautarzt unserer Tochter wollte ich neulich über das Thema Ernährung sprechen. Ein Bluttest hatte nämlich ergeben, dass Olivia eine Allergie auf Erdnüsse, Soja und ­– verdammte Axt – auf WEIZEN habe.

Für manchen mag es ja das Lieblingshobby sein, Weizen wegzulassen, aber mir haben schon immer alle leidgetan, die wirklich Zöliakie haben. Klar, man bekommt jetzt sogar beim Aldi solches Brot, aber bei uns genügte ein einziger Tag, da war Olivia fertig mit dem Thema glutenfrei. Das Brot schmeckte „kacke“ und als die Reismehl-Crêpes sich nicht fachgerecht wenden ließen, bekam sie einen sehr heftigen Anfall von – sagen wir mal – Verzagtheit! Wir aßen also wie vorher, nur mit schlechtem Gewissen.

Der Arzt wusste nicht, was es zu besprechen gäbe. Doch ich wollte wissen, was tun, wenn der Stress durch das Weglassen aller Weizenprodukte möglicherweise deutlich größer wäre, als der durch die Neurodermitis selber. Es stellte sich heraus, dass es, anders als bei Soja und Erdnüssen, kein Problem sei, wenn unsere Tochter Weizen isst. Sie sollte ihn nur nicht roh konsumieren oder berühren. Klang irgendwie schwachsinnig, aber egal, wir sind schnell nach Hause gefahren und haben Kuchen gebacken.

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Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de

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