Konsum und Nachhaltigkeit: In der Welt des Überflusses

Was schenkt man Menschen, die schon alles haben? Vor allem, wenn die im Grunde kaum etwas haben, sondern einfach nur sehr wenig brauchen.

Geldscheine in Glückwunschkarte

Nie ganz falsch, aber nur selten genau richtig: Geldgeschenke Foto: Uwe Zucchi/dpa

Letzte Woche hatten meine erwachsenen Kinder Geburtstag, alle beide, und ich wusste nicht, was ich ihnen schenken sollte. Als ich ihn fragte, überlegte mein Sohn eine ganze Weile und sagte dann: „Ich kann es dir wirklich nicht sagen, ich habe eigentlich alles, was ich brauche.“ Er wohnt in einem WG-Zimmer mit einem Schrank, einem Tisch und einem Bett. Er studiert und arbeitet für Lieferando. Man könnte diesen Lebensstil ärmlich nennen. Man könnte meinen Lebensstil ärmlich nennen. Ich habe noch nie ein Ding von Wert besessen, von materiellem Wert, meine ich. Aber wenn ich mir was wünschen soll, geht es mir so ähnlich wie meinen Kindern.

Letzte Woche habe ich mir, einfach so, einen Schlafanzug gekauft, weil, wie ich mir sagte, die, die ich besitze, tatsächlich zerschlissen sind. Ich habe bereits neue Bundgummis eingezogen, aber der Gummi arbeitet sich an immer mehr Stellen durch das Material, und immer wieder kommt mir dann der Gedanke, dass ich diesen Schlafanzug nur noch ein einziges Mal waschen und tragen werde, bevor ich ihn wegwerfe. Zwei meiner fünf Schlafanzüge sehen mittlerweile so aus. Ich werfe sie nicht weg. Es ist ein Wettbewerb: die an den Nähten immer mehr zerschleißenden Schlafanzüge gegen meinen Wunsch, sie so lange wie möglich zu tragen. Noch einmal, noch zweimal, noch das ganze Jahr?

Hätte ich mir also gar keinen neuen Schlafanzug kaufen brauchen? Verdrängt er jetzt nicht diese alten, immer mehr zerschleißenden? Nimmt er nicht ihr Ende frühzeitig vorweg? Das Abtragen, das Kaputttragen, kommt mir vor wie ein Luxus, ein Auskosten der Dinge.

Nur wenn so ein Schlafanzug vollkommen kaputt ist, sodass es endgültig nicht mehr möglich sein wird, ihn zu reparieren, kann ich ihn mit ruhigem Gewissen wegwerfen, glaube ich, rede ich mir ein, um mein schlechtes Gewissen, als schamlos Konsumierende, die ich ja in dieser Welt sich selbst zerstörender Toaster und Waschmaschinen auch bin, zu bekämpfen. Mit sinnloser, sich selbst übertreibender Bescheidenheit kämpfe ich gegen eine gesellschaftliche Verschwendungssucht an, von der auch ich an anderen Stellen mich nicht zu befreien vermag.

Ich habe keinen geheimen Wunsch

Welcher Wunsch aber wohnt ganz geheim in meinem Herzen, welcher unmögliche, unverschämte, nie zu erfüllende Wunsch? Wenigstens das? Ein Wunsch, den ich nie aussprechen würde, der also offiziell nie gewünscht werden wird? Ich weiß es nicht, ich habe keinen, kein Gedicht könnte ich darüber schreiben, leer ist diese Stelle in mir.

Meine Kinder wissen nicht, was sie sich wünschen sollen, obwohl sie, ganz allgemeinen Verhältnissen nach, alles andere als vermögend sind. Ich kann ihnen also nichts schenken, was sie nicht vielleicht gar nicht bräuchten, was ihnen nicht überflüssig wäre und ihre kleinen Zimmer verstopfte. Ich schenke ihnen nichts als einen Kuchen, den sie essen können, einen Blumenstrauß, Symbolisches.

Kann ich also davon ausgehen, dass meine Kinder nicht arm sind? Kann ich davon ausgehen, dass ich nicht arm bin? Da ich ja noch nicht mal einen geheimen, unverschämten Wunsch in mir trage? (Ich rede selbstverständlich von materiellen Dingen, denn ich wünsche mir und meinen Lieben ein langes und gesundes Leben und allen Menschen Frieden).

Wenn ich in dieser Welt des Überflusses etwas Hübsches verschenken möchte, dann muss es etwas sein, das zwar ungewünscht, trotzdem aber bereichernd ist, ein Luxus sozusagen, ein nützlicher und wertvoller Luxus: ein Buch, ein Theaterbesuch, ein Lied, ein Schal. Schals lassen sich gut wegpacken.

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