Soziale Lasten fair verteilen: Kinderlos? Zahlen bitte!

Dass Kinderlose in Deutschland bald höhere Pflegeversicherungsbeiträge zahlen sollen, hat einen unangenehm wertenden Beigeschmack.

4 Frauen in Wintermänteln schieben 4 Kinderwagen

Eltern müssen Kinderwagen schieben, Kinderlose wohl bald höhere Pflegeversicherungsbeiträge zahlen Foto: Frank Hoermann/imago

Die vom Bundesverfassungsgericht gedeckten Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), die Pflegeversicherungsbeiträge noch mehr als bisher zu Lasten kinderloser Steuerzahlender zu gewichten, hat einen unangenehm wertenden Beigeschmack.

Denn seit jeher gibt es unter den Eltern auch immer diese hohlen Nüsse, die Kinderlose pauschal als unreifes Hedonistenpack abtun, das durch die Bank bewusst einem Lebensplan folgt, der aus permanentem Drogenkonsum, Sonntagsbrunchs und Fernreisen besteht, bei denen Kinder, die man eh hasst, nur stören würden. Dass Unfruchtbarkeit, Abgänge, Kindstod oder andere Probleme sogar die häufigeren Gründ für Kinderlosigkeit sind, ficht die Verkünder der reinen Elternlehre nicht im Geringsten an. Für solche Differenzierungen sind sie zu blöd, ob aus väterlichem Dummstolz oder mütterlicher Stilldemenz heraus.

Am schlimmsten sind hier oft die späten Eltern, die den selbstexkulpierenden Bekehrungsfanatismus des militanten Ex-Rauchers mit protoreligiösen Vorstellungen mischen, welcher Mensch wertvoll sei und welcher nicht, die sie wiederum mit Erzkatholiken, Taliban und Völkischen teilen.

Dabei verwirklichen sie sich mit ihrer Entscheidung pro Kind ja ebenfalls oft nur selbst, haben fehlerhaft verhütet, oder wussten schlicht nichts besseres mit sich anzufangen. Auch ist dies sicher diejenige Lebensentscheidung, die man ausnahmsweise nur und ausschließlich mit dem Bauch treffen muss, denn alles andere spricht individuell ohnehin dagegen: Bequemlichkeit, kaum zu stemmende Verantwortung, und last but not least die klägliche Zukunftserwartung der Menschheit auf Erden an sich.

Wir brauchen Zuwanderung, aber wir brauchen auch Kinder

Doch verlassen wir an dieser Stelle einmal die Grabenkämpfe der Extremisten und Unversöhnlichen beider Lager, schieben potentielle Kränkungen beiseite und versuchen, das Problem gesamtgesellschaftlich zu sehen. Während woanders die Überbevölkerung eins der größten Probleme überhaupt ist, überaltert bei uns die Gesellschaft. Wir brauchen Zuwanderung, aber wir brauchen auch Kinder. Denn es ist absehbar, dass im Angesicht der auf dem Kopf stehenden Alterspyramide unser jetzt schon in sämtlichen Scharnieren ächzendes Pflegesystem spätestens mit der endgültigen Vergreisung der Boomergeneration vollends implodiert.

Kinder kosten Geld. Pflege kostet Geld. Dafür, wie man das gerecht umlegt, gibt es jedoch verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel ist es weder zeitgemäß noch laizistisch, die Ehe an sich durch steuerliches Ehegattensplitting zu sponsern, egal ob Kinder da sind oder nicht. Hier wäre eine entsprechende Änderung sinnvoll, die gerne auch großzügig und direkt ins Kindergeld fließen darf, während das Splitting allgemein abgeschafft wird.

Auf diese Weise sähe es auch nicht so aus, als ob Kinderlose für eine Entscheidung moralisch abgestraft werden, die erstens womöglich nicht in ihrer Hand liegt und zweitens sowieso ihre freie Privatsache ist. Dass man soziale Lasten fair verteilt, und da gehören nun mal Kinder- wie auch Pflegekosten dazu, sollte unterm Strich dennoch selbstverständlich sein.

Für die Umsetzung der notwendigen Umschichtungen sind am Ende viele Modelle denkbar, auch das von Lauterbach. Ich selbst könnte mich durchaus mit einem höheren Beitrag anfreunden, solange mich die Übereltern nur mit ihrem diffamierenden Superioritätsgeblöke verschonen. Für die Finanzierung einer guten Pflegeversorgung für alle und auch in Zukunft, für eine Besserstellung der dort Arbeitenden und ihrer Bedingungen, reicht das aber ohnehin nicht aus. Dazu müssen wir vielleicht doch noch mal bei den Superreichen anklopfen.

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