Der Hausbesuch: Die Macht der Frauen

Als Kind zog sie von Iran nach Hamburg, später studierte Setareh Huschi Medizin – ein Rat ihres Vaters, der sie lehrte, sich von keinem Mann abhängig zu machen.

Eine Frau steht vor einem Terrassenfenster

Setareh Huschi in ihrem Wohnzimmer Foto: Miguel Ferraz

Vermutlich, meint sie, lebe sie auch den Traum ihres Vaters. Der konnte kein Blut sehen, riet seiner Tochter aber, Medizin zu studieren – und Setareh Huschi tat es.

Draußen: „Privatweg! Durchgang verboten!“, steht auf einem Gatter. Dahinter erstreckt sich ein Familienidyll wie aus dem Bilderbuch: Reihenhäuser, Gärten, ein Spielplatz, tobende Kinder sind dort und plaudernde Eltern. Klein Flottbek liegt am Stadtrand von Hamburg. „Im Sommer hat das hier fast ein bisschen was von Bullerbü“, sagt Setareh Huschi.

Drinnen: Im Wohnzimmer hängt über dem schwarzen Ledersofa ein großes Bild vom Hamburger Hafen. Mit elf Jahren ist Huschi mit ihrer Familie nach Hamburg gezogen.

Die Liebe: Ihre Eltern lernten sich in den 60er Jahren in Hamburg bei einer Tanzveranstaltung kennen. Die Mutter ist Lehrerin, der Vater, ein Iraner, studiert in der Hansestadt Mineralogie. 1969 heiraten die beiden. Für ihn steht immer fest, dass er wieder zurück will; die Mutter begleitet ihn schließlich.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Im Iran: Der Vater ist politisch aktiv, das Leben im Iran ist für ihn nicht ungefährlich. „Einmal, als meine Eltern in einer Ente nach Teheran gefahren sind und mein Vater an der Grenze kontrolliert wurde, hat er zu meiner Mutter gesagt, wenn er nicht wiederkomme, solle sie umdrehen“, erzählt Huschi. Die Mutter lebt sich ein. Damals gab es viele deutsche Familien im Land. „Die lebten in einer Enklave, sprachen kein Persisch, schickten ihre Kinder auf die deutsche Schule. Bei uns war es anders, wir waren eingebettet in die große Familie meines Vaters.“ Trotzdem seien die ersten Jahre hart für sie gewesen, sagt Huschi.

Kindheit: 1970 wird sie in Teheran geboren und erinnert sich an eine glückliche Kindheit. „Das Leben mit der Großfamilie habe ich geliebt, wir haben uns mindestens einmal in der Woche getroffen, wir Kinder wurden überall integriert.“ Bei Feiern schlafen die Kleinen unterm Tisch. Von den politischen Restriktionen merken sie zunächst wenig. Aber nach der Revolution, 1980, muss sie ein Kopftuch tragen.

Eine künstlerisch gestaltete Frauenbüste

Kunst steht auch in ihrer Küche Foto: Miguel Ferraz

Die Fremdsprache: Sie und ihr Bruder besuchen eine von einer Elterninitiative gegründete Schule, der Unterricht ist auf Persisch, Deutsch die erste Fremdsprache. Von klein auf ist sie auf Demos dabei. „Wir haben sehr früh gelernt, wie wir uns bei Alarm auf den Boden legen müssen und dass wir nicht die Tür aufmachen dürfen, wenn es klingelt.“ Ihr Vater widmete sein Leben dem Kampf gegen den Schah und für die Demokratie, aussichtslos, wie es scheint.

Zwei Koffer: Die Sommerferien verbringt die Familie immer bei den Großeltern in Hamburg. „Wir können nicht mehr zurück“, sagt die Mutter eines Tages zu den Kindern. Sie bleiben in Deutschland, mit nur zwei Koffern, ohne Geld. Auch der Vater schafft es noch nach Hamburg. Die Familie zieht in eine Sozialwohnung; sie, die Tochter, muss eine Klasse wiederholen. „Mich hat das damals in eine Identitätskrise gestürzt. Ich konnte zwar Deutsch, aber ich wollte keine Deutsche sein.“ Du redest komisch, hätten die anderen Kinder gesagt. Sie fühlt sich zerrissen.

Umbrüche: Der Vater findet einen Job; ist nun aber werktags in München. „Den Familienverbund, wie wir ihn kannten, gab es plötzlich nicht mehr.“ Der Vater will, dass die Kinder weiter in die persische Nachmittagsschule gehen, die lehnen nun aber alles Iranische ab. „Wir wollten das alles nicht mehr.“ Als Teenie liest Huschi Weltliteratur, lernt viel und gerne. „Ich war ehrgeizig, das war meine Art der Integration, ich wollte dazugehören.“ Die Ehe der Eltern zerbricht, 1996 geht der Vater zurück in den Iran, heiratet erneut. Inzwischen lebt er abwechselnd mal hier und mal dort.

Unabhängigkeit: Es ist wichtig, dass du als Frau unabhängig von einem Mann bist, das lernt sie von ihrem Vater. Medizin sei dafür perfekt, damit sei sie überall geachtet, sagt er, der selbst kein Blut sehen kann. „Ich hatte immer das Gefühl, dass ich alles schaffen kann, was ich will, unsere Eltern haben mich und meinen Bruder in der Hinsicht gleich behandelt.“ Das Medizinstudium ist für Huschi vor allem eins: ernüchternd. „Ich dachte, ich treffe auf Menschen, die die Welt verändern wollen. Stattdessen waren da viele, die die Praxis ihrer Väter übernehmen wollten.“ Auch die Hierarchie in der Uni-Klinik ist ihr zuwider. „Nach oben buckeln, nach unten treten, so habe ich es wahrgenommen. Am liebsten hätte ich nach der Uni Tischlerin gelernt.“

Ein Mentor: Mitte der 90er gibt es zu viele Ärzt:innen, sie findet keine Stelle in Hamburg, schließlich klappt es in Itzehoe, die Notlösung wird zum Glücksgriff. „Mein erster Chef dort hat mich geprägt. Bestimmt war er auch ein guter Arzt, aber vor allem war er ein guter Mensch.“ Alle dürfen mitreden, Machtspiele gibt es nicht. „Dort habe ich gelernt, wie Medizin auch sein kann, wie sehr einen Operationen und Geburten zusammenschweißen können.“

Schicksalsschlag: Als sie 22 ist, erkrankt ihre Mutter an einer Vorstufe von Brustkrebs. „Nach einer Operation dachten wir, sie sei geheilt.“ Zehn Jahre später stirbt sie. Dass Huschi sich für die Fachrichtung Gynäkologie entscheidet, habe sicher damit zu tun. „Ich hatte das Gefühl, dass bei ihrer Behandlung vieles schieflief, und wollte es besser machen.“ Bei der Tumortherapie der Mutter war sie immer ganz nah dabei, zu nah, meint sie heute. „Für meine Mutter war das gut, für mich zu viel. Jahre habe ich gebraucht, um das zu verarbeiten.“ Ihr Verhältnis war eng. „Wie sehr sie mir wirklich fehlt, habe ich erst gemerkt, als ich selbst Mutter wurde.“

Familie: Bei einer Hochzeit wollen Freunde sie verkuppeln und haben Erfolg. Sie und ihr heutiger Mann sind die letzten Gäste auf der Party. Es ist August, im April darauf ist sie schwanger, im Juli heiraten sie und kaufen ein Haus. „Vorher hatten wir noch nie zusammen gewohnt.“ Sechs Monate nach der Geburt geht sie, inzwischen Oberärztin, wieder arbeiten, Vollzeit, ihr Mann ist Lehrer, bleibt ein Jahr zu Hause, arbeitet danach in Teilzeit. „Das war ein tolles Agreement, für das ich ihm dankbar bin.“

Karriere: Dass sie Leitungsaufgaben übernehmen will, wird ihr früh bewusst. „Die Alternative ist ja, immer nur über die Chefs zu meckern.“ Als sie Oberärztin wird, ist sie die einzige Frau, umgeben von Männern. „Ich hatte immer das Gefühl, dass die mich nicht ernst nehmen.“ In eine Praxis wechseln möchte sie nicht. „Viele Kolleginnen gehen diesen Schritt, wenn sie Kinder haben. Aber ich operiere gerne und finde das Arbeiten im Team toll, das hat was von einer Familie.“ Die Doppelbelastung nimmt sie allerdings mit. Sie denkt, sie sei durch die vielen Nachtdienste gestählt. „Das war naiv. Mit einem kleinen Kind war ich dauererschöpft, über Jahre.“ Elf Jahre ist sie leitende Oberärztin. Immer öfter bekommt sie Angebote für Chefposten, die sie ausschlägt. „Damit hätte ich meinen Beruf quasi an den Nagel gehängt. Viel Verwaltung, wenig Medizin.“

Eine dörflich anmutende Straße im Hamburger Speckgürtel

Ein Hauch von Bullerbü Foto: Miguel Ferraz

Nicht ohne mein Team: Seit etwa anderthalb Jahren hat Setareh Huschi dennoch einen Chefposten inne. Sie leitet gemeinsam mit zwei früheren Kolleginnen die Gynäkologie der Asklepios-Klinik in Hamburg-Wandsbek. Ein Führungsteam wie ihres ist bislang in Deutschland einzigartig. Entstanden ist es aus einer Sektlaune. „Wir alle wollten gerne Chefinnen sein, aber eben auch weiterhin Ärztinnen“, sagt Huschi. „Also haben wir ein Konzept ausgearbeitet, wie man zu dritt die Leitung übernehmen kann, und uns damit initiativ beworben.“ Erfolgreich. „Momentan arbeiten wir viel mehr als vorher, aber es macht Spaß und wir haben viel vor.“ Etwa soll es weniger anonym sein in der Klinik. Als sie ihrer Familie von dem Plan berichtet, sagt sie auch, dass sie in den nächsten Jahren sicher noch mehr arbeiten werde. „Mein Mann und mein Sohn konnten total verstehen, das ich das machen will, und sind stolz auf mich.“ Ein wichtiges Ritual für die Familie: „Eine Mahlzeit am Tag essen wir immer gemeinsam.“

Frauen: Da, wo sie gerade steht, ist sie glücklich. „Und wenn es nicht mehr so sein sollte, dann habe ich keine Angst vor Veränderungen; nichts ist statisch.“ Gerade wurde sie als Delegierte in die Hamburger Ärztekammer gewählt. „Jetzt, wo ich die Reichweite habe und sichtbar bin, will ich mehr mit anderen Frauen netzwerken. Uns gegenseitig unterstützen und Vorbild sein, das müssen wir noch lernen.“ Auch unter Frauen habe sie oft Rivalitäten erlebt. „Leider. Wir müssen zusammenhalten. Ich glaube an die Macht der Frauen.“ Dabei denkt sie auch an die Frauen im Iran.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.