Klimaschutz-Klagen gegen Konzerne: Gerichte verweisen auf Gesetzgeber

Umweltverbände versuchen, Konzerne per Gerichtsurteil zum Senken ihrer CO₂-Emissionen zu bringen. Bislang ist das in Deutschland erfolglos.

Abgase kommen bei rötlichem Licht aus einem Auspuff.

Können Gerichte Konzerne zu mehr Klimaschutz zwingen als die Politik? Foto: Michael Weber/Imagepower

BERLIN taz | Shell hat verloren. Die Rechtbank Den Haag, ein niederländisches Gericht der ersten Instanz, hat den Ölkonzern im Mai 2021 dazu verpflichtet, klimafreundlicher zu werden. Bis 2030 muss er seine Treibhausgas-Emissionen dem Urteil nach um mindestens 45 Prozent senken. Auch wenn Shell im vergangenen Jahr Berufung eingelegt hat, über die noch nicht entschieden ist: Es war ein spektakuläres Verfahren. Und eines, das sich Ju­ris­t:in­nen auch in Deutschland zum Vorbild nehmen.

Denn auch hierzulande gärt die Frage, wie man große Unternehmen zum Klimaschutz bringen kann, wenn sie klimaschädliche Geschäftsmodelle nicht von selbst aufgeben – oder von der Politik dazu gezwungen werden. Besonders die Autoindustrie stand hierzulande zuletzt vor Gericht. Bislang geht die Strategie aber nicht auf. Erst am Freitag hat das Landgericht Detmold die Klimaklage des von Greenpeace unterstützten Biobauern Ulf Allhoff-Cramer gegen VW abgelehnt.

Dass sich Klimaklagen überhaupt gegen Unternehmen richten, ist keine Selbstverständlichkeit. Eigentlich wird die Klimapolitik ja vom Staat gemacht. Er schreibt die Klimaziele vor und ordnet an, wie sie zu erfüllen sind. Typischerweise richten sich Klimaklagen deshalb gegen Bundestag oder Bundesregierung. Entweder verlangen die klagenden Um­welt­schüt­ze­r:in­nen dann, dass der Staat die Anforderungen verschärft oder dass er seine eigenen Gesetze zumindest einhält. Zuständig sind dann das Bundesverfassungsgericht oder Verwaltungsgerichte.

Großkonzerne wie Daimler oder VW sorgen jedoch auch für gewaltige CO₂-Emissionen. Sie haben ökologische Fußstapfen, die größer sind als die mancher Staaten. Umweltverbände wollen mit ihren Klagen daher erreichen, dass die Autoproduzenten zu Anstregungen gezwungen werden, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Vor allem sollen die Autohersteller ab 2030 den Verkauf von Autos mit Verbrennermotoren stoppen. Die EU will als gesetzliche Grenze für Benzinverbrenner erst das Jahr 2035 festsetzen.

Klagen gegen Autokonzerne abgelehnt

In den vergangenen Wochen und Monaten gab es insgesamt vier Urteile, die solche Ansprüche gegen Autohersteller jeweils ablehnten. Mitte September urteilte das Landgericht Stuttgart über eine Klage der Deutschen-Umwelthilfe (DUH) gegen Mercedes. Anfang Februar lehnte das Landgericht München I eine DUH-Klage gegen BMW ab. Und schließlich blieben zwei Greenpeace-Klagen gegen VW erfolglos. Dabei entschieden Mitte Februar das Landgericht Braunschweig und nun am Freitag das Landgericht Detmold.

Als Kläger wurden zwar reale Personen benötigt. Aber bei der DUH klagten einfach die Geschäftsführer als Privatpersonen, unter anderen Jürgen Resch. Sie machten eine Gefährdung ihrer individuellen Freiheit geltend, wenn jetzt das CO₂-Budget vorschnell verbraucht wird und der Staat deshalb später zu harten Restriktionen greifen muss.

Bei Greenpeace klagten im einen Verfahren zwar auch die beiden Geschäftsführer Roland Hipp und Martin Kaiser. Doch sie beriefen sich auch auf Bienenstöcke und Wälder, die durch den Klimawandel gefährdet seien. Im zweiten Greenpeace-Verfahren agierte dann der Biobauer Ulf Allhoff-Cramer als Kläger, der auf Dürren und Starkregen hinwies, die seinem Hof schon schwere Schäden zugefügt hätten.

Zuständig waren in erster Instanz die Landgerichte, die sich zivilrechtlich sonst um Miet- und Erbstreitigkeiten oder den Schadenersatz nach einem Unfall kümmern. Die DUH-Klagen wurden vom Berliner Anwalt Remo Klinger vertreten, die Greenpeace-Klagen von seiner Hamburer Kollegin Roda Verheyen.

Sie beriefen sich jeweils auf Verkehrssicherungspflichten der Autohersteller. Jene brächten Produkte auf den Markt, die die verschiedenen Rechtsgüter der Klä­ge­r:in­nen gefährden würden, und seien daher als „Störer“ zur Unterlassung verpflichtet.

Die Argumentation mit der zivilrechtlichen Störerhaftung hatte vor Gericht durchgehend keinen Erfolg. Und es machte dabei keinen Unterschied, ob sich die Kläger auf den Schutz ihrer Freiheit oder auf den Schutz ihrer Wälder und Felder beriefen.

Um­welt­schüt­ze­r:in­nen wollen weiterklagen

Drei der vier Gerichte argumentierten jeweils ganz ähnlich, und zwar mit den unterschiedlichen Aufgaben von Gerichten und Parlamenten. Die Gewaltenteilung im Rechtsstaat sehe vor, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen trifft und nicht die Gerichte aufgrund der Klagen von Einzelpersonen, so etwa das Landgericht Stuttgart. Nur der Gesetzgeber sei legitimiert, „das Gesamtwohl“ zu definieren und daraus abzuleiten, wer noch welche CO₂-Emissionen ausstoßen darf.

Das Landgericht München I betonte, bei der Klimapolitik gehe es um komplexe Abwägungen. Dabei habe der Gesetzgeber derzeit laut Bundesverfassungsgericht mit dem vor zwei Jahren nachgebesserten Klimaschutzgesetz seine „Schutzpflichten“ gegenüber den Bür­ge­r:in­nen erfüllt. Und BMW halte sich an die vom Gesetzgeber auferlegten Vorgaben. So begründete im Ergebnis auch das Landgericht Braunschweig sein Urteil: Der Bürger könne von Unternehmen nicht mehr Klimaschutz verlangen als vom Staat.

Nur das Landgericht Detmold argumentierte am Freitag rein zivilrechtlich: Zwar könne der Biobauer das Unterlassen einer gegenwärtigen rechtswidrigen Beeinträchtigung verlangen, wenn diese nicht geduldet werden muss. Damit sei aber kein Anspruch auf eine bestimmte Handlung verbunden.

Insbesondere könne der Bauer von VW nicht verlangen, auf den Vertrieb von Autos mit „Verbrennungsmotoren“ zu verzichten und stattdessen auf „batteriebetriebene Elektromotoren“ zu setzen. Allerdings hatte der Bauer von VW gar nicht konkret den Umstieg auf Elektroautos gefordert.

Die Kläger werden in allen vier Fällen in die nächste Instanz gehen, zu den jeweiligen Oberlandesgerichten. Anwältin Roda Verheyen zeigte sich weiter zuversichtlich: „Es ist völlig normal, dass solche Dinge nicht in der ersten Instanz entschieden werden“, sagte sie jüngst. Man könnte das Argument aber auch umdrehen: Wenn sich nicht einmal in der ersten Instanz ein Gericht findet, das den Ideen der Klima-Anwält:innen folgt, dann wird es bei den arrivierterten Rich­te­r:in­nen an den Oberlandesgerichten noch schwieriger.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.