Der Beamte als Künstler

Der legendäre Oberbaudirektor Fritz Schumacher war auch ein Meister des Wortes: Eine Sammlung seiner Texte führt ein in die Gedankenwelt des Bremers, der aus Hamburg etwas gemacht hat

Außen Backstein, innen Kult: die Ohlsdorfer Fritz-Schumacher-Halle Foto: Angelika Warmuth /dpa

Von Bettina Maria Brosowsky

Sicherlich tut man heutigen Stadtbaurät:innen, oder, auf Hanseatisch, Ober­bau­di­rek­to­r:in­nen unrecht, vergliche man sie mit dem legendären Fritz Schumacher (1869–1947). Von 1909 bis 1933 hatte der diese Position in Hamburg inne. Heutige Ober­bau­di­rek­to­r:in­nen sind Wahlbeamte mit einer Amtszeit von meist acht Jahren, bei einem Grundgehalt von an die 9.000 Euro. Verhindern solche Arbeitsbedingungen aber nun einen stadtplanerischen, gar kulturpolitischen Weitblick im Interesse der jeweiligen Kommune, wie ihn Schumacher einforderte?

Statt darüber zu spekulieren, kann man jetzt anhand einer Sammlung von Texten des Heroen, herausgeben vom Fritz-Schumacher-Institut, seinem Leben und Wirken nachspüren. Deutlich spricht aus ihnen ein universell gebildeter und vor allem: universell aktiver Mensch. Eine privilegierte Kindheit – Schumacher wuchs als Sohn eines Bremer Juristen und Diplomaten unter anderem in Bogota, Lima und New York auf – mag sein Interessenspektrum verbreitert haben. Dies schlug sich zu Beginn der Karriere als Architekt auch in Bühnenbildern nieder und, nach der Zwangspensionierung im Mai 1933, in literarischen Versuchen.

Entscheidender war das beispiellose Arbeitsethos des zeitlebens ledigen Schumacher. Als er an seinem 40. Geburtstag die neue Stelle in Hamburg antrat, kam er nicht mit leeren Händen ins Amt. Er hatte seine bisherige Tätigkeit, eine Professur für Entwerfen an der TU Dresden, rund ein Jahr vorher aufgegeben, um unbezahlt anstehende und jahrelang verschleppte öffentliche Bauaufgaben oder auch einen großen Stadtpark für Hamburg zu konzipieren. Mit seinen Plänen, ein „Gastgeschenk“ gemäß eigener Aussage, betrat er die Bühne einer reichen, aber wenig kulturinteressierten Hansestadt, wie Hartmut Frank in seinen einleitenden Anmerkungen zur Biografie Schumachers rekapituliert.

Unterstützung fand er im für Hamburg so segensreichen Duo aus Alfred Lichtwark – Kunsthistoriker, Pädagoge und Direktor der Kunsthalle – und Justus Brinckmann – dem Gründungsdirektor des Museums für Kunst und Gewerbe. Und ebenso vom einflussreichen Richter, Kunstsammler, Kritiker und Mäzen Gustav Schiefler. Schumacher passte seine noch in sächsischem Sandstein gedachten Bauten dem norddeutschen Klinker an. Bis 1919 verfasste er sein Fundamentalwerk „Das Wesen des neuzeitlichen Backsteinbaus“, eine Neubelebung des nordischen Traditionsmaterials zu einer zeitgenössischen Bausprache. Damit formulierte er einen das Stadtbild vereinheitlichenden, bis heute prägenden Materialkanon, das Markenzeichen Hamburgs. Prägend wurden auch seine Vorstellungen über gesundes Wohnen, Stadterweiterungen, neue Siedlungen und großräumige, öffentliche Grünanlagen. Für all das trotzte er dem etablierten Ingenieur- und Verwaltungswesen immer weitere Verantwortlichkeiten ab. Er rollte rechtskräftig verabschiedete Planungen neu auf, arbeitete an einer Gesamtvorstellung einer modernen Großstadt in all ihren infrastrukturellen, sozialen, hygienischen, aber auch repräsentativ-symbolischen Belangen.

Sein Werk über den Backsteinbau legt den Materialkanon fest, der Hamburgs Aussehen prägt

Aber erst nachdem ihn Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer drei Jahre für einen Generalplan zum Ausbau der Rheinmetropole als Millionenstadt „ausgeliehen“ hatte, konnte Schumacher ab 1923 auch in Hamburg die umfassenden Zuständigkeiten einfordern, die er für seine Pläne brauchte – plus angemessene Bezüge. Hoch- und Tiefbau, Stadt- und Grünraumplanung zählten nun zu seinen Ressorts, zu seinem Leidwesen aber nicht der Hafen- und Elbstrombau.

Die zweite Phase seines Hamburger Schaffens ist dann auch weniger durch prominente Einzelwerke geprägt – die meisten, wie die Gewerbeschule am Lerchenfeld, die Erweiterung der Kunsthalle oder die Finanzdeputation, waren schon vor dem Kölner Intermezzo fertiggestellt – als durch systematischen Schulbau sowie große Wohn- und Stadterweiterungsprojekte. Die Bilanz: Für insgesamt 65.000 Wohnungen, neue Stadtquartiere in Barmbek oder Ersatzbebauungen auf der Veddel und die vielleicht bekannteste Realisierung Hamburgs aus der Zeit, die Jarre­stadt, zeichnet Schumacher verantwortlich..

Schumachers Pläne für Hamburgs organisches Wachstum Foto: Schumacher/Dölling und Galitz Verlag

Immer verfasste Schumacher begleitende Artikel oder ganze Bücher: „Kampfschriften, bald offene, bald getarnte“, eine Ergänzung zum Zeichenstift, um die sozial- und kulturpolitischen Ziele, die er in den Aufgaben und seinem Beruf sah, durchsetzen zu können. Obwohl um die hundert Jahre alt, liest sich vieles erstaunlich frisch. Zufällig hineingegriffen: von der Wohnung als stärkstem Erzieher zu sozialer Kultur (und Unkultur) ist die Rede, vom Fluch des Architektenberufs, sich auf die abstrakte Sphäre der Zeichnung zu beschränken – „kräftiges Heilmittel“: der Backstein, der zu werkgerechtem Bauen und Tun zwingt – bis hin zu Hamburgs Zukunft, die Schumacher wesentlich in der Bewältigung seiner Defizite im (Klein-)Wohnungsbau liegen sah. Kritik traf ihn oft persönlich. Er dachte gar an Rücktritt, als freiberufliche Architekten des Bundes Deutscher Architekten ihm vorwarfen, sein enormes Hochbaupensum unmittelbar nach 1909 nur auf Grundlage mitgebrachter Entwürfe seiner Dresdner Zeichenknechte absolviert zu haben.

Seine Replik zielte aufs Selbstverständnis eines künstlerisch schaffenden Baubeamten, der Mitarbeitende oder Freischaffende einzubeziehen versteht, aber stets Autorschaft wie Autorität für das Gesamtwerk innehalte. Bestes Beispiel: wiederum die Jarrestadt. Obwohl eine Projektgemeinschaft aus zehn Architekten die Hochbauten realisierten, wurde und wird sie als Werk Schumachers rezipiert. In seinen Schriften zeigt sich der Baukünstler Schumacher als präzise argumentierender Meister auch der Sprache, der vor keiner noch so demütigenden Kontroverse kneift. Ein echtes Vorbild.

Fritz Schumacher. Kulturpolitik eines Baumeisters, Hamburg, Dölling und Galitz 2022, 280 S., 38 Euro