Eine Vision mit Kühnert

taz-Serie Alternative Koalitionsverhandlungen (Teil 1): Muss Schwarz-Rot wirklich sein? So ginge es doch auch: Parallel zu den offiziellen Verhandlungen zwischen CDU und SPD hörte die taz von überraschenden Gesprächen zwischen Grünen, Linken und SPD

Schenkt er seiner Parteifreundin Giffey einen ein? SPD-General Kevin Kühnert Foto: Christian Marquardt/epa

Von Uwe Rada

Schlägt Berlins Herz doch links? Der Tag, an dem die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD begonnen haben, endete mit einem Paukenschlag. Nicht nur Kai Wegner und Franziska Giffey haben am Donnerstag über die Bildung eines neuen Senats verhandelt, sondern auch Grüne, Linke und zwei Vertreter der SPD.

Zunächst hatte es nicht danach ausgesehen. Mit dem Dienstrad waren Bettina Jarasch und Werner Graf am Nachmittag in die Kantine eines Verlagshauses in der Friedrichstraße gekommen. Den beiden Grünen folgten Katja Kipping und Klaus Lederer von der Linkspartei. Parallele Koalitionsverhandlungen waren zu diesem Zeitpunkt nicht zu erwarten.

Vielmehr schien es, als würden Grüne und Linke darüber beraten, wie die Oppositionsarbeit in den kommenden dreieinhalb Jahren abgestimmt werden könnte. „Es geht darum, das Zukunftspotenzial der Stadt zu zeigen.“ Mehr verriet Jarasch nicht vor Beginn der Gespräche. Dann schlossen sich die Türen.

Der Überraschungsgast kam durch die Hintertür. Kurz vor 16 Uhr stieß SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert zu den Gesprächen dazu. Noch bevor Franziska Giffey und Raed Saleh, die beiden Vorsitzenden der Berliner SPD, die Gespräche mit der CDU beendeten, hatten sich Grüne und Linke zu einem ersten, wenn auch noch geheimen Austausch mit der SPD getroffen.

Werner Graf, einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen, hatte die SPD-Basis bereits am Dienstag auf einem kleinen Parteitag aufgefordert, gegen eine Große Koalition zu stimmen. Bei Kevin Kühnert scheint die Botschaft schon zwei Tage später angekommen zu sein. Wird das Gesicht der Anti-Groko-Kampagne im Bund von 2018 nun auch die Führungsrolle der innerparteilichen Opposition in der Berliner SPD übernehmen? Oder setzt er womöglich mit den Gesprächen mit Grünen und Linken seine bundespolitische Karriere aufs Spiel?

Nicht unwahrscheinlich ist, dass sie sich auch im Willy-Brandt-Haus alle Türen offenhalten wollen. Denn bisher gibt es keine Prognosen, wie sich die Basis zu einem Koali­tionsvertrag mit der CDU verhält. Am 1. April soll die Vereinbarung stehen, das haben Giffey und Wegner am Donnerstag auf dem Euref-Campus noch einmal bekräftigt. Bis zum 21. April sollen die 18.500 Mitglieder der SPD in einer Briefwahl abstimmen.

Aber auch in der Berliner SPD mehren sich die Stimmen, dass für den Fall des Scheiterns von Schwarz-Grün ein alternativer Fahrplan auf dem Tisch liegt. Statt in die Opposition zu gehen und den Weg für Schwarz-Grün zu öffnen, könnte die SPD die Koalition mit Grünen und Linken fortsetzen – allerdings ohne Franziska Giffey als Regierende Bürgermeisterin.

Die Gespräche zwischen Kühnert und Grünen und Linken könnten dafür ein Auftakt gewesen sein. Allerdings haben sie nur etwa eine Stunde gedauert. Anschließende Pressestatements gab es nicht. Dem Vernehmen nach ist vor allem über vertrauensbildende Maßnahmen gesprochen worden. „Es ist viel Porzellan zerschlagen worden“, hieß es bei den Grünen. Aber auch von einer „Atmosphäre des Zuhörens“ und der „leisen Töne“ war die Rede. Und auch davon, dass die Gespräche in der kommenden Woche fortgesetzt werden sollen.

Wie zu hören war, wurde über einzelne Themen noch nicht im Detail gesprochen. Sollte es aber zu einer Neuauflage von Rot-Grün-Rot ohne Giffey und Saleh kommen, wolle man vorbereitet sein, heißt es in einem Papier. Allerdings soll beim zweiten Treffen zunächst über mögliche Rollenverteilungen gesprochen werden. „Miteinander statt gegeneinander“, ist das Papier überschrieben.

Politische Schwerpunkte eines rot-grün-roten Neustarts sind nach Informationen der taz aber angeschnitten worden. „Ohne Giffey ist bei der Enteignung sicher mehr drin als ein Rahmengesetz“, hieß es vonseiten der Linkspartei. Die Grünen wiederum legten Wert darauf, dass es eine Verkehrswende ohne Einschränkungen für Autofahrer nicht geben könne. „Berlin darf den Anschluss an Paris und andere fahrradfreundliche Metropolen nicht verlieren“, forderte Noch-Verkehrssenatorin Bettina Jarasch.

„Mit Cansel Kiziltepe können wir uns eine Zusammenarbeit mit der SPD vorstellen“

Werner Graf, Grüne

Politische Brisanz bekommt der Paukenschlag nicht nur durch die Anwesenheit von Kevin Kühnert. Kurz vor dem Ende der Gespräche hat auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe in der Friedrichstraße vorbeigeschaut. Auf dem Euref-Campus verhandelt sie das Thema Stadtentwicklung für die SPD. Auch in der Dachgruppe sitzt die Staatssekretärin von Bundesbauministerin Klara Geywitz.

Taugt Kiziltepe zur Königsmörderin? Tatsächlich trauen ihr die Grünen zu, genau dann zur Stelle zu sein, wenn Franziska Giffey und Raed Saleh nach einem möglichen Scheitern des Mitgliederentscheids zurücktreten müssen. Mit Franziska Giffey werde es keine Gespräche mehr geben, hatte Grünen-Fraktionschef Graf bereits auf dem kleinen Parteitag durchblicken lassen. „Mit Cansel Kiziltepe können wir uns eine Zusammenarbeit dagegen vorstellen“, soll Graf auf dem Treffen gesagt haben.

Allerdings habe diese zurückhaltend auf den Vorschlag reagiert, dass nach Ablauf der Hälfte der Legislaturperiode im Roten Rathaus von der SPD zu den Grünen rotiert werden könnte. „Für Personaldebatten ist es noch zu früh“, soll Kiziltepe gesagt haben. Zumindest das ist bei den Parallelverhandlungen nicht anders als bei den offiziellen Koalitionsgesprächen.

wie es wirklich war