Geschichte des deutschen Klimaschutzes: Weltmeister im Aufweichen

Die Bundesrepublik gab sich 1990 als erster Staat der Welt ein nationales Klimaschutzziel. Seitdem wurde es immer wieder unterlaufen und aufgeweicht.

Töpfer schwimmt durch den Rhein

Er schwamm durch den Rhein und verantwortete das erste Klimaziel einer Nation weltweit: Klaus Töpfer Foto: Roland Witschel/picture alliance

BERLIN taz | Genau 36 Tage nach der Wiedervereinigung schrieb Deutschland erneut Geschichte: „Auf Vorschlag von Bundesumweltminister Dr. Klaus Töpfer hat das Bundeskabinett heute ein nationales CO2-Minderungsprogramm zum Klimaschutz beschlossen“, vermeldete die Bundesregierung am 7. November 1990. „Ziel ist die Verringerung der CO2-Emissionen um mehr als 25 Prozent bis zum Jahre 2005.“ Und: „Die Rückführung von Kohlendioxid bezieht sich auf das Emissionsvolumen des Jahres 1987.“

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„Die Zwei-plus-Vier-Gespräche zur deutschen Wiedervereinigung waren gerade vorbei“, erinnert sich Michael Müller (SPD). Zu Wende-Zeiten war der heute 74-Jährige SPD-Umweltpolitiker im Bundestag. „Die politische Idee, mit Klimaschutzpolitik der Welt zu zeigen, dass ein geeintes Deutschland Positives für die Menschheit bewirkt, war weit verbreitet“, sagt er. CDU-Umweltminister Töpfer habe im Klimaschutz „eine Chance für ein deutsches Weltprojekt“ gesehen. Helmut Kohl, der CDU-Kanzler, habe damals geglaubt, dass „Klimaschutz ein weltpolitisches Thema ist, bei dem Deutschland etwas reißen könnte“. Auch der damalige Oppositionsführer, SPD-Fraktionschef Hans-Jochen Vogel, sei von der Sache überzeugt gewesen, erinnert sich Müller.

Und so gab sich die wiedervereinigte Bundesrepublik als erster Staat der Welt ein nationales Klimaziel, ein ehrgeiziges sogar, das aber von Beginn an ausgebremst wurde. Was folgte, waren Jahrzehnte der Verwässerung und Verschleppung.

Müller arbeitete seinerzeit in der Enquete-Kommissionen „Schutz der Erdatmosphäre“ mit, die im Mai 1990 ihren ersten Bericht vorgestellt hatte. „Ergebnis war, dass Klimaschutz nach kurzfristigen Belastungen mittelfristig enormes wirtschaftliches Potenzial besitzt. Deshalb waren uns Sozialdemokraten die minus 25 Prozent bis 2005 zu wenig“, sagt Müller. Die Enquete-Kommission forderte schließlich mehr als 30 Prozent Reduktion.

„Widerspruch zwischen Erkenntnissen und Handlungen“

Also brachte die SPD 1991 einen Antrag in den Bundestag ein, der „minus 30 Prozent“ in den alten Bundesländern gegenüber 1987 forderte. „Uns war damals klar, dass die neuen Bundesländer ohnehin ein starkes Minderungspotenzial haben“, sagt Müller. Der SPD-Antrag nannte auch eine absolute Zahl für 2005: Die deutsche Treibhausgas-Produktion sollte auf 750 Millionen Tonnen sinken – weniger, als hierzulande 2021 anfiel.

Zur Aussprache im Bundestag kam der SPD-Antrag am 27. September 1991. „Es besteht ein eklatanter Widerspruch zwischen den Erkenntnissen und den Handlungen“, wetterte Müller damals im Bonner Wasserwerk, dem einstigen Parlamentssitz. In der Bundesregierung werde jetzt seit über einem Jahr „über den notwendigen Klimaschutz nur gequatscht, wobei dies aber tatsächlich ein folgenloses Geschwätz ist“. Allerdings wurde der Entschließungsantrag der SPD abgelehnt. Es blieb beim Klimaziel von minus 25 Prozent bis 2005 gegenüber 1987.

Aber nur bis 1995. Da nämlich korrigierte Helmut Kohl (CDU) dieses Ziel im Handstreich, indem er das Basisjahr änderte. Auf der COP1, der ersten Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen in Berlin, erklärte der damalige Bundeskanzler: „Deutschland hält an dem Ziel fest, bis zum Jahr 2005 seinen CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um 25 Prozent zu senken.“ Damit musste die Bundesrepublik plötzlich einige Dutzend Millionen Tonnen Treibhausgase weniger einsparen. Denn zwischen 1987 und 1990 war die Treibhausgasproduktion in Ost- wie Westdeutschland kräftig gestiegen.

„Zudem machte Kohl aus dem westdeutschen Reduktionsziel ein gesamtdeutsches“, sagt Müller, als SPD-Politiker damals in der Opposition. Bis dahin galten minus 25 Prozent in den Westbundesländern plus ein Beitrag aus dem Osten, „also wenigstens 30 Prozent gesamtdeutsch“, so Müller.

Kabinett Kohl kam beim Klimaschutz nicht vom Fleck

Auch das zweite gesamtdeutsche Kabinett Kohl kam beim Klimaschutz nicht vom Fleck. Um gerade mal 9 Prozent sank die deutsche Treibhausgas-Produktion bis 1996. Und auch das nur wegen des Zusammenbruchs der energieintensiven DDR-Wirtschaft. Also legte die Regierung im Herbst 1997 ein Sofortprogramm für mehr Klimaschutz auf. Dieses sah „Maßnahmen vor, mit denen wir unser Ziel auch erreichen können“, so die damalige Umweltministerin Angela Merkel (CDU). Sie wolle die „Maßnahmen ständig auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen und im Jahr 2000 eine weitere Zwischenbilanz vorlegen“.

Auch Merkels Nachfolger als Umweltminister, der Grüne Jürgen Trittin, konnte keine ausreichenden Zahlen vorlegen: Im Jahr 2000 produzierte Deutschland gut 16 Prozent weniger Treibhausgase als 1990. Immerhin machten SPD und Grüne dann Tempo: mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, einer ökologischen Steuerreform, der verstärkten Nutzung von Kraft-Wärme-Kopplung und dem Ausstieg aus der Atomenergie.

Trotzdem musste ausgerechnet die erste deutsche Regierung mit grüner Beteiligung das Scheitern der deutschen Klimapolitik verkünden: 2005 wurden in Westdeutschland nicht die versprochenen 25 Prozent weniger Treibhausgase produziert, sondern gerade einmal 10 Prozent. „Die Ostdeutschen haben den Großteil der Reduktion getragen“, sagt Müller heute.

Nach dem Scheitern von Rot-Grün wurde Sigmar Gabriel in der folgenden Großen Koalition unter Merkel ab 2005 der erste SPD-Umweltminister. Und Müller wurde sein Staatssekretär. „Gabriel hat gebrannt für die Öffentlichkeitswirksamkeit des Themas“, erinnert sich dieser. Eine Aussage, die ohne den Begriff „Öffentlichkeitswirksamkeit“ ganz anders klingen würde.

Gabriel ließ sich im roten Anorak mit Merkel auf Grönland fotografieren. Und rief 2007 ein neues deutsches Klimaziel aus: bis 2020 minus 40 Prozent weniger CO2 als 1990. Gabriel formulierte auch eine absolute Zahl, die 2020 erreicht werden sollte: 750 Millionen Tonnen. Also exakt jene Zahl, die die Sozialdemokraten 1991 schon einmal als Ziel genannt hatten – damals allerdings für das Jahr 2005.

Mit Gabriel Schwung in den Klimaschutz

Immerhin bemühte sich Gabriel, neuen Schwung in den Klimaschutz zu bringen. Zum Beispiel mit dem „integrierten Energie- und Klimaprogramm“ vom August 2007, den sogenannten Meseberg-Beschlüssen, immerhin 29 Klimaschutzmaßnahmen.

Im Zuge der Finanzmarktkrise 2009 sank der deutsche Treibhausgas-Ausstoß tatsächlich unter das erklärte Ziel für 2005. Doch dann kam Schwarz-Gelb – und mit der FDP in der Regierung interessierte sich niemand im Kabinett mehr dafür, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Das ging auch zu Lasten der Jobs in der Windkraft- und Solarindustrie: Unter Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und Umweltminister Peter Altmaier (CDU) gingen reihenweise Firmen aus der Branche pleite. Know-how und Patente wurden aus dem Ausland aufgekauft. Allein in der Solarbranche verloren 100.000 Menschen ihre Arbeit.

Zwar wurde die FDP bei den Wahlen 2013 abgestraft, als sie aus dem Bundestag flog. Aber die beiden nächsten schwarz-roten Regierungen machten es nicht besser. Egal ob das „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020“ von 2014 oder der „Klimaschutzplan 2050“ von 2016 – stets war die Umsetzung so mangelhaft, dass die Emissionen nur marginal sanken. Trotzig erklärte Bundeskanzlerin Merkel 2017 im Wahlkampf: „Wir werden Wege finden, wie wir bis 2020 unser 40 Prozent-Ziel einhalten. Das verspreche ich Ihnen.“ Tatsächlich konnte Merkel ihr Wort halten – aber nur wegen coronabedingter Emissionssenkungen.

2019 beschloss die schwarz-rote Bundesregierung ein neues Ziel: Sie wollte die deutschen CO2-Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent senken. Und weil das Bundesverfassungsgericht 2021 urteilte, dass die Bundesregierung zu wenig für den Klimaschutz tue, verschärfte die Regierung dieses Ziel noch einmal: Jetzt soll der deutsche Treibhausgas-Ausstoß im gleichen Rahmen um 65 Prozent sinken.

Aber eine Klimaschutzpolitik, die diesen Namen auch verdient, ist nicht in Sicht: etwa ein Tempolimit, das Aus für alte Kohlekraftwerke, eine Steuer auf übermäßigen Fleischkonsum, eine strikte Kohlendioxid-Bepreisung, die überfällige energetische Gebäudesanierung oder ein Ende umweltschädlicher Subventionen. Und so lagen die Emissionen 2021 mit 762 Millionen Tonnen wieder nur 38,7 Prozent unter dem Niveau von 1990 – obwohl das Land auf dem Weg zu minus 65 Prozent in acht Jahren doch eigentlich bei wenigstens 45 Prozent unter dem Basisjahr sein sollte.

„Ein politisches Komplettversagen“

„Ständig reden Kanzler Olaf Scholz und sein Kabinett vom 1,5 Grad-Ziel“, echauffiert sich Müller. Er sieht darin bereits eine „verlorene Schlacht“. Auch die nun angestrebte Klimaneutralität bis 2045 sei „eine fundamentale Lüge“ – „so lange wir die Klimapolitik nicht als Chance für die Auseinandersetzung mit unserer Wirtschaftsweise begreifen, so lange wir nicht am wirtschaftlichen Umbau arbeiten, so lange werden wir unsere Klimaziele reißen“, sagt Müller, der heute Vorsitzender der Naturfreunde Deutschlands ist, ein SPD-naher Umwelt- und Wanderverein.

Tatsächlich sei die Bundesrepublik „Ankündigungsweltmeister“ im Klimaschutz, urteilt Reimund Schwarze, der eine Professur an der Viadrina in Frankfurt/Oder innehat und zur internationalen Klimapolitik forscht. Deutschland sei zwar das erste Land mit einem nationalen Klimaziel gewesen. Den „großartigen Ankündigungen“ sei jedoch „ein politisches Komplettversagen“ gefolgt, so Schwarze. Und das mit Auswirkungen für den weltweiten Klimaschutz: Die Bundesregierung hat ihr Klimaziel nämlich als „verbindlich“ an die UN gemeldet. Schwarze: „Wenn die Vereinten Nationen berechnen, was zum Erreichen des 1,5-Grad-Zieles getan werden muss, gehen sie davon aus, dass Deutschland sein Klimaziel auch schafft.“

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Die Klimasaboteure Rishi Sunak, Tories: Als britischer Premierminister leitete er eine Wende in der britischen Klimaschutzpolitik ein. Im September 2023 genehmigt seine Regierung die Ausbeutung des größten unerschlossenen Ölfelds in britischen Gewässern – Rosebank. 350 Millionen Barrel Öl befinden sich dort im Meeresboden. Die Firma Equinor, die mehrheitlich dem norwegischen Staat gehört, und ihr Juniorpartner Ithaca Energy wollen hier 69.000 Barrel Öl pro Tag fördern. 6704708 5979013 g5979013

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