die taz vor sieben Jahren: kanzler kohls letzter eu-gipfel
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Ganz zum Schluß des EU-Gipfels brach Helmut Kohl doch noch einen netten Streit vom Zaun. Er bestand darauf, daß die deutsche Forderung nach einer Reduzierung des Nettobeitrags zur EU im Abschlußdokument etwas deutlicher formuliert wird. Das hat zwar keine Auswirkungen, weil Abschlußdokumente zu den geduldigsten Papieren auf dieser Welt gehören. Doch das Ganze ist ohnehin für das heimische Wahlpublikum gedacht. Kohl will sich auf seine alten Regierungstage doch noch als wilder Kämpfer für deutsche Interessen in der EU profilieren. Die Art, wie er das versucht, verrät Verzweiflung. Kohl, der bisher großen Wert auf seinen anerkannten Ruf als Europäer legte, läuft wie ein Elefant durch den Porzellanladen.

Das Problem steht derzeit nicht an, und ohne Zeitdruck sind strittige Themen in der EU ohnehin nicht zu lösen. Kohls Einfluß in der EU beruhte bisher nicht zuletzt darauf, daß er fruchtlose Streits vermied und sich auf die nötigen konzentrierte. In Cardiff hat er es genau andersherum gemacht. Er selbst hat die Diskussion um die überfällige Diätenregelung für die Europaabgeordneten blockiert. Das Diätenstatut wäre ein Schritt gewesen, um einen EU-Skandal aus der Welt zu schaffen. Doch solche Themen will Kohl derzeit nicht auf der Tagesordnung sehen. Er hat die deutschen EU-Beamten angewiesen, alle Themen auszuklammern, die irgend jemand in Deutschland aufregen könnten. Bis zur Bundestagswahl geht in der EU gar nichts mehr.

Warum dann der Streit ums Geld? Weil Kohl glaubt, daß dies bei den Wählern ankommt. Thatcher hat vorgemacht, wie man mit platten Forderungen Zustimmung gewinnt: „I want my money back.“ Kohl hat Thatcher dafür immer verachtet. Daß er es jetzt genauso macht, wirft ein komisches Licht auf ihn. Der große Europäer ist dabei, für den Machterhalt seinen Einfluß in der EU zu verspielen. Hoffentlich braucht er ihn nach dem 27. September nicht mehr.

Alois Berger, 17. 6. 1998