Naydar vs. Gaydar: Now they call me mother

Der Naydar ist der böse Zwilling des Gaydar und funktioniert wie eine Signalstörung des hetero-getunten Unterbewusstseins.

Bar beim Teddy Award

Beim Teddy Award in der Volksbühne Foto: Annette Riedl/dpa

Jetzt gehört uns nicht mal mehr der Gaydar. Sein Evil Twin, der Naydar, ist mit dem Gaydar nämlich so eng verwandt, dass er erst anspringt, wenn ein Hauch gleichgeschlechtlicher Intimität die Nüstern des Gegenübers umschmeichelt und es langsam die Fühler ausstreckt.

Einmal aktiviert kehrt der Naydar sich in eine Signalstörung um, die die wahrgenommene Realität um jeden Preis blockiert und im hetero-getunten Unterbewusstsein fieberhaft alternative Erklärungen am laufenden Band generiert. Einfach irgendwas ausspucken, Hauptsache nicht klar genug hinschauen, um zu merken, was ist.

Sehr beliebt unter den Naydar-Kreationen: aus einem schwulen Paar, das sich nicht die Bohne ähnlich sieht, Geschwister machen oder gleichaltrige Frauen* zu fragen, ob sie Mutter und Tochter sind.

Meine Freundin und ich haben diese erzählerische Großleistung in den letzten zwei Jahren mindestens drei mal erlebt. Auf Englisch, auf Italienisch, auf Deutsch. Am Flughafen, an der Salattheke, im Taxi. So wie ganz frisch letztes Wochenende auf Fahrt nach Hause von der Teddy Party, also der Afterparty zum queeren Filmpreis der Berlinale.

Um vier Uhr morgens und leicht beschwipst sagte ich nur mit einer Mischung aus Amüsiertsein und Genervtheit: „So alt bin ich nicht.“ Wo ich doch so auf den Swagger von älteren Lesben stehe. Meine hochverehrten OWLs, bitte verzeiht mir diese pragmatische Entgleisung!

Zu allem Überfluss musste meine Freundin sich auch noch den Spruch anhören, sie sähe aus wie 19. Zum Glück war da noch der Group Chat mit unserer Wahlfamilie, um uns live im Auto der Ausblendung bei Laune zu halten. Die Konklusion des Abends: „Straight Consciousness LIVES!“.

Zur Schau gestellte Homophobie

Und seien wir mal ehrlich. Wenn ich davon abhängig bin, wieder aus einem Land nach Hause zu fliegen, das gerade das Sprechen über Homosexualität gegenüber Menschen unter 18 kriminalisiert hat, wenn ich im einzigen Lädchen weit und breit fürs Abendessen einkaufen will, oder wenn jemand, den ich nicht kenne, ein Auto steuert, in dem ich sitze, fühlt es sich nicht unbedingt sicher an, den Naydar mit einem Realitätscheck daran zu erinnern, dass er nur existiert, weil er die gleichen Wahrnehmungsfähigkeiten wie seine Zwillingsschwester hat.

Je nach Situation wird auch sehr schnell klar, ob die fragende Person sich wirklich nur in den komplizierten Windungen des Labyrinths verirrt hat, das das Wissen um queeres Leben tief im Innern unter tausende von Jahre alten Efeuranken begraben hat, oder ob die „dumme Frage“ ganz bewusst gestellt wird, um die eigene Homophobie zur Schau zu stellen.

Ohne Machtgefälle könnt ihr euch aber da­rauf verlassen, nächstes Mal lass ich die schwule Diva raus: „Now They Call … Me … Mother!“ Wie könnt ihr es eigentlich wagen, unsere größte Auszeichnung in den Mund zu nehmen?

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Redakteurin für Kunst in Berlin im taz.Plan. Alle 14 Tage Kolumne Subtext für taz2: Gesellschaft & Medien. Studierte Gender Studies und Europäische Ethnologie in Berlin und den USA. 2020 Promotion "Chrononauts in Chromotopia" zum Lusterleben in der abstrakten Malerei. Themen: zeitgenössische Kunst, Genderqueerness, Rassismus, Soziale Bewegungen.

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