Wendung in Affäre um Lockdown-Parties: Partygate-Gate in Großbritannien

Ein Parlamentsausschuss wirft Boris Johnson Lügen vor. Die einstige Partygate-Untersuchungschefin Sue Gray geht zur Labour-Opposition.

Boris Johnson mit Sturmfrisur

Haarige Situation: Boris Johnson in London, 3. März Foto: Henry Nicholls / reuters

LONDON taz | Mit einer abwertenden Bemerkung zur Nordirlandeinigung zwischen dem britischen Premierminister Rishi Sunak und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beabsichtigte Boris Johnson am vergangenen Donnerstag noch, die Oberhand über die Schlagzeilen zu gewinnen und seinem ehemaligen Finanzminister und Nachfolger Sunak eins auszuwischen. Doch bereits am Freitag war alles anders.

Da veröffentlichte der Parlamentsausschuss, der prüft, ob Ex-Premier Boris Johnson das Parlament bezüglich des „Partygate“-Skandals rechtswidriger Zusammenkünfte in 10 Downing Street belogen hat, einen Zwischenbericht. Auf 23 Seiten deutete dieser an, dass Johnsons politische Tage womöglich gezählt sind.

Nicht nur ein einziges Mal habe Boris Johnson vor dem Parlament geflunkert, sondern insgesamt bei vier Begebenheiten, heißt es. Die Rechtsverstöße in seinem Amtssitz hätten dem ehemaligen Premier bewusst sein müssen. Das bewusste Verbreiten von Unwahrheiten vor dem Parlament gilt als Verstoß gegen die Abgeordnetenregeln.

Johnsons Behauptung am 8. Dezember 2021, kurz nach den ersten Berichten über Partys im Lockdown, es habe keine Regelverstöße in der Downing Street gegeben, sei falsch gewesen. Dies habe bereits die Ermittlung der Londoner Polizei festgestellt, die Johnson schließlich mit einem Bußgeld belegte. Ebenso der von Johnson selbst in Auftrag gegebene Untersuchungsbericht der Spitzenbeamtin Sue Gray, ehemalige Ethik­chefin im Büro des Premierministers.

Johnson habe über persönliches Wissen über rechtswidrige Treffen verfügt, das er hätte offenlegen können. Statt bei der ersten Gelegenheit die Wahrheit zu sagen oder auch frühere Aussagen selbst zu korrigieren, habe Boris Johnson immer wieder auf Sue Grays laufende Untersuchung verwiesen.

In zwei Wochen muss sich Johnson selbst vor dem Ausschuss äußern. Sollte dieser am Ende empfehlen, dass Johnson für zehn Tage oder länger vom Parlament suspendiert wird, und dies auch geschieht, können die Wähler seines Wahlkreises mittels eines Volksbegehrens Nachwahlen ansetzen lassen. Dafür müssten sich 10 Prozent der Wählerschaft aussprechen. Ob es so weit kommt, muss jedoch das Unterhaus entscheiden. Wie sich dabei die Konservativen ausrichten und streiten, bleibt abzuwarten.

Von der Johnson-Inquisitorin zum Starmer-Stabschef

Für Johnsons Verteidiger gibt es seit Donnerstag ein nicht minder bemerkenswertes Argument. Sue Gray, die den ersten Untersuchungsbericht zum Partygate verfasste und damals als unerbittlich strenge und unparteiische Gestalt galt, hat am Donnerstag ihr Amt in der Downing Street niedergelegt und will Stabschefin des Labour-Oppositionschefs Keir Starmer werden.

Nun wollen viele Leute wissen, ob Gray nicht schon längst insgeheim für Labour agiert haben könnte und ob ihre Erkenntnisse jetzt überhaupt noch für die laufende Untersuchung gegen Boris Johnson tauglich sind. Für hohe Beamte gilt eigentlich eine Neutralitätspflicht. Die könnte Gray gebrochen haben, zumal sie bis Donnerstag noch ganz normal in der Regierungszentrale gearbeitet hat.

Bisher ist nicht bekannt, seit wann Keir Starmer und Sue Gray über einen Jobwechsel in Kontakt waren. Aber schon während der Partygate-Untersuchung hatte der Labour-Chef gesagt, dass er Sue Gray persönlich kenne und schätze.

In Presseberichten am Wochenende hieß es, Sue Gray habe sich nach einem neuen Job umgesehen, nachdem sie enttäuscht über den Umgang mit ihr während der Partygate-Untersuchung war. Es wurde jetzt aber auch berichtet, dass ihr Sohn bereits als Labour-Wahlkämpfer in Boris Johnsons Wahlkreis aktiv ist.

Sue Grays Wechsel muss erst noch von einem Komitee überprüft werden, das über die Zulässigkeit des Wechsels hoher Beamter in die freie Wirtschaft befindet und Karenzzeiten empfehlen darf. Die endgültige Entscheidung liegt dann bei Rishi Sunak.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.