Prozess gegen Klimaaktivistin Carla Hinrichs: Gericht erinnert ans Sauriersterben

Die Sprecherin der Gruppe Letzte Generation steht wegen einer Straßenblockade vor Gericht. Der Richter zeigt sich unbeeindruckt.

Aktivistin Carla Hinrichs vor Gericht

Aktivistin Carla Hinrichs im Amtsgericht Berlin-Tiergarten am 16. Februar Foto: Annette Riedl/dpa

BERLIN taz/dpa/bb | Eigentlich hätte der Prozess gegen die Klimaaktivistin Carla Hinrichs am Donnerstag beendet sein sollen, doch die Auseinandersetzung vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin wird sich hinziehen: Vorerst gibt es eine Unterbrechung. Die Verteidigung wünscht sich einen Richtertausch. Sie hält den zuständigen Richter Christoph Weyreuther für befangen und hat einen Befangenheitsantrag gegen ihn gestellt.

Hinrichs hält die Straßenblockade, für die sie angeklagt wurde, nicht für strafbar, wie sie vor dem Gerichtstermin schon im Interview mit der taz sagte. Formal lautet der Vorwurf Nötigung. „Wenn ich mir die Gesetze angucke, dann braucht es für eine Nötigung ein verwerfliches Verhalten“, so die Aktivistin. Das sieht sie angesichts der Klimakrise nicht als gegeben. Hinrichs hat Jura bis zur Scheinfreiheit studiert und verteidigte sich vor Gericht gemeinsam mit ihrem ehemaligen Professor Gerd Winter von der Uni Bremen.

Weyreuther ließ das Argument nicht gelten, mit ihren Aktionen wolle die Letzte Generation das Leben auf der Erde retten. „Kakerlaken auch? Und die Dinos sind schließlich auch ausgestorben. Der Mensch wird sowieso aussterben, davon bin ich fest überzeugt“, sagte er laut einem Bericht des Portals t-online aus dem Gerichtssaal. „Das lässt sich nicht verhindern, dafür ist er zu dumm.“

Das entspricht nicht dem Stand der Forschung. Zwar ist ein Aussterben der Menschheit durch die Klimakrise nicht auszuschließen, aber auch nicht das wahrscheinlichste Szenario – und vor allem nicht unabwendbar. Das radikale Senken der globalen CO2-Emissionen könnte die Erderhitzung deutlich begrenzen. Um die 1,5-Grad-Marke nicht zu überschreiten, müssten die Emissionen dem Weltklimarat IPCC zufolge noch vor 2025 ihren Höhepunkt erreichen, sich bis 2030 ungefähr halbieren und bis 2050 bei null liegen.

Globale CO2-Emissionen steigen weiter

Dafür müsste zum Beispiel der Energieverbrauch im globalen Norden deutlich sinken und alle Wirtschaftsbereiche müssten auf erneuerbare Energien umstellen, die Tierhaltung müsste schrumpfen. Laut der Internationalen Energieagentur verträgt sich das 1,5-Grad-Limit nicht mit dem Erschließen neuer Öl-, Erdgas- oder Kohlequellen.

Dass die Menschheit das Limit einhält, gilt derzeit als unwahrscheinlich – allerdings nicht mangels technischer Möglichkeiten, sondern aufgrund von mangelndem gesellschaftlichen Willen, wie Wis­sen­schaft­le­r:in­nen der Uni Hamburg kürzlich in einer Studie schrieben.

Auch jenseits der 1,5 Grad Erderhitzung droht nicht direkt ein Aussterben der Menschheit. Die Folgen der Klimakrise – darunter Unwetter, lebensfeindliche Hitze, Hungersnöte – nehmen aber mit jedem Zehntelgrad zu. Außerdem steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Klima an bestimmte Kipppunkte stößt. Wichtige Bestandteile des Klimasystems könnten dann instabil werden und die Klimakrise massiv zusätzlich befeuern. Im vergangenen Jahr sind die globalen Emissionen erneut gestiegen.

Ob das etwas an der Strafbarkeit von Straßenblockaden ändert? Was für Hinrichs klar ist, stellt sich sowohl für Richter Weyreuther als auch für die Staatsanwaltschaft anders dar. Letztere hatte einen Strafbefehl über 900 Euro (30 Tagessätze je 30 Euro) bei dem Gericht beantragt, Weyreuther hielt eine geringere Geldstrafe (20 Tagessätze je 30 Euro) für ausreichend. Da die Staatsanwaltschaft nicht zustimmte, war es zum Prozess gekommen. Gegen Hinrichs gibt es nach Gerichtsangaben noch ein weiteres Verfahren.

Hinrichs Gruppe, die Letzte Generation, war nach einem Klima-Hungerstreik in Berlin entstanden und fordert mehr Maßnahmen für den Klimaschutz. Seit Anfang 2022 blockierte sie immer wieder Autobahnausfahrten und andere Straßen in vielen Städten, einen Schwerpunkt bildet Berlin. Nach jüngsten Angaben des Senats beantragte die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Demonstranten bislang 511 Strafbefehle und erhob 7 Anklagen.

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