Was fehlt den Zauberlehrlingen?

Das HAU folgt konsequent der Ausweitung performativer Praktiken ins Feld der digitalen Technologien. Doch beim Festival „Geister, Dschinns und Avatare“ mangelte es an ästhetischen Umsetzungen und an Erkenntnissen

Der Regisseur Philippe Quesne ist für seinen spielerischen Umgang mit Objekten bekannt. Szene aus „Fantasmagoria“ Foto: C. Argyroglo

Von Tom Mustroph

Auf die Suche nach dem Magischen im Digitalen macht sich das HAU mit dem Festival „Geister, Dschinns und Avatare“, das noch bis 12. März läuft. Das ist ein sehr reizvolles Thema. Der mächtigste Geist, der in den ersten Tagen des Festivals aus den digitalen Systemen in den Räumlichkeiten des HAU herausspukte, war allerdings ein gänzlich unkuratierter. Er befand sich in der Buchungssoftware an der Kasse.

Beim Versuch, von vier bestellten Karten nur deren drei abzuholen, ging gar nichts mehr. Das System streikte plötzlich und auf dem Gesicht der Kartenverkäuferin gruben sich immer tiefere Falten des Unverständnisses ein. Ihrem Munde entflossen gar Worte, die sich jenseits der Glasscheibe wie Beschwörungsformeln anhörten. Offenbar kommunizierte sie mit dem Geist der Buchungssoftware.

Mit Geistern dieser Art sind wir im Alltag nur zu gut vertraut. Sie tauchen auf, wenn die Bilder auf dem Monitor plötzlich glitchen, wenn der Cursor oben in der Ecke stehen bleibt oder statt der Festplatte nur noch der Ventilator im Computergehäuse surrt. Von flackernden Lichtern oder sich selbsttätig bewegenden Rollos wollen wir gar nicht reden. Nicht recht wissend, was im Inneren dieser Systeme so vor sich geht, greift man wahlweise zu Beschimpfungs- oder Beschwörungsformeln.

Die Methode half auch hier. Nach angemessener Wartezeit spuckte der Drucker genau drei Tickets aus und sogar die richtigen. Das war bereits das einprägsamste Geistererlebnis bei diesem Festival der Geister, Dschinns und Avatare. Die kuratierten Geister konnten es nicht mit dem Geist im Kassenhäuschen aufnehmen.

Die VR-Installation „Data Death“ von Nadezhda Bey etwa unternahm zwar den an sich aparten Versuch, Daten zu beerdigen. Die Zeremonie, der man beiwohnen durfte, war dann aber doch arg statisch. Drei schemenhafte Avatare standen um einen Sarg herum. Man konnte sie weder bewegen noch Erkenntnisse über die Vergangenheit der verblichenen Daten gewinnen.

Etwas interaktiver war Danielle Brathwaite-Shirleys Arbeit „Pirating Blackness“. Be­su­che­r*in­nen waren hier eingeladen, auf einem roten Segelboot, das im Obergeschoss des HAU2 angekommen war, Platz zu nehmen. Das Boot war gewissermaßen die Steuerkonsole, um mit einem digitalen Segelboot jene Trips nachzufahren, die vor Jahrhunderten Menschen aus Afrika auf sich nehmen mussten, um dann als Sklaven auf dem amerikanischen Kontinent unter extrem ausbeuterischen Bedingungen Luxusgüter wie Kaffee, Zucker, Rum, Kakao oder Baumwolle für Europäer und Nordamerikaner herzustellen.

Braithwaite-Shirley versuchte, bei dieser Überfahrt die Ereignisse umzuprogrammieren. Kultobjekte aus Afrika etwa kehrten wieder nach Hause zurück. Auch Befreiungsoptionen zeichneten sich am Horizont ab. Die Grafik war allerdings recht simpel, die Interaktionsmöglichkeiten beschränkten sich aufs Drücken von vier roten Knöpfen, die an der Bootswand angebracht waren. Die Bezeichnung Game für diese analog erweiterte Videoinstallation war etwas hoch gegriffen. Zudem hätte man sich mehr narrative Virtuosität bei diesem komplexen Thema gewünscht.

Mehr Aufwand betrieb Phi­lippe Quesne. Als Regisseur war er früher durch spielerischen Umgang mit Objekten aufgefallen, der Zuschauerherzen ganz leicht werden ließ. In „Fantasmagoria“ brachte Quesne mehr als ein Dutzend Klaviere auf die Bühne. Mal hob sich hier ein Deckel oder eine Taste wurde hier gespielt, ohne dass eine bewegende Hand zu sehen war. Rauch stieg auf, manchmal züngelten gar Flammen hoch. Es war ein neckisches Maschinentheater, dessen Reiz sich allerdings schnell erschöpfte.

Braithwaite-Shirley versuchte, bei dieser Überfahrt die Ereignisse neu zu programmieren. Kultobjekte aus Afrika etwa kehrten wieder nach Hause zurück. Auch Befreiungsoptionen zeichneten sich am Horizont ab

Und der unterforderte Wahrnehmungsapparat des Betrachters wandte sich schließlich der Aufgabe zu, zu ergründen, welche Bewegungen wie gesteuert waren: mechanisch oder hydraulisch? Oder mochte – wie bei den ersten Schachautomaten des 18. Jahrhunderts der Fall – gar ein kleiner Mensch versteckt in den Musikkisten sein?

Kommt die Frage nach dem Wie und Warum auf, hat sich der magische Moment längst verabschiedet. „Geister, Dschinns und Avatare“ erzeugte mit dem Festivaltitel einen Erwartungshorizont, dem viele der ausgewählten Arbeiten nicht gerecht wurden.

Das HAU ist mit seiner konsequenten Ausweitung performativer Praktiken ins Feld der digitalen Technologien sicher zu loben. Im Kontext der Theaterhäuser ist dieses Produktionshaus tatsächlich ein Vorreiter. Im Kontext der digitalen Künste war „Geister, Dschinns und Avatare“ aber recht schwach bestückt. Das betrifft die Wahl der Mittel und auch die Erzählqualität der Inhalte. Ersteres ist – möglicherweise – eine Geldfrage. Letzteres allerdings betrifft die Kernkompetenz von darstellender Kunst und ist daher besonders enttäuschend.

Das Festival „Geister, Dschinns & Avatare. Über das Magische im digitalen Zeitalter“ geht bis 12. März