Unterdrückung in Afghanistan: Land ohne Frauen

Seit der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 werden die Rechte der Frauen in Afghanistan immer mehr eingeschränkt. Drei Protokolle.

Frauen mit Schleier stehen in einem Kreis

Mitarbeiterinnen des World Food Program helfen Frauen in Kabul Foto: Kiana Hayeri//NYT/laif

„Das Arbeitsverbot überschreitet die rote Linie“

Meine Mitarbeiterinnen brachen am Telefon zusammen. Wir haben bei Care fast 900 Mitarbeiter, davon sind etwa 300 Frauen. Ihnen mussten wir verkünden, dass sie zu Hause bleiben müssen, bis wir mehr Klarheit haben.

Warum beschäftigen wir uns in einem Dossier mit Antifeminismus? Schon in vielen Liedern wird besungen: „Know your enemy“. Oft ist Antifeminismus subtil. Wie wir ihn entlarven können, wird klar, wenn wir uns mit ihm auseinandersetzen: Welche Formen nimmt er an? Wer sind die Akteur*innen? Und wie können wir ihm begegnen? Alle Dossiertexte gibt es im Online-Schwerpunkt zum feministischen Kampftag.

Seit dem Tag der Taliban-Übernahme war klar: Es geht nicht um mich. Wenn ich mich entscheide, die neuen Regeln nicht mitzutragen, bringt das andere Mit­ar­bei­te­r:in­nen in Gefahr. Also haben wir versucht, die Protokolle der Taliban zu befolgen. Von der Kleiderordnung, dass wir einen Hidschab tragen sollten, bis hin zu getrennten Büros und Fahrzeugen für Männer und Frauen. Alles, weil wir ein größeres Ziel vor Augen hatten: die Frauen in Not zu erreichen. 90 Prozent unserer Begünstigten sind Frauen, die wir nur über unsere Mitarbeiterinnen mit lebensrettenden Maßnahmen erreichen können. Etwa mit Bargeldhilfen, damit Familien überwintern können, oder mit Versorgung von akut unterernährten Kindern.

Das NGO-Arbeitsverbot überschreitet unsere rote Linie. Als Care-Sprecherin sehe ich das auch als einen Kampf für die Rechte der Frau. Deshalb habe ich offen gesagt, dass wir nicht weitermachen werden, bis die Taliban erlauben, unsere weiblichen Mitarbeiter wieder arbeiten zu lassen. Beamte aus den Provinzen baten uns, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Sie haben verstanden, dass es vor Ort einen großen Bedarf gibt und wir ihn decken können. Dass sie das Verbot später gelockert haben, habe ich als persönlichen Erfolg gewertet. Aber unsere Schulklassen für Mädchen über sechs Jahren liegen immer noch auf Eis. Das macht uns Sorgen, denn ihnen rennt die Zeit weg. Wenn die Schülerinnen nicht zum Unterricht gehen, ist die Konsequenz oft eine Zwangsheirat.

Wir beginnen langsam wieder mit der Arbeit und versuchen zu verstehen, was genau die Bedenken der Taliban sind. Die Verordnungen sind widersprüchlich. Klar ist: Frauen werden seit der Übernahme immer mehr eingeschränkt. Wir überlegen jeden Tag, wie wir mit dieser Situation umgehen können. Unser Team ist widerständig, da wir vor allem weibliche Kolleginnen sind. Für sie ist es nicht nur ein Job. Ich schöpfe meinen ganzen Mut aus ihrer unermüdlichen Art und Weise. Wir sprechen über verschiedene Strategien, wie wir die Frauen in Not aus der Ferne unterstützen können. Sie sind müde, aber sie haben nicht aufgegeben.

Frauen protestieren in Kabul Foto: Kiana Hayeri//NYT/laif

Reshma Azmi ist stellvertretende Länderchefin der gegen Armut und Hunger engagierten NGO Care in Afghanistan. Die Taliban hatten Ende Dezember ein Arbeitsverbot für NGO-Mitarbeiterinnen verkündet. Protokoll: Ann Esswein

„Die Mädchen stecken in einer Grube wie Leichen“

Der Roman, den ich schreibe, handelt von einem afghanischen Mädchen, das all seine Träume in einer einzigen schwarzen Nacht begraben hat. Aber sie wurden in die Erde gesät und keimen nun. Die Zeit wird dies beweisen.

Die afghanischen Mädchen stecken jetzt ungewollt in einer Grube fest wie Leichen. Sie dürfen nicht aufgeben. Sie müssen lernen, auch wenn die Schultore für sie geschlossen sind. Lasst sie lernen! Den Frauen und Mädchen Afghanistans sollte kein Ende gesetzt werden.

Zusammen mit meiner Schwester habe ich 2018 eine Galerie und Kunstschule für Frauen in der Provinz Herat gegründet. Ich wusste, dass viele Mädchen ihren inneren Gefühlen eine laute Stimme geben und ihre Talente zeigen wollten. Ich wollte ihnen die Möglichkeit dazu geben.

Die Kosten für die Galerie zahlten zunächst wir. Ich war Studentin an der Wirtschaftsfakultät und arbeitete in der Finanzabteilung eines Handelsunternehmens. Mit der Zeit konnten wir mehr Gemälde verkaufen und unterrichten. Die Menschen in Afghanistan lieben Kunst. Vor der Machtübernahme der Taliban schickten viele Familien ihre jungen Töchter zu einem Kunststudium.

Die Galerie ließen wir offen bis zum Tag, an dem die Regierung stürzte. Als die Taliban in die Stadt kamen, schlossen wir sie für immer. Ich brachte noch einige der Gemälde mit nach Hause – das hätte mich das Leben kosten können. Die Taliban kamen zur Galerie und stellten Fragen. Ich habe sie nicht gesehen, ich hätte es nicht ertragen, den Feinden meiner Träume zu begegnen. Ich beschloss auszuwandern und ging in den Iran. Ein paar Monate lebte ich dort, bis ich schließlich auf Einladung der deutschen Regierung offiziell als Künstlerin hierhergekommen bin.

Meine Familie ist in Afghanistan geblieben. Ich bin besorgt, die Lebensbedingungen sind schlecht im Schatten dieses Re­gimes. Die Taliban verbieten den afghanischen Frauen und Mädchen alles, was sie selbstbewusst, unabhängig, erfolgreich oder auch kämpferisch machen würde. Es ist eine extremistische Gruppe, die im Namen des Islam Fatwas erlässt.

Kunst können afghanische Frauen und Mädchen nur heimlich machen. Sobald sie ihren Schrei der Unterdrückung öffentlich zum Ausdruck bringen, kostet sie dies ihr Leben. Aber der Zweck der Kunst besteht doch darin, der Welt eine Botschaft zu vermitteln.

Mahsa Falah (26) ist Künstlerin und Autorin. Sie gründete 2018 in Herat eine Galerie und Kunstschule für Mädchen. Im Juli 2022 kam sie dank des Hilfsprogramms „artists at risk“ nach Deutschland. Protokoll: Sophie Jung

„Meine Zukunftspläne sind zerstört“

Der 21. Dezember 2022 war der letzte Tag, an dem ich die Universität betreten habe. Eigentlich wollen wir an diesem Tag unser Physik-Examen schreiben. Weil wir Angst hatten, trugen wir lange schwarze Kleider und waren vollständig bedeckt. Plötzlich kamen die Taliban. Sie trugen Waffen und zwangen uns, die Universität zu verlassen. Wir fingen an zu weinen, auch die Leh­re­r:in­nen mussten weinen, überall war eine Menge Chaos. Zu Hause hat sich meine Familie große Sorgen gemacht.

Zwei Frauen mit Schleier an einem Tisch

Studentinnen aus Kabul bereiten sich in einem Café auf Examen vor Foto: Kiana Hayeri//NYT/laif

Unter uns vier Geschwistern bin ich die Einzige, für die genug Geld da war, um zu studieren. Mein Vater ist seit der Machtübernahme in den Iran geflohen. Früher habe ich meine Studiengebühren mit Teilzeitjobs an einer Privatschule bezahlt, aber die Taliban haben die Schulen zerstört. Ich habe hart dafür gekämpft, irgendwie meine Studiengebühren für dieses Jahr zu beschaffen. Die Universität hat uns gesagt, dass sie strenge Anweisungen haben, dass Studentinnen ab sofort nicht mehr das Universitätsgelände betreten dürfen. Unsere Noten bekamen wir in einer Whatsapp-Gruppe geschickt.

Kurz gab es Kurse, zu denen wir stundenweise gehen konnten. Aber schon nach wenigen Tagen ordneten die Taliban an, dass Mädchen auch diese nicht mehr besuchen dürfen. Das war der Punkt, an dem wir alle Hoffnungen verloren. Eine meiner Kommilitoninnen hat sich vom fünften Stock eines Gebäudes gestürzt. Viele meiner Mitstudierenden sind psychisch angeschlagen und verstört. Ich wiederhole zu Hause die Fächer aus dem alten Lehrplan und unterrichte Mädchen aus der Nachbarschaft, um etwas Geld zu verdienen.

Eigentlich wäre ich dieses Jahr mit dem Studium fertig geworden. Mein Traum war es, bei einem IT-Unternehmen zu arbeiten und in eine gute Position zu kommen. Damit wollte ich meine jüngeren Geschwister unterstützen. Jetzt weiß ich nicht, ob alles umsonst gewesen ist. Nicht einmal, ob ich für die zwei Jahre, in denen ich studiert habe, irgendeine Art von Anerkennung oder ein Zeugnis bekommen werde.

Viele Frauen, deren Familien es erlaubt haben, sind auf die Straßen gegangen. Ich war bei jedem Protest dabei. Weil das Risiko irgendwann zu groß geworden ist, haben wir angefangen, uns heimlich in Häusern zu treffen und nächste Schritte zu planen, wie wir unsere Stimme erheben können. Die Taliban haben meine Zukunftspläne zerstört. Sie haben kein Problem mit der Kleidung, wie sie vorgeben, sondern mit der Frau an sich, denn sie haben Angst vor Frauen. Sie denken, dass eine gebildete Frau sich niemals einem Mann unterordnen würde und dass sie für ihre Rechte eintreten wird.

Soma Safi ist 23 Jahre alt. Bis Dezember 2022 studierte sie in Kabul Computerwissenschaften. Protokoll: Ann Esswein

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Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.

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