Konsumkritik mit Leerstellen: Chili satt bis zum Armageddon

Minimalismus ist nicht nur schick, sondern auch praktisch. Dass er aber wirklich Probleme löst, ist leider trotzdem nicht mehr als ein hehrer Wunsch.

Bücherstrapel vor Bücherregel. Viele noch eingeschweißt

Sie eh nicht alle lesen zu können, ist noch lange kein Grund, die Bücher nicht zu kaufen Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Wer die kleine Stadtwohnung gegen ein ländliches Haus eintauscht, der hat mehr Platz – sollte man meinen. Es ist nur leider auch nicht wahrer als vieles andere, das man so glaubt, ohne es ausprobiert zu haben. Am Anfang sieht es aber so aus, wenn sich die plötzlich winzig scheinenden Umzugskartons in leeren Zimmern verteilen: zwei oder drei in der Küche, zwei leere Flure später noch einer im Wohnzimmer, ein paar Klamotten im jetzt viel größeren Schrank. Und selbst für die Bücherkisten wird sich jetzt endlich eine Lösung finden. Man hat ja jetzt Platz.

Mehr als ein paar Monate ging das nicht gut. Man braucht unerwartete neue Dinge und wirft auch weniger entspannt weg als früher. Werkzeuge füllen Regale, Ersatzdachpfannen warten auf den nächsten Sturm. Übrig gebliebene Fliesen lehnen neben ein paar restlichen Eichendielen. Weil: Wer weiß?

Es hat auch wirklich mit dem Land zu tun: Weil Flohmärkte hier selten und schlecht bestückt sind, stapeln sich Kinderklamotten eben zu Hause, bis der Nächste reinwächst. Kurz gesagt: Das Haus ist auch nicht leerer, als es die Wohnung mal war.

Minimalismus hat Grenzen

Es ist nicht so, als hätte ich nicht aufgepasst: Circa 300 Bücher habe ich seit der Stadtflucht verkauft, verschenkt und weggeworfen. Ich mache auch trotz Frusterfahrungen weiter damit, obwohl etwa neue Theaterspielpläne jedes Jahr wieder neue Leseaufträge bedeuten und ich inzwischen 20 unter Tränen abgestoßene Bücher wieder neu beschaffen musste. Schließlich steht die gutsortierte Bibliothek nun eine gefühlte Tagesreise entfernt in der Stadt.

Dummerweise wirkt auch das ideologische Gegengift für solche Sinnkrisen bei mir nicht. Der seit Jahren mit missionarischem Eifer beworbene Minimalismus à la Marie Kondō macht mich ausgesprochen misstrauisch. Ich hatte wahrscheinlich nicht genug Angst vor den Dingen, um einen ernsthaften Exorzismus zu wagen.

Aber: Dass ich nie alle lesen werde, ist mir beim Blick ins Bücherregal natürlich auch klar. Nur woher soll ich wissen, welche? Da haben schließlich Kulturbetrieb und gesamtgesellschaftlicher Wahnsinn ein Wörtchen mitzureden. Und es sind auch nicht nur Bücher.

Palettenweise Hülsenfrüchte

Ich komme überhaupt nur aufs Platzproblem zu sprechen, weil ich gestern aus Frust über das Wetter und zu viele Voll­idio­t:in­nen an der Supermarktkasse meine Vorräte aufgefüllt habe und jetzt vor dem Problem stehe, dass ich zwischendurch mein Zelt im Hamsterkeller deponiert und es da vergessen hatte. Und jetzt stehen sie immer noch anklagend in der Küche, die drei Paletten Kidneybohnen, eine mit Mais und vier mit Dosentomaten. Also Chili satt bis zum Armageddon. Drei Kilo Espressobohnen müssen auch noch irgendwo hin.

Ich schiebe das gern aufs Lockdowntrauma, aber ehrlich gesagt war mir die volle „Speisekammer“ schon ein Kindheitstraum. Nicht dass wir eine gehabt hätten damals, aber ich las den „Kleinen Hobbit“ und den „Herrn der Ringe“. Die Schlachten hatte ich überflogen, mich dafür aber sattgelesen an den Vorräten von Bilbo, Tom Bombadil und Beorn, dem honigsüchtigen Werbär.

Kondō und Co fahren eine andere Linie: Bleib flexibel, hau raus, kauf nach, wenn wieder Platz ist – dein Kulturzeug am besten eh nur digital gemietet. Dann ist es billiger und höchstens weg, wenn unser Dienst pleite macht oder wir die Rechte verzocken. Ich kann meinen Fetischismus beim besten Willen nicht verrückter finden als das.

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Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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